Erster Punkt bereits nach Widerstand vertagt: Hier kracht es heute auf dem Merkel-Gipfel

16. November 2020 Aus Von mvp-web
Die anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen lassen aus Sicht der Bundeskanzlerin nach zwei Wochen Teil-Lockdown keine Lockerungen zu. Im Gegenteil – Merkel will auf einem Gipfel mit den Ministerpräsidenten über noch drastischere Vorgaben reden. Es gibt Widerstand – ein erster Punkt wurde bereits vertagt.

Der Bund will die Kontaktbeschränkungen schon vor Ablauf des Teil-Lockdowns im November drastisch verschärfen. Das geht aus dem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegendem Entwurf der Beschlussvorlage des Bundes für die Video-Konferenz von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten an diesem Montag (ab 14 Uhr) hervor. Vorgeschlagen wird zudem ein weiteres Treffen eine Woche später, am 23. November.

Thema Schule beim Corona-Gipfel: Erster Punkt schon vertagt

Schon im Vorfeld wurde klar, dass Bund und Länder bei ihrer Videokonferenz voraussichtlich keine schärferen Schritte für die Schulen beschließen werden. Nach einer geänderten Vorlage des Bundes sollen die Länder bis zur kommenden Woche einen Vorschlag vorlegen, wie Ansteckungsrisiken im Schulbereich weiter reduziert werden können. Die geänderte Vorlage liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

“Die Stimmung in der Vorbesprechung ist sehr schlecht”

Offenbar gibt es bereits im Vorfeld des Corona-Gipfels Unmut über das Vorpreschen des Kanzleramtes. “Die Stimmung in der Vorbesprechung ist sehr schlecht”, zitiert der “Spiegel” eine Stimme aus einem unionsregierten Bundesland. In der Vorberatung der Länder zu dem Gipfel zeigte sich dem Bericht zufolge unter anderem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sehr unzufrieden. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) beschwerte sich laut Teilnehmern, die Länder seien “keine nachgeordnete Dienststelle des Kanzleramts”.

Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) schrieb bei Twitter, der Plan des Kanzleramts sei “kein Vorschlag, der mit den Ländern besprochen oder abgestimmt ist”. Dieses Vorgehen führe zu “Verunsicherung anstatt zur gemeinsamen Orientierung für die Bevölkerung”.

Bericht: Länderchefs präsentieren Gegenentwurf zu Vorschlägen aus Kanzleramt

Die Länderchefs haben inzwischen nach Informationen des Wirtschaftsmagazins „Business Insider“ einen eigenen Vorschlag für neue Corona-Regeln gemacht. Die Beschlussempfehlung liege dem Magazin vor.

Demnach richten die Länder deutlich klarer als der Bund bloß einen Appell an die Menschen, ihre Kontakte zu verringern. Gestrichen ist demnach der Vorschlag des Kanzleramtes, „sich bei jedem Erkältungssymptom und insbesondere Krankheitssymptomen der Atemwege, zum Beispiel bei Husten oder Schnupfen unmittelbar nach Hause in Quarantäne begeben“. Ebenfalls raus ist die Regelung, dass sich Kinder und Jugendliche nur noch mit einem festen Freund oder einer festen Freundin treffen dürfen.

Gestrichen haben die Länder auch eine geplante Verschärfung der Kontaktbestimmungen. Der Bund wollte festlegen, dass der Aufenthalt in der Öffentlichkeit ab sofort nur mit den Angehörigen des eigenen und maximal zwei Personen eines weiteren Hausstandes gestattet sei. Die Länder wollen das nur noch als Appell an die Menschen richten.

Die vom Kanzleramt geplanten Maßnahmen des Corona-Gipfels im Überblick:

Menschen sollen weniger Kontakte haben

Kontaktbeschränkungen

Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit soll nach dem Willen des Bundes nur mit den Angehörigen des eigenen und maximal zwei Personen eines weiteren Hausstandes gestattet sein. “Dies gilt verbindlich und Verstöße gegen diese Kontaktbeschränkungen werden entsprechend von den Ordnungsbehörden sanktioniert”, heißt es im Papier. Darüber hinausgehende Gruppen feiernder Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen sowie privaten Einrichtungen seien “angesichts der ernsten Lage in unserem Land inakzeptabel”.

Auch hier ist unklar, ob es schon heute Beschlüsse gibt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur könnte auch erst bei der Sitzung am 23. November entschieden werden, wie mit den geltenden Kontaktbeschränkungen umgegangen wird, die bisher bis Ende des Monats befristet sind. Bis dahin könne auch die weitere Entwicklung bei den Corona-Infektionszahlen in die Überlegungen einbezogen werden, berichtet die Agentur unter Berufung auf Teilnehmerkreise.

Private Treffen

Trotz der bereits geltenden Bestimmungen zum Infektionsschutz würden die Ansteckungen weiterhin “im privaten Umfeld und außerhalb des öffentlichen Raumes stattfinden”, heißt es im Papier. Zur Senkung der Gefahr sollten Kinder und Jugendliche angehalten werden, sich nur noch mit einem festen Freund/Freundin in der Freizeit zu treffen. Auch private Zusammenkünfte mit Freunden und Bekannten sollten sich generell nur noch auf einen festen weiteren Hausstand beschränken. Auf private Feiern solle zunächst bis zum Weihnachtsfest ganz verzichtet werden. Seit dem 2. November gilt, dass sich nur Angehörige des eigenen und eines weiteren Hausstands in der Öffentlichkeit aufhalten dürfen, maximal jedoch 10 Personen.

Empfehlung nach Corona-Gipfel: Isolation bei Erkältungssymptomen

Quarantäne

Der Bund empfiehlt allen Menschen mit Erkältungssymptomen und insbesondere bei Husten und Schnupfen, sich unmittelbar nach Hause in Quarantäne zu begeben.

“Dort sollen sie fünf bis sieben Tage bis zum Abklingen der Symptome verbleiben”, heißt es. Dort sei darauf zu achten, die Distanz auch zu anderen Mitgliedern des Hausstandes und insbesondere zu Risikogruppen im Haushalt zu wahren. “Die Krankschreibung soll telefonisch durch den Hausarzt erfolgen zunächst ohne Präsenzbesuch in der Praxis.” In Absprache mit dem Arzt werde auch geklärt, ob ein Corona-Test erforderlich sei.

Maßnahmen für Kinder und Ältere

Schulen (Dieser Punkt wurde bereits vertagt)

In der ursprünglichen Beschlussvorlage war vorgesehen, dass die Schulen wie im Teil-Lockdown grundsätzlich weiter offen gehalten werden. Zum Schutz vor Ansteckungen sollten aber auch hier die Maßnahmen verschärft werden, ein besonderer Fokus lag dabei dabei auf Jugendlichen, die älter als zwölf Jahre sind. Bei ihnen sei das Infektions- und Übertragungsrisiko vergleichbar mit dem von Erwachsenen. Daher soll nach dem Willen des Bundes das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für Schüler aller Jahrgänge und für Lehrer auf dem Schulgelände und während des Unterrichts vorgeschrieben werden. Dies ist bisher nicht in allen Bundesländern vorgeschrieben.

Zudem sollten die Klassen – sofern keine größeren Räume zur Verfügung stehen – halbiert und in festen Gruppen eingeteilt unterrichtet werden. Auch in Schulbussen sei der Mindestabstand von 1,5 Metern sicherzustellen. Im Falle von Quarantänemaßnahmen solle für alle betroffenen Schüler Distanzunterricht angeboten werden.

Nach einer geänderten Vorlage des Bundes sollen die Länder nun bis zur kommenden Woche einen Vorschlag vorlegen.

Schutz von Risikogruppen

Besonders gefährdete Menschen wie Alte, Kranke oder Personen mit Vorerkrankungen sollen nach dem Willen des Bundes zum Schutz vor dem Coronavirus von Dezember an vergünstigte FFP2-Masken erhalten. Um das Risiko einer Infektion zu reduzieren, werde der Bund auf seine Kosten für diese Bevölkerungsgruppe die Abgabe von je 15 dieser Masken gegen eine geringe Eigenbeteiligung ermöglichen. Das ergebe rechnerisch eine Maske pro Winterwoche. Zudem wird geraten, Besuche bei besonders gefährdeten Menschen nur dann zu unternehmen, wenn alle Familienmitglieder frei von Symptomen seien und sich seit einer Woche in keine Risikosituationen begeben hätten.

Was Corona-Gipfel plant, um Infektionsgeschehen zu reduzieren

Impfzentren

Die Länder sind gehalten, ihre Impfzentren und -strukturen ab dem 15. Dezember so vorzuhalten, dass eine kurzfristige Inbetriebnahme möglich ist. Bis Ende November sollen die Länder dem Bund mitteilen, wie viel Impfungen sie am Tag planen.

Nachverfolgung von Infektionen

Da eine vollständige Nachverfolgung von Kontakten oft nicht möglich ist, sollen bei Ausbruchsgeschehen in einem bestimmten Cluster wie einer Schule oder einem Unternehmen die Maßnahmen wie eine Quarantäne auch ohne positives Testergebnis angewendet werden. “Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit ist die Isolierung von Kontakt- bzw. Ausbruchsclustern im Vergleich zu Beschränkungsmaßnahmen ein milderes Mittel”, heißt es.

Gesundheitsämter

Bis Ende des Jahres sollen die neuen digitalen Werkzeuge zur Erfassung der Infektionen in den Behörden deutlich stärker genutzt werden. Zudem soll die Corona-Warn-App fortwährend verbessert und mit neuen Funktionen angeboten werden.

Maßnahmen-Evaluation

Das Treffen an diesem Montag – zwei Wochen nach Inkrafttreten der November-Kontaktbeschränkungen – war zunächst nur für eine Zwischenbilanz gedacht. Wie es ab Dezember bis Weihnachten weitergeht, soll dann in der kommenden Woche beraten werden. Als Terminvorschlag nennt das Papier den 23. November.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig mahnte Bund und Länder zur Geduld. “Es ist erst zwei Wochen her, seitdem die November-Schutzmaßnahmen in Kraft getreten sind. Ich halte jetzt nichts von voreiligen weiteren Schließungen oder Lockerungen”, sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Montag).

Wer wo steht und bei welchen Punkten es kracht

Ähnlich wie Schwesig argumentieren auch andere Politiker. So äußerte sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im ZDF-Morgenmagazin vorsichtig: Es könne klug sein, „jetzt die eine Woche nochmal zu warten, um das weitere Verfahren zu sehen, aber auch um sich vorzubereiten“. Söder plädiert zudem dafür, über alternative Unterrichtsformen nachzudenken, um Schulen und Kitas in der Corona-Krise so lange wie möglich geöffnet halten zu können.

Auch Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, warnt vor übereilten Entscheidungen. Im Bericht aus Berlin zeigt sie sich am Sonntagabend skeptisch: „Echte Konsequenzen nach zwei Wochen – (…) ich weiß ich nicht, ob man die jetzt schon ziehen kann oder ob wir nicht einfach eine Auswertung machen und uns dann wenige Tage später einfach nochmal zusammensetzen.“, so Dreyer.Denkbar ist, dass Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten die Entscheidung vertagen – also weder neuen Lockerungen festgelegt werden, aber eben auch noch keine Verschärfungen. Dies berichtete bereits der „Spiegel“ unter Berufung auf eine Besprechung von Kanzleramtschef Helge Braun mit den Chefs der jeweiligen Staatskanzleien am Sonntagvormittag. Stichtag soll der 23. November sein. Die Entwicklung des „Wellenbrechers“ könne so noch eine weitere Woche beobachtet werden.

Streitpunkt Schulen beim Corona-Gipfel

Beim Thema Schulen ist Berichten zufolge eine Verschiebung der Entscheidung offenbar bereits beschlossene Sache. Das Thema sei sehr sensibel, hieß es nach Vorbesprechungen am Montag aus Teilnehmerkreisen. Widerstand komme sowohl von SPD-regierten Ländern als auch von Seiten einiger CDU- Ministerpräsidenten.

Klar ist: Wirbt Merkel vehement für ihren radikalen Kurs, ist Zoff programmiert. So sagte etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit Blick auf den heutigen Gipfel: „Wenn danach neue Regeln nötig sind, dann nur mit Parlamentsentscheidungen“, sagte der Linken-Politiker schon vor der Pressekonferenz. Er pocht schon seit Beschluss des „Wellenbrecher-Lockdowns“ auf die Beteiligung der Parlamente.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident (CDU) Daniel Günther will Verschärfungen vermeiden, wenn sie nicht nötig sind. Am Samstag sagt er dem „Spiegel“: „Die Infektionszahlen sind in Schleswig-Holstein niedriger als im Bundesdurchschnitt. Ich werde die Einschränkungen nur so lange aufrechterhalten, wie sie notwendig sind.“ Sollten die Zahlen in seinem Land also weiter sinken, scheint seine Unterstützung der bundesweiten Lösung zu schwinden.Anders die Sicht von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU): „Die steigende Zahl der Covid-Patienten in den Krankenhäusern spricht eine eindeutige Sprache“, sagte er. Dennoch sprach er sich dafür aus, mit einer Entscheidung über verschärfte Maßnahmen noch eine Woche zu warten. Dann seien jedoch harte Regeln möglich: „Wenn die Fallzahlen weiter steigen, müssen wir dem Beispiel des Berchtesgadener Landes folgen“, sagte er am Samstag. Dort gilt schon seit Oktober eine Ausgangsbeschränkung. Sachsen hat – anders als in Frühjahr – mit gleich mehreren Hotspots-Gebieten zu kämpfen, für die bereits schärfere Maßnahmen gelten.

Merkel behielt schon einmal Recht mit ihrer Warnung

Doch dem ein oder anderen Länderchef dürfte noch Merkels Warnung aus dem Oktober im Gedächtnis sein. Damals war es auch Merkel, die sich für schärfere Regeln aussprach, sich jedoch nicht durchsetzen konnte. „Dann sitzen wir in zwei Wochen wieder hier“, warnte sie Mitte des Monats. Sie sollte recht behalten. Ende Oktober konnte sie sich mit den Länderchefs dann auf härtere Maßnahmen für den November einigen.

Opposition gehen Merkel-Maßnahmen zu weit

Der Opposition im Bundestag gehen bereits die bisherigen Maßnahmen zu weit. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, sagte der “Welt”: “Es ist klar, dass Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln weiterhin gelten müssen. Pauschale Schließungen beispielsweise für Hotels, Gastronomie oder Kulturveranstaltungen, die Hygienekonzepte haben, sind jedoch unverhältnismäßig und stoßen auch bei den Bürgern auf Unverständnis.”

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel kritisierte ebenfalls in der “Welt”: “Die Art und Weise, in der hier Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, untergräbt den demokratischen Rechtsstaat.” Dagegen forderte die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche in der Zeitung einen “interdisziplinären Pandemie-Rat”. Darin dürften sich “nicht nur Epidemiologen und Ärzte wiederfinden, sondern auch weitere Experten wie etwa Sozialwissenschaftler, Experten für Digitalisierung, Schulen und Kommunikation.”

Merkel hatte die Bürgerinnen und Bürger schon am Samstag erneut auf schwierige Monate eingestimmt. “Der vor uns liegende Winter wird uns allen noch viel abverlangen”, sagte die Kanzlerin in ihrem Video-Podcast. Innerhalb eines Tages hatten die Gesundheitsämter nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Sonntag in Deutschland 16 947 neue Corona-Infektionen gemeldet. Die 7-Tage-Inzidenz lag demnach am Freitag bei 140,4 Fällen in sieben Tagen pro 100 000 Einwohner. Ziel der Bundesregierung ist es, an eine Inzidenz von 50 heranzukommen. Erst dann sei es wieder möglich, dass einzelne Kontakte von Infizierten nachvollzogen werden könnten.