Wie impft man Milliarden Menschen? Diese Probleme muss die Weltgemeinschaft lösen

6. Mai 2020 Aus Von mvp-web

Wann ist es endlich vorbei? Wann können wir zurück in unseren normalen Alltag? Darauf wird es erst eine Antwort geben, wenn ein wirksamer Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt wurde.

Und dafür braucht es vor allem Geld – und eine gerechte und zügige Verteilung des Impfstoffs auf der ganzen Welt. Nur so kann der globale Kampf gegen Covid-19 gewonnen werden, sind sich Experten sicher.

Im Rahmen einer internationalen Geberkonferenz unter der Schirmherrschaft von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine weltweite Allianz aus Nationalsaaten, Unternehmen, Stiftungen und NGOs am Montag für die Suche nach Impfstoffen und Medikamenten Geld gesammelt. Ziel der Initiative ist, dass alle Kräfte für die Forschung an Impfstoffen und Arzneien gebündelt werden und alle Länder weltweit – auch ärmere – davon profitieren. Allen Menschen auf der Welt soll ein gerechter Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten ermöglicht werden.

Experten des Global Prepardness Monitoring Board (GPMB), ein von der UN unterstütztes Gremium, das sich auf Gesundheitsrisiken konzentriert, schätzen, dass unmittelbar 8 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um dieses Ziel zu erreichen. 3 Milliarden entfallen auf Entwicklung, Herstellung und die Verteilung eines möglichen Impfstoffes gegen Covid-19. 2,25 Milliarden werden für die Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19 benötigt, 750 Millionen für Testkits und weitere 750 Millionen für Schutzausrüstung. 1,25 Milliarden sollen an die WHO fließen, um damit die am meisten gefährdeten Länder zu unterstützen.

NGOs wandten sich vor Geberkonferenz in offenem Brief an Bundeskanzlerin Merkel

Umgerechnet sind bei der Konferenz am Montag genau 8,07 Milliarden US-Dollar zusammengekommen – ein Erfolg. Mit einem Beitrag von einer Milliarde Euro trägt die EU-Kommission selbst einen großen Anteil dazu bei. Weitere Großspenden kommen etwa aus Deutschland (525 Millionen Euro), Frankreich (500 Millionen Euro), Großbritannien (umgerechnet 442 Millionen Euro) und Kanada (umgerechnet 780 Millionen Euro). Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sagte 115 Millionen Euro zu, Italien 140 Millionen Euro. Es fehlen die USA. US-Präsident Donald Trump hat sein eigenes Programm gestartet, um einen Impfstoff zu entwickeln und nach seinen Angaben bis zum Jahresende Hunderte Millionen US-Amerikaner impfen zu können. Forscher bezweifeln stark, dass das realisierbar ist.

Vor der Geberkonferenz wandten sich Nichtregierungsorganisationen wie das Kinderhilfswerk „World Vision“ oder „Ärzte ohne Grenzen“ in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, die den Ko-Vorsitz der Finanzierungskonferenz inne hatte. Sie riefen sie dazu auf, globale Solidarität zu beweisen und sich dafür einzusetzen, dass Medikamente, Impfstoffe und medizinische Versorgung weltweit allen Menschen zu einem bezahlbaren Preis zur Verfügung gestellt werden.

Wichtig, “dass Impfstoff allen Menschen zugutekommt”

Merkel selbst sagte vor der Konferenz: “Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben, Millionen von Menschenleben zu retten auf dieser Welt“. Wichtig sei, “dass ein Impfstoff allen Menschen zugutekommt, wenn er einmal entwickelt wurde” und dass auch Medikamente und Diagnosemöglichkeiten “möglichst vielen zugutekommen”. Daher müssten diese in großen Mengen produziert werden können.

Doch wie ist das zu schaffen? Elisabeth Massute von „Ärzte ohne Grenzen“ betont im Gespräch mit FOCUS Online, dass es die Organisation begrüße, dass so viel Geld zusammengekommen sei und so viele Länder Bereitschaft zeigen, mit Geldern die medizinische Forschung im Kampf gegen Covid-19 voranzutreiben.

“Ärzte ohne Grenzen” fordert, die Gelder an konkrete Bedingungen zu knüpfen

„Doch die Frage ist, an welche Bedingungen die Gelder geknüpft sind. Es braucht Bedingungen, die für einen gerechten Zugang aller Länder zu Impfstoffen, Diagnostik, Therapien und Testmöglichkeiten sorgen.“ Die einzige Instanz, die das koordinieren könne und sollte, sei die WHO. Denn dort liege momentan die Expertise. „Nur so kommen ärmere Länder mit an den Verhandlungstisch“, sagt Massute. Nationale Interessen dürften diesen Prozess nicht dominieren. „Besonders passend finde ich da eine Aussage von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der im März betonte: ‚Viren haben keine Staatsangehörigkeit. Genauso wird das Gegenmittel keine Staatsangehörigkeit haben‘.“

Doch warum ist es überhaupt so wichtig, dass möglichst zügig auch ärmere Regionen der Erde Zugang zu einem möglichen Impfstoff bekommen? Die Epidemie hat weltweit bislang rund 3,6 Millionen Menschen infiziert, über 253.000 sind an Covid-19 gestorben (Stand 5. Mai) – und das Virus hat mittlerweile fast jedes Land der Erde erreicht. Besiegt werden kann Corona folglich auch nur, wenn ein Impfstoff dann auch weltweit zur Verfügung steht. Doch gerade für ärmere Regionen der Erde könnte das zum Problem werden.

„Es ist existenziell wichtig, dass alle Maßnahmen zu Test, Vorbeugung oder Prävention von Covid-19 in allen Ländern verfügbar sind“, betonte die Stiftung Wellcome Trust vor der Geberkonferenz. „Impfstoffe und Medizin müssen global erhältlich sein, egal wo sie entwickelt wurden oder wer sie finanziert hat.“

Länder mit schlechten Gesundheitssystemen brauchen schnell Impfstoffe und Medikamente

Doch was braucht es konkret, um eine zügige, globale Verteilung zu sichern? Die Kühlung, der Preis und die Geschwindigkeit der Herstellung werden am Ende wichtig sein, um die globale Verfügbarkeit zu sichern, sind Experten sicher. Experten und NGOs warnen, dass das vor allem in Afrika schwierig werden könnte.

Die meisten Länder Afrikas haben kein gut funktionierendes Gesundheitssystem. Ein Erreger wie Covid-19 kann dort verheerende Folgen haben. „Das größte Problem ist: Wir sehen ja schon in hochentwickelten Ländern, dass die Gesundheitssysteme überfordert sind“, sagte Notfallmediziner Tankred Stöbe im Gespräch mit FOCUS Online.

Die Ressourcen und Ausstattungen mit Krankenhäusern, Intensivbetten und medizinischem Personal sind in den meisten Ländern Afrikas meilenweit von den europäischen und westlichen entfernt, erklärt Stöbe. Das Coronavirus kann folglich zu vielen schwerkranken Menschen und zu vielen Toten führen. „Daher ist es dringend nötig, dort Impfstoffe zum Schutz vor SARS-CoV-2 zur Verfügung stellen zu können”, sagt eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, FOCUS Online.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: „Wenn ein Land wenig Intensivbetten und Beatmungsgeräte hat, ist es umso wichtiger, dass Personal und Risikogruppen früh geschützt werden“, sagt Elisabeth Massute von “Ärzte ohne Grenzen”.

FOCUS Online: Dienstag, 05.05.2020, 21:26