RNA-Impfstoffe kurz vor der EU-Zulassung: 7 Punkte sind noch unklar

1. Dezember 2020 Aus Von mvp-web
Nach US-Hersteller Moderna hat jetzt auch das deutsch-amerikanische Pharma-Tandem Biontech/Pfizer die Eilzulassung für seinen Corona-Impfstoff in Europa beantragt. Laufen die Prüfschritte reibungslos, könnten die Behörden sie sehr schnell erteilen.

Vor einigen Wochen noch war ein wirksamer Corona-Impfstoff eine Zukunftsvision, die zwar mit gewaltiger Hoffnung aufgeladen war. Doch sie schien weit entfernt. Jetzt haben innerhalb eines Tages zwei Hersteller die Eilzulassung für einen Impfstoff bei der Europäischen Arzneimittelagentur beantragt. Gibt diese den Anträgen statt, könnten noch im Dezember die ersten Menschen geimpft werden.

Das Ende der Corona-Beschränkungen rückt damit entscheidend näher. Sind die Hersteller in der Lage, die Produktion schnell auf Masse hochzufahren und lassen sich ausreichend viele Menschen impfen, könnte das Leben schon im kommenden Winter wieder weitgehend normal ablaufen. Viele Fragen zu den potenziell schon sehr bald auf dem Markt verfügbaren Impfstoffen sind jedoch weiter offen – und werden es in Teilen auch im Fall einer Zulassung danach noch eine Weile bleiben.

1. Wie lange dauert der Zulassungsprozess?

Abschließend ist das bisher nicht abzusehen. Die Europäische Arzneimittelagentur Ema hat allerdings angekündigt, für den Kandidaten von Biontech und Pfizer bis spätestens 29. Dezember zu einem Ergebnis kommen zu wollen. Unter Umständen könnte der Prüfprozess auch etwas schneller ablaufen; die Zulassung dadurch einige Tage früher erfolgen. Für den Moderna-Impfstoff peilt die Ema eine Entscheidung bis zum 12. Januar an.

Gibt die Arzneimittelbehörde grünes Licht, muss die Impfstoff-Entscheidung noch durch eine weitere Instanz, ehe sie in Kraft treten kann und der Impfstoff tatsächlich verimpft werden darf: Die EU-Kommission muss ebenfalls zustimmen. In der Regel folgt das Gremium aber der Ema-Empfehlung.

Auch diese Genehmigungschleife könne innerhalb weniger Tage erfolgen, sagte ein Sprecher. Vor der Entscheidung werde Rücksprache mit einem Expertengremium gehalten, in dem alle EU-Staaten vertreten seien. Auch dieses muss mit qualifizierter Mehrheit der Genehmigung zustimmen. Alle Beteiligten hätten aber dasselbe Interesse, dass sichere und wirksame Mittel rasch verfügbar würden.

2. Wie wird die massenhafte Impfung organisiert?

Damit die Ausbreitung des Virus wirksam und schnell verringert werden kann, müssen sehr viele Menschen in möglichst kurzer Zeit geimpft werden. Das bedeutet nicht nur für die Hersteller einen enormen Produktions- und Logistikaufwand, auch die Organisation der Impfungen selbst, die bei den Bundesländern liegt, ist kompliziert.

Beim Biontech-Vakzin kommt außerdem hinzu, dass das Präparat bis zu minus 70 Grad kalt gelagert werden muss. Dafür sind spezielle Tiefkühlschränke erforderlich. Auch deshalb soll die Corona-Impfung künftig in speziell dafür eingerichteten Impfzentren und nicht in Hausarztpraxen erfolgen. Bayern plant allein bis Mitte Dezember 100 solcher Zentren, Nordrhein-Westfalen mehr als 50. Ein Arzt soll dort nach einer Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen bis zu 96 Menschen täglich impfen, wie es in einem Papier des Bundesgesundheitsministeriums heißt. Für Personen, die in Alten- oder Pflegeheimen leben, soll es zusätzliche mobile Impfteams geben.

3. Wann werden so viele Menschen geimpft sein, dass der Effekt der Herdenimmunität erreicht und die Corona-Regeln obsolet sein werden?

Damit Mediziner von einer Herdenimmunität sprechen – also dem Zustand, dass in einer Bevölkerung so viele Menschen immun gegen ein Virus sind, dass Infektionsketten schnell abbrechen und sich der Erreger nicht mehr oder nur noch sehr langsam verbreitet – müssen in etwa zwei Drittel der Menschen immun sein. Bislang sind das nach heutigem Wissensstand nur sehr wenige Menschen, nämlich nur die, die eine Infektion vollständig durchgemacht haben.

Für eine Herdenimmunität müssten sich folglich etwa 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, schätzt Virologin Ulrike Protzer von der TU München. Sie geht davon aus, dass das erst im Spätherbst 2021 der Fall sein könnte. Doch selbst wenn eine Herdenimmunität noch nicht erreicht ist, unterbrechen Geimpfte Infektionsketten; das Virus verbreitet sich dadurch zumindest langsamer in der Bevölkerung. Erste Effekte dessen erwarten Experten bereits früher im Jahr 2021.

Die Rückkehr zu einem weitgehend normalen Leben erwartet auch der oberste Mediziner des US-Impfstoffherstellers Moderna bis zum kommenden Winter. Er sei sehr optimistisch, dass wir bis dahin das Blatt wenden könnten, erklärte er jüngst im Gespräch mit FOCUS Online.

4. Wie viele Menschen werden sich bei einer Zulassung impfen lassen?

Neben medizinischen und logistischen Belangen ist auch die Bereitschaft der Menschen, sich mit den neuen Impfstoffen impfen zu lassen, entscheidend dafür, wie schnell eine Herdenimmunität erreicht werden kann. In Deutschland war sie zuletzt gesunken: Laut einer Umfrage der Universität Erfurt liegt die Impfbereitschaft Mitte November bei etwa 53 Prozent. Mitte April wollten sich noch 79 Prozent der Befragten impfen lassen.