Impftempo stürzt auf 5-Monats-Tief – bleibt uns bald nur noch die Impfpflicht?

Impftempo stürzt auf 5-Monats-Tief – bleibt uns bald nur noch die Impfpflicht?

28. Juli 2021 Aus Von mvp-web

Endlich ist Impfstoff in Masse da! Doch jetzt fehlt es in Deutschland an Impfwilligen. Das Tempo der Immunisierung gegen Corona lässt immer weiter nach. wir zeigen, warum das gefährlich ist – und wie die Impfmüdigkeit die Diskussion um eine Impfpflicht befeuert.

Deutschland diskutiert. Über Sonderrechte für Geimpfte. Vielleicht sogar über eine indirekte Impfpflicht – etwa dann, wenn die Menschen auf Konzerte oder ins Theater wollen. Der Grund: Hierzulande lassen sich derzeit zu wenige Menschen impfen.

Das zeigt ein Blick auf das Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums. Die Geschwindigkeit, mit der neue Impfungen dazukommen, lässt immer weiter nach – und das, obwohl mittlerweile mehr als genug Impfstoff für alle Impfwilligen verfügbar wäre. Das Angebot allein reicht allerdings nicht: Es muss auch wahrgenommen werden. Und genau daran hapert es im Augenblick.

Bis zum Ende der Kalenderwoche 29 am 25. Juli 2021 wurden 106.013.664 Dosen Impfstoff für Deutschland geliefert. Bis zum 26. Juli 2021 verimpft wurden allerdings nur 84,6 Prozent dieser Dosen. Bedeutet: In der vergangenen Woche blieben knapp 16 Millionen Impfdosen übrig. Diese liegen ungenutzt in den Kühlschränken von Praxen, Impf- und Verteilzentren.

Impftempo in Deutschland im Sinkflug

Am Montag wurden in Deutschland laut Robert-Koch-Institut (RKI) 77.962 Erstimpfungen gegen Covid-19 verabreicht. Am Sonntag waren es sogar nur 35.842 – ein Negativrekord im Vergleich zu den vergangenen Wochen. Weniger Impfungen an einem Tag verzeichnete das RKI zuletzt am 7. Februar. Also vor fünf Monaten und damit einem Zeitpunkt, zu dem in Deutschland nur rund fünf Millionen Impfdosen pro Woche zur Verfügung standen. Zum Vergleich: In der vergangenen Woche waren es mehr als 100 Millionen und damit das 20-Fache.

Und auch die Zahl der wichtigen Zweitimpfungen lässt nach, wenn auch nicht ganz so stark. Am Sonntag bekamen 84.976 Menschen ihre zweite Impfung. Weniger als 100.000 zweite Dosen wurden zuletzt im Mai verabreicht. Dass das Impftempo insbesondere bei den Erstdosen nachlässt, lässt auf eine zunehmende Impfmüdigkeit der Deutschen schließen. Offenbar entscheiden sich immer weniger Menschen dazu, sich gegen Corona immunisieren zu lassen.

Für Herdenimmunität brauchen wir mehr Impfungen

Stand Montag sind insgesamt 41.342.865 Personen in Deutschland vollständig gegen Corona geimpft – das entspricht mit 49,7 Prozent knapp der Hälfte der Bevölkerung. Um das Coronavirus und insbesondere seine Delta-Variante einzudämmen, brauchen wir mehr Geimpfte.

Denn eine Impfung schützt zwar jeden individuell vor einem schweren Verlauf. Für ein gesamtes Land werden die Impfungen aber erst dann effektiv, wenn ein Großteil der Bevölkerung immunisiert ist. Das Virus findet dann immer weniger Menschen, die es infizieren kann und seine Verbreitung lässt nach. Ab diesem Punkt sprechen Experten von Herdenimmunität.

Wann die Herdenimmunität erreicht wird, hängt davon ab, wie aggressiv ein Erreger ist. Je schneller er sich verbreitet, umso mehr Menschen müssen immun sein, damit sie dessen Verbreitung eindämmen können. Und während die Experten zu Beginn der Pandemie noch von einem notwendigen Wert von 60 bis 70 Prozent ausgingen, liegt dieser vor allem wegen der aggressiveren Delta-Varianten mittlerweile bei knapp 80 Prozent.

Mutationsüberblick
Das Coronavirus ist wohl schon tausendfach mutiert. Ob das das Virus gefährlicher macht oder nicht, kommt darauf an, wie es sich verändert. Sehen Sie hier einen 360-Grad-Blick auf die bedeutenden Mutationen, ihre Verbreitung auf der Europakarte und die Gefahr, die von ihnen ausgeht.

Mediziner: „Wir haben in drei Wellen gesehen, wie erbarmungslos dieses Virus sein kann“

Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, appeliert entsprechend vehement für die Impfung: „Dem Virus einen Schritt voraus zu bleiben, heißt im Sommer schon an den Herbst zu denken. Wir brauchen einen Herdenschutz gegen die vierte Welle und dazu müssen wir das Impftempo jetzt nochmal deutlich anziehen. Mit Blick auf Länder wie Großbritannien sehen wir, wie wichtig eine hohe Impfquote ist.“

Die Zahl der Hospitalisierungen steige dort bereits wieder an und wäre ohne Impfung um ein Vielfaches höher. „Wir haben in drei Wellen gesehen, wie erbarmungslos dieses Virus sein kann. Dieses Risiko sollten wir kein viertes Mal eingehen. Ich kann an jeden nur appellieren, sich solidarisch zu zeigen: zum eigenen Schutz, zum Schutz der Schwächeren, und letztlich zu unser aller Schutz vor einer erneuten großen Welle.“

Aus Sicht des RKI sollten im Kampf gegen die Delta-Variante mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Menschen ab 60 Jahren vollständig geimpft sein. „Bei rechtzeitigem Erreichen dieser Impfquote scheint eine ausgeprägte vierte Welle im kommenden Herbst und Winter unwahrscheinlich“, heißt es in einem Papier des RKI von Anfang Juli.