Mutation könnte Virus abschwächen Profil von Sars-CoV-2: Woher das Coronavirus kommt und was es als nächstes tut

18. Mai 2020 Aus Von mvp-web

Ständig berichten Wissenschaftler neue Ergebnisse ihrer Forschung zu dem neuen Erreger Sars-CoV-2. Und dennoch wissen wir nach wie vor einiges nicht. Besonders interessant ist dabei auch die Frage, wie sich das Coronavirus weiter entwickeln wird – und was das für den Fortgang der Pandemie bedeutet.

Im Jahr 1912 untersuchten deutsche Tierärzte eine kranke Katze. Sie fieberte, und ihr Bauch war geschwollen. Es könnte der erste überlieferte Fall einer Infektion mit einem Coronavirus sein. Auch andere Tiere zeigten rätselhafte Symptome. So litten Hühner an Bronchitis, und bei Schweinen rafften heftige Durchfälle fast alle ganz jungen betroffenen Ferkel dahin.

Erst in den 1960er Jahren fanden britische und US-Forscher heraus, dass eine Gruppe bestimmter Erreger diese Krankheiten auslöst. Sie hatten zwei Viren isoliert, die beim Menschen Erkältungskrankheiten verursachen. Ihre Oberflächen waren wie auch die Erreger der Tierseuchen mit Proteinstacheln gespickt. Unter dem Elektronenmikroskop glichen sie der Korona der Sonne, deshalb wurde die gesamte Gruppe der Erreger 1968 „Coronaviren“ genannt.

„Es war eine Familie dynamischer Killer: Hunde-Coronaviren konnten Katzen schädigen, das Katzen-Coronavirus wiederum konnte Schweinedärme zerstören“, schreibt dazu das Wissenschaftsjournal „Nature“ in einem Übersichtsartikel zur Covid-19-Pandemie. „Beim Menschen jedoch, so glaubten die Forscher, würden die Viren nur milde Symptome verursachen.“

Doch weit gefehlt: Der Ausbruch des Schweren Akuten Atemwegssyndroms (SARS), dem 2002/03 weltweit knapp 800 Menschen erlagen, offenbarte, wie leicht diese wandelbaren Viren auch Menschen töten können.

Sieben Corona-Stämme können auch Menschen infizieren

Jetzt zieht abermals ein Coronavirus um die Welt. Um die Pandemie zu bekämpfen, nehmen Forscher den neuen Erreger Sars-CoV-2 so gründlich wie möglich unter die Lupe. Dabei geht es ihnen nicht nur um seine Herkunft und molekularbiologischen Merkmale, sondern auch um seine mögliche Entwicklung und damit um den weiteren Verlauf des Seuchenzugs.

Diese begann höchstwahrscheinlich im Tierreich, denn Analysen des Erbguts (Genom) von Sars-CoV-2 zeigen, dass 69 Prozent seines genetischen Materials mit dem eines Virus übereinstimmen, der bei Fledermäusen aus einer Höhle in Yunnan gefunden wurde. Das deutet darauf hin, dass der Erreger aus Fledermäusen stammt.

Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Die sogenannten Stachelproteine Spike-Proteine von Coronaviren haben einen Abschnitt – die sogenannte Rezeptorbindungsdomäne (RBD) –, der bewirkt, dass das Virus sehr effektiv in menschliche Zellen eindringen kann. Bei Fledermaus-Viren ist das Protein anders aufgebaut, deshalb können sie keine Menschen infizieren. Der Erreger muss sich also verändert haben. Vermutlich geschah das in einem Zwischenwirt, der aber noch unbekannt ist.

Heute sind Dutzende Corona-Stämme bekannt, von denen sieben auch Menschen infizieren können. Vier davon verursachen Erkältungen, drei aber lösen teilweise schwere bis tödliche Erkrankungen aus, nämlich SARS, das Nahost-Atmungssyndrom MERS und aktuell Covid-19. Ihr Genom besteht aus dem Biomolekül RNS (bei anderen Erregern ist es DNS).

Im Virenreich fallen Coronaviren durch eine Besonderheit auf: Sie besitzen einen genetischen Korrekturmechanismus, der verhindert, dass sich bei der Vervielfältigung ihres Erbguts Mutationen anhäufen, die den Erreger schwächen. Dies könnte der Grund dafür sein, dass Medikamente wie Ribavirin, die andere Viren stoppen können, gegen Sars-CoV-2 nicht wirken. Ihre Wirkstoffe führen Mutationen herbei, die die Erreger deaktivieren. Bei den Coronaviren dürfte der Korrekturmechanismus solche Veränderungen wieder ausmerzen.

Entscheidend für Verlauf ist, wie sich Erreger im Körper einnistet

Lange war unklar, wieso Sars-CoV-2 so unterschiedlich schwere Verläufe von Covid-19 auslöst und wie es viele der Infizierten tötet. Hier sehen die Forscher inzwischen klarer. Generell bindet das Virus mit seinem Stachelprotein an ein Biomolekül namens ACE2, das auf den Oberflächen vieler Körperzellen sitzt, insbesondere in den Lungenbläschen und dem Dünndarm, aber auch in den Blutgefässen, die alle Organe durchziehen. Einmal angedockt, durchbricht der Erreger die Membran der Wirtszelle, schleust sein Erbgut in deren Inneres und zwingt sie, mit ihrer molekularen Maschinerie neue Viruspartikel zu produzieren. Diese verlassen die Zelle und können nun zahlreiche weitere Zellen befallen.

Entscheidend für den Verlauf von Covid-19 ist indes, wie sich der Erreger im Körper einnistet. „Erreichen uns zehn Viruspartikel vom Husten eines weiter entfernten Gegenübers, könnten diese eine Infektion im Hals auslösen“, erklärt der Pathologe Shu-Yuan Xiao von der University of Chicago. „Die dort befindlichen Flimmerhärchen werden aber wahrscheinlich ihre Arbeit tun und die Eindringlinge zügig beseitigen.“ Huste unser Gegenüber aus größerer  Nähe jedoch 100 Viruspartikel in unsere Richtung, schaffen es manche möglicherweise bis in die Lunge.

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Folglich kann die Krankheit im Rachen oder in der Nase beginnen, einen Husten auslösen und den Geschmacks- und Geruchssinn lahmlegen, dann endet dort die Infektion. Dabei gelangen Viren aus dem Rachen in den Speichel, noch bevor Symptome auftreten, und stecken per Tröpfcheninfektion andere Menschen an. Oder der Erreger erreicht gleich zu Beginn oder im Verlauf der Erkrankung die Lunge.

Häufig reagiert das Abwehrsystem zu heftig

Möglicherweise lässt eine Art Immunschwäche den Eindringling gewähren. Die meisten Infizierten bilden Antikörper, die sich mit dem Virus verbinden und es so hindern, in eine Zelle einzudringen. „Aber einige Menschen sind anscheinend nicht in der Lage, diese Antikörper zu bilden“, konstatiert der Infektiologe Clemens-Martin Wendtner vom Münchner Klinikum Schwabing. Das könne der Grund dafür sein, dass sich manche mit leichten Symptomen kurzfristig erholen, während bei anderen eine schwere Lungenerkrankung einsetzt.

In deren Verlauf zerstört Sars-CoV-2 jene winzigen Säckchen in der Lunge – die Alveolen –, die den Sauerstoff in den Blutkreislauf befördern. Kollabiert infolge der Infektion die zelluläre Barriere, die die Alveolen von den Blutgefäßen trennt, tritt Flüssigkeit aus den Gefäßen aus und blockiert die Aufnahme von Sauerstoff im Blut.

Andere Zellen, darunter weiße Blutkörperchen, verstopfen die Atemwege weiter. Eine zielgerichtete Immunantwort könnte diesen Prozess stoppen, doch häufig reagiert das Abwehrsystem zu heftig. Ein sogenannter Zytokinsturm setzt ein, der die Gewebeschäden noch verschlimmert. Im Extremfall lässt er die Organe versagen und führt schließlich zum Tod.

Womöglich sterben Menschen an einer Lungenembolie

Inzwischen wissen die Forscher, dass das Virus auch über die Blutbahnen durch den Körper wandert. Folglich kann es alle Organe befallen. Tatsächlich fanden Mediziner bei Patienten Schäden an Niere, Leber, Milz, Herz, Hirn und Darm. Dort können Nekrosen von Darmschlingen auftreten, wie US-Ärzte jüngst bemerkten. Dann kann nur eine rasche Entfernung des abgestorbenen Gewebes die Betroffenen retten. Selbst im Sperma wurde der Erreger entdeckt.

FOCUS-Online: Montag, 18.05.2020, 14:04