Anti-Corona-Demos in ganz Deutschland: „Diese Menschen haben es nicht verstanden“

10. Mai 2020 Aus Von mvp-web

„Legt den Maulkorb ab“, „Widerstand“: In etlichen deutschen Städten gab es am Samstag Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen. Auf Abstandsregeln nahmen viele keine Rücksicht, die Polizei war stellenweise machtlos. Auf den Demos tummelten sich Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme – und ein bekannter FDP-Politiker.

In mehreren deutschen Städten haben am Samstag Tausende Menschen gegen die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie demonstriert. Einer der Schwerpunkte war Stuttgart. Auch in Berlin, München und Frankfurt gab es Proteste.

Berlin-Demo: Promi-Köche und Judensterne

Trotz der Lockerungen von Einschränkungen haben in Berlin zahlreiche Menschen gegen die Corona-Verordnungen demonstriert. Gegen Abend versammelten sich spontan laut Polizei etwa 1200 Menschen am Alexanderplatz zu einer nicht angemeldeten Zusammenkunft.

Viele Teilnehmer skandierten unter anderem „Freiheit“, „Widerstand“, „Volksverräter“ und „Wir alle sind das Volk“. Einige bestiegen den Brunnen der Völkerfreundschaft. Aus der Menge wurden laut Polizei Flaschen auf Beamte geworfen. Die Polizei setzte nach Beobachtungen eines dpa-Fotografen Pfefferspray ein. Es gab mehrere Festnahmen. Zur genauen Zahl konnte die Polizei am frühen Abend noch keine Angaben machen.

Am dicht gefüllten Alexanderplatz wiesen Polizisten die Demonstranten und Zuschauer auf die Regelungen zur Eindämmung der Corona-Infektionen hin. Unter den Demonstranten – auch vor dem Reichstag und auf dem Rosa-Luxemburg-Platz an der Volksbühne – befanden sich Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten. Mehrere Teilnehmer trugen die in der NS-Zeit zur Kennzeichnung von Juden verwendeten Armbinden mit dem gelben Davidstern, um sich als neue unterdrückte Minderheit zu inszenieren.

Bei der Demonstration vor dem Reichstagsgebäude hat die Polizei wegen der Nichteinhaltung von Regeln zur Corona-Eindämmung bis zum Nachmittag etwa 30 Menschen festgenommen. Dabei ging es vor allem um die Feststellung der Personalien, weil trotz der Ansage der Polizei zu viele Menschen auf dem Platz vor dem Reichstag waren oder der Mindestabstand nicht eingehalten wurde.

Auch der für seine veganen Rezepte bekannte Koch Attila Hildmann wurde von der Polizei aufgefordert, sich einen anderen Protestplatz zuweisen zu lassen, nachdem sich vor dem Reichstag im Zusammenhang mit der Demonstration „Emotionen hochgeschaukelt“ hätten, wie eine Sprecherin sagte. Er sei aber nicht festgenommen worden und habe den Platz später verlassen.

Köln: Polizeipräsident wütend auf Corona-Demonstranten

In Köln haben mehrere hundert Menschen unangemeldet gegen die Corona-Schutzmaßnahmen demonstriert – ohne den Mindestabstand einzuhalten und ohne Mundschutz. Das teilte die Polizei am Abend mit. „Ein Großteil der Demonstranten hat Unbeteiligte mehrfach dazu aufgefordert, den Mundschutz abzunehmen und ohne Maske die Geschäfte zu betreten. Dafür haben wir absolut kein Verständnis“, teilte Polizeipräsident Uwe Jacob mit. „Es ist mir unbegreiflich, wie man so etwas in diesen Zeiten fordern kann. Offenbar haben diese Menschen immer noch nicht verstanden, dass es hier nicht nur um ihre Gesundheit, sondern auch um das Leben anderer Menschen geht.“

Die Polizei nahm die Personalien der mutmaßlichen Leiterin der Demonstration und weiterer Begleiter auf dem Podest auf. Es werde nun wegen des Verstoßes gegen die Corona-Schutzverordnung, gegen das Versammlungsgesetz und das Infektionsschutzgesetz ermittelt.

Auch Kinder waren unter den Teilnehmern. „Ich kann nachvollziehen, dass die momentane Ausnahmesituation für alle Kölnerinnen und Kölner nicht leicht zu bewältigen ist“, sagte der Polizeipräsident weiter. „Aber gezielt seine Gesundheit, die seiner Kinder und die Gesundheit unbeteiligter Menschen zu gefährden, macht es nicht besser. Wer die neuesten Lockerungen so unvernünftig aufs Spiel setzt, begünstigt einen erneuten und rasanten Anstieg der Infektionsfälle.“

Gera: FDP marschiert mit AfD auf Anti-Corona-Regeln

Im thüringischen Gera nahmen nach Polizeiangaben 600 Menschen an einer Demonstration gegen die Corona-Auflagen teil, die vom stadtbekannten Unternehmer Peter Schmidt angemeldet worden war. An dem „Spaziergang“ beteiligten sich unter anderem der AfD-Vize-Bundessprecher Stephan Brandner und Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP).

Kemmerich hatte sich im Februar mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen, gab nach einer Welle der Empörung sein Amt aber wieder ab. Die Teilnahme an einer gemeinsamen Demo mit der AfD sorgt für neuerliche Kritik: „Nur falls noch jemand Fragen hat, wo die FDP in Thüringen steht“, schrieb die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) auf Twitter.

Stuttgart: Voller Wasn bei „Querdenken“-Demo

Sebastian Gollnow/dpa In Stuttgart haben sich mehrere tausend Demonstranten auf dem Cannstatter Wasen versammelt

Einem erneuten Demonstrationsaufruf gegen die Coronavirus-Beschränkungen sind in Stuttgart mehrere Tausend Menschen gefolgt. Die Polizei verzeichnete auf dem Demonstrationsgelände einen regen Zustrom an Menschen, sagte ein Polizeisprecher. Es sei ziemlich voll geworden. Eine genaue Teilnehmerzahl konnte die Polizei zunächst nicht nennen. Die Polizei achtete auf die Einhaltung des Infektionsschutzes und des geforderten Abstands. Größere Probleme habe es nicht gegeben. Die Vorgaben seien meist eingehalten worden, es sei friedlich geblieben.

Für die als überparteilich bezeichnete Demo auf dem Cannstatter Wasen hatte der Initiator Michael Ballweg ursprünglich 50.000 Teilnehmer angemeldet. Dem schob aber die Stadt Stuttgart einen Riegel vor: Ballweg erhielt die Auflage, die Versammlung auf 10.000 Teilnehmer zu begrenzen. Mehr seien für Stadt und Polizei nicht machbar, sagte ein Sprecher der Stadt. Entscheidend sei, dass sich niemand bei der Demo anstecke, hatte die Stadt zuvor mitgeteilt.

Hinter dem Protest steht die Initiative „Querdenken“ von Ballweg. Seine regelmäßigen Demos erhielten zuletzt deutlich Zulauf.

München und Frankfurt: Die Polizei ist machtlos

Auf dem Marienplatz in München haben rund 3000 Menschen gegen die Corona-Regeln demonstriert, teils unter Missachtung der Abstandsregeln. Sie protestierten gegen die aus ihrer Sicht zu strikten Infektionsschutzbestimmungen in Bayern und Deutschland. Die Demonstration sei angemeldet gewesen, allerdings nur für 80 Teilnehmer, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums München.

Den Demonstranten sei es um den Schutz der Grundrechte gegangen. Nach Berichten von Augenzeugen warfen die Demonstranten in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie der Politik und auch Medizinern vor, Panikmache zu betreiben und die Grundrechte der Bevölkerung zu beschneiden. Auch Impfgegner waren unter den Demonstranten.

Die Polizei habe mit Lautsprecherdurchsagen versucht, auf die Einhaltung der Bestimmungen zu dringen, sagte der Sprecher. Aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ hätten die Ordnungshüter die Demonstration laufen lassen und sie nicht aufgelöst. Alle Teilnehmer hätten sich friedlich verhalten. Eine zeitgleich stattfindende separate Demonstration rechtsgerichteter Menschen mit etwa 25 Personen sei dagegen aufgelöst worden.

Mehr als 500 Demonstranten protestierten in Frankfurt. Sie zogen mit Transparenten durch die Innenstadt und riefen: „Legt den Maulkorb ab“, „Schließt Euch an“ und „Widerstand“. Nach Polizeiangaben handelte es sich um eine nicht angemeldete Kundgebung. Teilweise sei der Mindestabstand von 1,5 Metern unterschritten worden. Die Polizei löste die Demonstration trotzdem nicht auf.

Nürnberg: Aggressive Stimmung

Auch in Nürnberg fanden mehrere Versammlungen statt, wie die Polizei mitteilte. Vor der Lorenzkirche waren demnach am Nachmittag bis zu 2000 Menschen, darunter auch Passanten. Diese Versammlung sei unter dem Namen „Für Freiheit, Grundrechte und für Medizin ohne Zwangsmaßnahmen“ angemeldet worden, hieß es von der Polizei.

Die Beamten lösten die Versammlung auf, weil eine Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands nicht mehr möglich gewesen sei. Ein 34-Jähriger, der sich als Initiator der Versammlung zu erkennen gegeben hatte, habe den Platzverweis nicht befolgt und sei in Gewahrsam genommen worden. Es habe eine aggressive Stimmung geherrscht. „Aus diesem Grund drängten Einsatzkräfte die aggressive Personengruppe unter kurzzeitiger Anwendung von Zwang von der Örtlichkeit“, hieß es. Die Lage habe sich daraufhin wieder entspannt.

Dortmund: Rechtsextremer greift Journalisten an

In Dortmund hat ein Rechtsextremer laut Polizei ein Presseteam angegriffen. Der Mann habe gegen die Kamera der Journalisten geschlagen und eine Person leicht verletzt, teilte die Polizei mit. Der 23-Jährige kam in Polizeigewahrsam. Zuvor habe der Mann auf einer untersagten Versammlung auf dem Alten Markt einen Medienvertreter beleidigt.

Die Stadt Dortmund hatte die für den Samstagnachmittag angemeldete Demonstration gegen Corona-Einschränkungen aus infektionsschutzrechtlichen Gründen verboten. Dennoch erschienen der Polizei zufolge bis zu 150 Menschen, unter ihnen eine Gruppe polizeibekannter Rechtsextremer. Für welches Medium die Journalisten unterwegs waren, teilte die Polizei nicht mit.

Bremen: Gegendemonstranten verhindern Autokorso

In Bremen wollten nach Polizeiangaben Gegner der Corona-Maßnahmen einen Konvoi mit etwa 45 Autos abhalten. Das wurde nach Berichten von vor Ort aber von Gegendemonstranten auf Fahrrädern verhindert. Auch auf dem Marktplatz protestierten etwa 100 Menschen gegen die Einschränkungen in der Corona-Pandemie. In der Nähe versammelten sich bis zu 300 Gegendemonstranten.

Focus Online: Sonntag, 10.05.2020, 15:58