19.000 Neuinfizierte am Tag: Statistikerin erklärt Merkels Corona-Rechnung

28. September 2020 Aus Von mvp-web
Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt in einer Konferenz des CDU-Präsidiums vor einem enormen Infektionsanstieg in Deutschland. Sie prognostiziert bis zu 19.200 Neuinfektionen pro Tag. FOCUS Online hat bei Statistikerin Katharina Schüller nachgefragt, wie diese Zahl zustande kommt.

In einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums zeigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag sehr besorgt wegen der steigenden Zahlen von Corona-Neuinfektionen.

Merkel soll vor deutschlandweit mehr als 19.000 Infektionen am Tag gewarnt haben. Laut “Bild” sagte Merkel im CDU-Präsidium: „Wenn es so weitergeht, mit dem Trend, haben wir 19.200 Infektionen am Tag. Das ist wie in den anderen Ländern.“ Die Kanzlerin habe das hochrechnen lassen für den Fall, dass es einen exponentiellen Verlauf geben würde, hieß es. Eine Quelle bestätigte dies FOCUS Online.

So utopisch diese Zahl zunächst scheinen mag, ist sie in Wahrheit nicht. “Ich halte diese prognostizierte Entwicklung für denkbar”, erklärt Statistikerin Katharina Schüller gegenüber FOCUS Online. Insbesondere dann, wenn die Anzahl der täglich durchgeführten Tests weiterhin unverändert bliebe.

Zur Person

Katharina Schüller ist Geschäftsführerin und Gründerin des Unternehmens “Stat-up”. Die Statistikerin entwickelte bereits eine Risiko-Modellierungs-Software für das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und arbeitete vor einigen Jahren mit Kary Mullis zusammen, der für die Entdeckung der PCR (die biochemische Grundlage der Tests) den Nobelpreis bekam. Gemeinsam mit anderen Experten veröffentlicht sie monatlich die „Unstatistik des Monats“ zur Einordnung aktueller Statistiken. Sie setzt sich für das Thema “Repräsentative Tests” hinsichtlich des Coronavirus ein und startete dafür auch eine Petition.

Noch 20 Reproduktionszyklen bis Weihnachten

Sie führt aus: “Bis Weihnachten sind es noch zwölf Wochen. In den vergangenen sieben Tagen wurden in Deutschland 11.656 Neuinfektionen gemeldet – das sind im Durchschnitt 1665 pro Tag.”

Für die zwölf Wochen bis Weihnachten gebe es noch 20 bis 21 4-tägige Repdroduktionszyklen. Da der R-Wert über die vergangenen vier Tage stets bei etwa 1,13 gelegen habe, ergebe sich bei 20 Zyklen bis zum 24. Dezember eine Zahl von rund 19.178 Neuinfektionen.

Rechnung: 1665 x 1,13^20 = 19.178,941

Schüller räumt jedoch ein, dass diese Prognose nur unter zwei Voraussetzungen wahr sei: “Das stimmt nur unter der Annahme, dass der Anstieg der Neuinfektionen nicht, beziehungsweise höchstens marginal auf die gestiegene Zahl an Tests zurückzuführen ist.”

Eine andere Möglichkeit wäre, dass die erhöhte Anzahl der Tests zwar eine Rolle spiele, eine Überschätzung des Infektionsanstiegs aber künftig negativ kompensiert werde – etwa durch kältere Temperaturen und mehr Aufenthalt in geschlossenen Räumen. “In jedem Fall muss der R-Wert auf dem gleichen Niveau bleiben wie jetzt”, betont Schüller.

Surftipp: Alle Neuigkeiten zur Corona-Pandemie finden Sie im News-Ticker von FOCUS Online

In den vergangenen Kalenderwochen sei die Positiv-Quote der Tests angestiegen, die Zahl der Tests relativ konstant geblieben. “Das spricht dafür, dass der aktuelle R-Wert ziemlich unverzerrt ist”, meint Schüller.

Unter diesen Vorraussetzungen hält die Statistikerin die Bereichnung für realistisch. “Ob all diese Menschen aber tatsächlich krank werden”, betont sie, “das steht auf einem ganz anderen Blatt.”

Montag, 28.09.2020, 16:43