Anti-Lockdown-Papier von Streeck: “Effekt der Merkel-Strategie wird schnell verpuffen”

30. Oktober 2020 Aus Von mvp-web
Die Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit haben sich mit den Kassenärzten in einem Positionspapier gegen die offizelle Pandemiestrategie gestellt.

Kernforderung ist: mehr Sorge für die Schwachen, weniger Verbote für alle. Klingt gut, aber es hagelt auch Kritik.

Nicht erst seit dem Tag, als die Kanzlerin einen zweiten Shutdown verkündete, wird die deutsche Strategie zur Pandemiebekämpfung kritisiert. Doch kaum jemand äußert das Unbehagen mit so viel Hintergrundwissen wie die Virologen Hendrik Streeck, Universitätsklinik Bonn, und Jonas Schmidt-Chanasit, Tropeninstitut in Hamburg.

Zufällig am selben Tag, als die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder den November-Lockdown beschlossen, wurde ein sogenanntes Positionspapier vorgestellt, das die beiden Virologen zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) entworfen haben:

„Gemeinsame Position von Wissenschaft und Ärzteschaft – Evidenz- und Erfahrungsgewinn im weiteren Management der Covid-19-Pandemie berücksichtigen“.

Für diesen Titel gewinnen die Autoren zwar keinen Literaturpreis, aber auf wenigen Seiten fassen sie zusammen, was sie im Moment für die wichtigsten Maßnahmen in der Pandemiebekämpfung halten.

Das sind die Kernforderungen für den künftigen Umgang mit der Pandemie:

  • Die Eindämmung des Infektionsgeschehens sollte nicht allein durch die Kontaktnachverfolgung geschehen.
  • Ein bundesweit einheitliches Ampelsystem sollte die aktuelle Lage auf einen Blick erkennen lassen, bis hinunter zur Kreisebene.
  • Die Ressourcen sollten sich auf den Schutz derjenigen Personen konzentrieren, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 tragen.
  • Die Risikokommunikation sollte weg von Verboten hin zu Motivation und Eigenverantwortung gehen.

Papier steht im Widerspruch nicht nur zur Kanzlerin

Während die politische Führung sich darauf festlegte, das gesellschaftliche Leben in Deutschland noch einmal deutlich einzuschränken, erklären die Autoren, dass ein neuerlicher Lockdown die falsche Reaktion auf die stark gestiegenen Zahlen sei. Der senke kurzfristig die Infektionszahlen. Der Effekt verpuffe aber schnell wieder, wie man in Spanien und Frankreich gerade sehe.

Gerade Hendrik Streeck hat sich in letzter Zeit öfter gegen Panikmache und Angst schürende Expertenmeinungen gewandt. Auch im Papier ist es ein zentrales Anliegen, die Menschen mitzunehmen, ihnen Mut zu machen. Dort heißt es: „Wir müssen uns ehrlich eingestehen: Dieses Virus wird uns die nächsten Jahre begleiten. Deshalb müssen wir viel stärker darüber sprechen, wie das Zusammenleben trotz des Virus in größtmöglicher Freiheit stattfinden kann. Wir wollen und können es zusammen schaffen und zwar nicht mit Angst, Panik und Verboten, sondern mit dem Aufzeigen von Alternativen.“

Wenn Eigenverantwortung statt Bevormundung an der Tagesordnung wären, würden die Bürger auch die Kontaktverfolgung in die Hand nehmen, sind die Autoren überzeugt. Infizierte würden ihre Kontakte selbst informieren, die Gesundheitsämter wären entlastet und könnten sich auf die Risikogruppen fokussieren.

Mehr Schutz für vulnerable Mitbürger statt komplettem Shutdown

Deren Schutz liegt den Autoren besonders am Herzen, wurde bisher aber kläglich versäumt. Es braucht Präventionskonzepte, die aber ohne eine Isolation ganzer Bevölkerungsgruppen gegen deren Willen auskommen muss.

Zum Schutz vulnerabler Menschen schlagen die Autoren vor:

  • Besucher in Seniorenheimen, Pflegeheimen und Krankenhäusern erhalten in einem „Schleusen“-Modell nur nach negativem Antigen-Schnelltest Zutritt.
  • Das ärztliche und pflegerische Personal sowie das Reinigungspersonal werden regelmäßig getestet.
  • Das ärztliche und pflegerische Personal sowie das Reinigungspersonal und auch die Besucher tragen beim Kontakt mit den Patienten/Bewohnern FFP2-Masken.
  • Der Aufbau und die Unterstützung von Nachbarschaftshilfen für Personen, die der Risikogruppe angehören, aber zu Hause leben, wird durch Städte, Kreise und Kommunen etabliert. Personen, die sich selbst isolieren, sollen dabei unterstützt werden.

Den besonderen Schutz von Menschen mit hohem Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs vermisst auch Epidemiologe Gérard Krause vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Sie spielten bei den Lockdown-Überlegungen keinerlei Rolle. Krause sagt: „Wir müssen die Infektionszahlen senken. Aber viel wichtiger ist, dass wir die Erkrankungszahlen senken. Und noch viel wichtiger ist, dass wir die Zahl der schweren Erkrankungen senken.“