Auftakt der Gespräche: So laufen die Koalitionsverhandlungen

Auftakt der Gespräche: So laufen die Koalitionsverhandlungen

21. Oktober 2021 Aus Von mvp-web

Mit einem riesigen Personalaufgebot gehen die Ampel-Parteien heute in die ersten Koalitionsverhandlungen. Wie geht es nun weiter? Wer ist dabei? Und um welche Ressorts wird bereits gerungen? Ein Überblick.

Von Corinna Emundts, tagesschau.de

Auch wenn mit den Sondierungen die größte Hürde für eine mögliche Ampelkoalition schon genommen wurde – jetzt geht es mit dem Start der eigentlichen Koalitionsverhandlungen ans Eingemachte. Denn das bisher vorliegende Sondierungspapier beinhaltet wenige deutliche Festlegungen und bleibt vor allem in der Umsetzung vage. Bei den Sondierungen fanden SPD, Grüne und FDP zwar heraus, dass sei eine gemeinsame Linie verfolgen können. Doch in Sachfragen liegen sie zum Teil weit auseinander, sei es beim Klimaschutz, bei der Migration oder der Zukunft der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2.

Heute soll es nachmittags ein Auftakttreffen einer ersten Spitzenrunde geben. Zu der gehören die jeweiligen Hauptverhandlungsgruppen und die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen aller drei Parteien.

Die Arbeitsgruppen

In die 22 Arbeitsgruppen entsendet jede Ampel-Partei bis zu sechs Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker aus der Bundespolitik, aber auch aus der Landes- und Kommunalpolitik. Dort müssen die eigentlichen Sachfragen verhandelt und Kompromisse gesucht werden. Sie sind in sieben Themengruppen zugeteilt – von “Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovation” über “Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft” bis zu “Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in einer modernen Demokratie”.

Bei der Ampel könnte es mitunter unübersichtlich werden – es ist davon auszugehen, dass daran rund 300 Politikerinnen und Politiker beteiligt sind. Zum Vergleich: Bei den Verhandlungen zur Großen Koalition 2017 gab es 18 solcher Runden. Zwischen den verhandelnden Arbeitsgruppen wird es viel Schnittstellenmanagement brauchen, da einige sich thematisch überschneiden. Noch ein Unterschied zu 2017 ist, dass die Verhandlungsteams der jeweiligen Parteien in gleicher Stärke auftreten, nicht nach Proporz ihres Bundestagswahlergebnisses. Jede Arbeitsgruppe besteht dann aus zwölf bis 18 Mitgliedern.

SPD-Kanzlerkandidat Scholz und die Parteispitzen der Ampel-Verhandler müssen in den nächsten Wochen 22 Verhandlungsgruppen gleichzeitig im Blick haben.

Es ist deswegen durchaus denkbar, dass im Verlauf der Verhandlungen Zuschnitte der Gruppen nochmals geändert werden. Ihre inhaltliche Aufteilung spiegelt sich zwar noch nicht in künftigen Zuschnitten von Ministerien, aber lässt Schwerpunkte erkennen: Neben einer außenpolitischen Arbeitsgruppe, die sich auch mit Sicherheits-, Verteidigungspolitik und Menschenrechten befasst, gibt es etwa eine eigene zu den Themen Flucht, Migration und Integration. Hier etwa werden noch FDP und Grüne zusammenfinden müssen, die bei der Einwanderungspolitik unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

In manchen Arbeitsgruppen dürfte es zwischen FDP und SPD munter zugehen, etwa in der zu Bauen und Wohnen, die bei der SPD vom ehemaligen Juso-Chef Kevin Kühnert geleitet wird. Kühnert ist in seiner Partei links verortet und hat sicher andere Vorstellungen zur Mietenpolitik als die FDP.

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Der Zeitplan

Bisher gibt es nur zum Start der Koalitionsverhandlungen einen konkreten Zeitplan: nämlich der Auftakt in dieser Woche und den eigentlichen Start der Arbeitsgruppen Mitte der kommenden Woche. Wie lange die Koalitionsverhandlungen laufen, ist offen. Beteiligte gehen von mindestens drei bis vier Wochen für die Verhandlungen in den Arbeitsgruppen aus. Danach müssten die Ergebnisse noch von den Kernteams zu einem finalen Koalitionsvertrag zusammengefasst werden. Den Kernteams gehören unter anderem die Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden an, bei der SPD aber auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer, bei den Grünen könnte es zusätzlich auch der verhandlungserfahrene Ex-Umweltminister Jürgen Trittin werden.

Wenn es nach Scholz ginge, würde er wohl gern zum Nikolaustag schon Kanzler sein. Dies würde aber nur mit recht zügigen Verhandlungen ohne größere Komplikationen gelingen.

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Das Gerangel um Posten und Ressorts

Die Verhandler beteuern öffentlich stets, der Ressortzuschnitt und die Postenverteilung stünden am Ende des Verhandlungsprozesses. Doch es ist davon auszugehen, dass jede Partei bereits einen Plan ihrer Wunschministerien, Ressortzuschnitte und personellen Besetzungen in der Schublade hat. Geeinigt ist dieses Feld offenbar noch nicht: In den vergangenen Tagen fiel auf, dass sowohl von FDP-Politikern ihr Spitzenkandidat Christian Lindner als Finanzminister vorgeschlagen wurde. Auch Robert Habeck wurde von Grünen für den Posten öffentlich ins Spiel gebracht – etwa vom baden-württembergischen grünen Finanzminister Danyal Bayaz.

Dass allerdings der promovierte Philologe und Schriftsteller Habeck, der sich in der Vergangenheit auch schon mal bei der Pendlerpauschale und Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin inhaltlich vertan hat, zwingend Mann der Zahlen werden möchte, ist fraglich. In jedem Fall hätte er ein Akzeptanzproblem in diesem Amt beim Koalitionspartner FDP – keine gute Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.

Bei diesem Ministerium, das die FDP ziemlich unverhohlen deutlich für sich beansprucht, um ihre Wahlkampf-Kernthemen wie Einhaltung der Schuldenbremse und “keine Steuererhöhungen” dort zu betreuen, dürfte es von Seiten der Grünen eher um Taktik gehen: Je länger sie den Anspruch auf das Finanzressort beibehalten, desto mehr können sie möglicherweise für ein starkes Klimaschutzministerium herausholen. Die FDP müsste sich also das Ministerium teuer erkaufen. Für den Grünen-Politiker und Thinktank-Gründer Ralf Fücks ist klar, “dass Grüne und FDP ein starkes Lenkungministerium als Gegengewicht zum Kanzleramt reklamieren werden – oder mehrere”, sagte er dem NDR.

Werden Grüne und FDP ein starkes Lenkungministerium als Gegengewicht zum Kanzleramt reklamieren – oder gleich mehrere?

Nicht öffentlich klärbar ist aber derzeit die Frage, ob der bisherige Finanzminister Olaf Scholz dieses Schlüsselministerium überhaupt – anders als SPD-Kanzler Gerhard Schröder bei Rot-Grün – aus der SPD-Hand geben wird. Womöglich lockt er die beiden Partner Grüne und FDP auch mit opulenten Superministerien und zwei Vizekanzlerposten. Denn die Finanzierung der von den Ampel-Sondierern vorgesehenen Investitionen ist noch offen. Da es die Festlegung als Zugeständnis an die FDP gibt, keine Steuererhöhungen vorzunehmen und die Schuldenbremse einzuhalten, wird die Finanzierung der Ampel-Projekte eine der entscheidenden Klippen für das Gelingen eines Koalitionsvertrags. Hier sei schon eine Menge Trickserei nötig, sagte der ehemalige SPD-Finanzminister Hans Eichel im Deutschlandfunk.

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Die inhaltlichen Knackpunkte und Schnittmengen

Außer der strittigen und zentralen Finanzierungsfrage der geplanten Investitionen wird auch der Klimaschutz weiter einer der Knackpunkte blieben. Etwa: Baut man Subventionen ab – damit dann auch die Prämie für E-Autos? Und was wird aus der Pendlerpauschale? Ein vorgezogener Kohleausstieg, eines der Kernforderungen der Grünen, steht derzeit nur als Möglichkeit im Sondierungspapier (“idealerweise gelingt das schon bis 2030”).

SPD-Kanzlerkandidat Scholz betont gern, SPD, Grüne und FDP verbinde “die Idee des Fortschritts”. “Sie haben unterschiedliche, aber sich durchaus überschneidende Vorstellungen davon.” Es gebe “große Schnittmengen” – etwa eine Vergrößerung und Modernisierung des Stromnetzes und den Ausbau der Energieerzeugung aus Windkraft und Solar. “Dafür müssen wir die Planungs- und Genehmigungsverfahren straffen und privatwirtschaftliche Investitionen in die Modernisierung der Industrie unterstützen. Da gibt es vieles, über das man sich verständigen kann.”