Drohende Rückzahlung bedroht Existenzen – Corona-Soforthilfe: Unternehmer wüten gegen Politiker und sprechen von „Schande“
3. August 2020Im März hatten Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier Kleinunternehmern Milliarden-Hilfen versprochen, um die Corona-Folgen abzufedern.
Nun gibt es Streit um die Rückzahlung. Der Bund weist jede Kritik zurück, viele Unternehmer sind stinksauer.Die Bundesregierung hat jegliche Kritik an den staatlichen Rückforderungen bei der Corona-Soforthilfe zurückgewiesen.
Es sei immer klar gewesen, dass die Zuschüsse an Bedingungen geknüpft seien, teilte das Bundeswirtschaftsministerium gegenüber FOCUS Online mit. Der Bund habe die Öffentlichkeit stets korrekt und transparent informiert. Verantwortlich für mögliche Rückforderungen seien die Bundesländer.
Allein in Nordrhein-Westfalen fürchten Tausende Gewerbetreibende und Solo-Selbstständige durch anstehende Rückzahlungen an den Staat um ihre berufliche Existenz. Auch wenn die Bundesregierung das Gegenteil erklärt – viele Unternehmer fühlen sich von der Politik getäuscht. Nicht wenige sprechen von Betrug.
Scholz und Altmaier: Geld muss „nicht zurückgezahlt“ werden
Sie verweisen darauf, dass die Bundesregierung bei der Auflage des Soforthilfeprogramms über 50 Milliarden Euro pauschal versprochen hatte, die Zuschüsse müssten nicht zurückgezahlt werden. Entsprechende Äußerungen hatten sowohl Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) als auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gemacht.
So versicherten beide Minister in einer gemeinsamen Presseerklärung am 23. März 2020, man werde die Betroffenen in der Krise nicht allein lassen. Scholz betonte: „Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden.“ Altmaier ergänzte, es gehe um direkte Zuschüsse, „die nicht zurückgezahlt werden müssen“.
Viele Unternehmer, denen jetzt eine Rückzahlung droht, berufen sich auf diese Aussagen.
Ministerien wiegeln ab: Nicht zuständig, nicht verantwortlich
FOCUS Online konfrontierte Scholz und Altmaier mit der Kritik. Das Finanzministerium blockte umgehend ab. „Innerhalb der Bundesregierung ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie federführend für die Soforthilfe“, antwortete das von Sozialdemokrat Scholz geleitete Ministerium. Auf Deutsch: Wenden Sie sich an CDU-Mann Altmaier.
Im Wirtschaftsministerium zeigte man sich überrascht, dass sich der Zorn gegen Altmaier richtet. Der könne doch gar nichts dafür, hieß es, verantwortlich seien die Bundesländer. Außerdem sei von Beginn an klar gewesen, dass es sich bei der Corona-Soforthilfe um keine „Geschenke“ des Staates handelt, sondern um Zahlungen, die an Kriterien gebunden sind.
Der Bund habe lediglich „die Mittel bereitgestellt und den Rahmen für die Bewilligung der Soforthilfe durch die Länder vorgegeben“, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber FOCUS Online. „Die Umsetzung von Antragstellung und Auszahlung sowie Überprüfung der Soforthilfe erfolgt durch die Bewilligungsstellen der Bundesländer.“
Förderkriterien von Bund und Ländern gemeinsam festgelegt
In den Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern seien die Förderkriterien festgelegt worden, „etwa die Verwendung der Mittel nur für Betriebskosten“. Außerdem habe es auf der Internetseite des Ministeriums „umfangreiche und ständig aktualisierte“ Hinweise zu den Corona-Soforthilfen gegeben. „Die förderfähigen Kosten wurden von Seiten des Bundes transparent mitgeteilt“, so der Sprecher. Dabei handele es sich um „echte Zuschüsse“, die nicht zurückgezahlt werden müssen. „Das gilt auch weiterhin.“
Wenn Unternehmer nun Geld zurücküberweisen müssten, liege das an der schnellen und unbürokratischen Gewährung der Soforthilfe. „Die Länder haben sich teilweise entschieden, die Höchstbeträge von 9000 bzw. 15.000 Euro pauschal auszuzahlen, ohne dass zunächst die Höhe der tatsächlich anfallenden Betriebskosten angegeben werden musste“, so der Sprecher. Daher könne es in einigen Fällen „zu einer Überzahlung gekommen sein.“
Wer mehr Geld erhalten habe als ihm zusteht, müsse eben etwas zurückzahlen. Ansprechpartner seien jedoch die Bundesländer – und nicht Wirtschaftsminister Altmaier.
Unmut in NRW: 100.000 Hilfsempfänger sollen abrechnen
FOCUS Online hatte das Problem in mehreren Artikeln beleuchtet und die schwierige Lage von Kleinunternehmern in Nordrhein-Westfalen geschildert. Die dortige Landesregierung hatte Anfang Juli rund 100.000 Soforthilfe-Empfänger aufgefordert, die genauen Kosten aufzuschlüsseln, die ihnen durch die Corona-Pandemie entstanden sind.
Dabei stellte sich für viele überraschend heraus, dass die Soforthilfe nur einen kleinen Teil der Betriebskosten deckt und die kompletten Betriebseinnahmen von dem Zuschuss abgezogen werden müssen. Lohnkosten oder gestundete Mieten fallen komplett aus der Förderung raus. Die Soforthilfe deckt also nur einen Teil der tatsächlichen Verluste der Unternehmen.
Viele haben Angst, dass sie Unternehmen schließen müssen
Nicht wenige fürchten nun hohe Rückzahlungen und haben Angst, dass sie ihre nach wie vor krisengebeutelten Unternehmen schließen müssen. Nach massiven Protesten hat die Regierung die Abrechnungspraxis vorerst gestoppt.
Zwar sehen viele Geschäftsleute ein, dass sie nur für tatsächlich entstandene Schäden Corona-Soforthilfe in Anspruch nehmen können, schließlich handelt es sich um Steuergeld. Wogegen sie sich allerdings wehren, ist das Management (viele sprechen von „Missmanagement“) der politisch Verantwortlichen im Zusammenhang mit den Hilfszahlungen – ob in Düsseldorf oder in Berlin.
In welche Schwierigkeiten Kleinunternehmer dadurch gekommen sind, dass sie zunächst Soforthilfe erhielten, nach derzeitigem Stand aber zurückzahlen müssen, zeigt das Beispiel von Marc Schuirmann aus Erkrath. Der selbstständige Unternehmer hat die Interessengemeinschaft „IG NRW-Soforthilfe“ mitgegründet. Bereits 2300 Betroffene haben sich der Facebook-Gruppe angeschlossen. Ihr Unmut wächst.
Sport-Videograf Schuirmann: Düstere Aussichten auch für 2021
Der 41-jährige Schuirmann arbeitet als Veranstaltungsvideograf für Sport, speziell Voltigieren und Rhythmische Gymnastik. Er wird von Turnierveranstaltern gebucht, um Wettkämpfe auf Video zu dokumentieren und per Livestream im Internet zu zeigen. „Seit Anfang März wurden sämtliche Veranstaltungen abgesagt, mein voller Terminkalender, mehrere gebuchte Flüge und Hotels waren plötzlich hinfällig“, sagte Schuirmann gegenüber FOCUS Online.
Normalerweise filme er im Jahr 25 bis 30 Turniere, 2020 waren es insgesamt drei. Auch für nächstes Jahr seien die Aussichten düster. „Die Turnierveranstalter planen erst gar nicht für 2021. Vermutlich wird es erst wieder Sport mit Zuschauern geben, wenn ein funktionierender Impfstoff verfügbar ist.“
„Hatte Perspektive, Durststrecke irgendwie zu überstehen“Schuirmann: „Als die Bundesregierung im März öffentlichkeitswirksam 50 Milliarden Euro Soforthilfen für Selbstständige ankündigte, war ich etwas beruhigt. Ich hatte die Perspektive, die lange Durststrecke irgendwie überstehen zu können.“ Tatsächlich erhielt er Ende April die vier Wochen zuvor beantragte Soforthilfe in Höhe von 9000 Euro – Geld, ohne dass er beruflich nicht hätte überleben können.
Der Unternehmer erinnert sich nicht nur an die vollmundigen Versprechungen von Scholz und Altmaier, sondern auch an die ursprünglichen Vergabe-Richtlinien in NRW. Darin hieß es:
„Sofern der Finanzierungsengpass beim Soloselbstständigen im Haupterwerb dazu führt, dass er sein regelmäßiges Gehalt nicht mehr erwirtschaften kann, dient die Soforthilfe auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.“
Dem Chaos bei Hilfs-Kriterien folgte der Abrechnungs-Hammer
Dieser Ankündigung zufolge hätte der faktisch arbeitslose Schuirmann von der Soforthilfe seine Miete bezahlen und Lebensmittel kaufen können. „Doch wenig später stellte das Bundeswirtschaftsministerium klar, dass die Soforthilfe ausschließlich fixe Betriebskosten abdecken dürfe“, so Schuirmann. Also versuchte er, zumindest kleine Umsätze zu erwirtschaften, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Auf die Beantragung von staatlicher Grundsicherung verzichtete er, weil er die Voraussetzungen nicht erfüllte.
Nach einem kleinen Lichtblick Mitte Mai – NRW erlaubte Betroffenen, von der Soforthilfe pauschal 2000 Euro für private Lebenshaltungskosten zu nutzen – fiel Anfang Juli der große Hammer. Schuirmann bekam, wie rund 100.000 andere Kleinunternehmer auch, von der Landesregierung eine E-Mail mit der Aufforderung, seinen „Liquiditätsengpass“ zu dokumentieren, also den Schaden durch Corona zu beziffern.
Drohende Rückzahlung: „Spätestens dann bin ich insolvent“
Nach der in dem Schreiben dargelegten Abrechnungsmethode müsste er den Großteil der Soforthilfe zurückzahlen. „Spätestens dann bin ich insolvent“, fürchtet der Videograf, der nun auf ein Einlenken der Politik hofft.
Immerhin: Nach massiven Protesten auch der bei Facebook organisierten Unternehmer hat NRW das Rückmeldeverfahren Mitte Juli gestoppt und erörtert seitdem mit dem Bund „offene Fragen“. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte FOCUS Online, dass man mit den Ländern „im stetigen Austausch“ sei. „Zu Einzelheiten nehmen wir keine Stellung.“
„Politik hat bei uns sämtliche Glaubwürdigkeit verloren“
Egal, wie die Sache ausgeht, Schuirmann ist maßlos enttäuscht. „Am Anfang hieß es noch großspurig, man lasse niemandem im Stich und packe die Bazooka aus. Dann wurden die Bedingungen der Soforthilfe immer wieder geändert und dies nur schleppend kommuniziert.“
Im Nachhinein stelle sich die Corona-Soforthilfe des Bundes als Mogelpackung heraus, mit der die Insolvenz vieler Betriebe nur auf später verschoben werde. „Die Politik hat bei uns Selbstständigen und kleinen Unternehmen sämtliche Glaubwürdigkeit verloren, wir fühlen uns allein gelassen und ignoriert.“
Umgang des Staates mit Selbstständigen „eine Schande“
Schuirmann dürfte Tausenden Kollegen aus dem Herzen sprechen, wenn er sagt: „Dass wir um jedes bisschen Hilfe betteln und kriechen müssen, wo man uns eigentlich eher für unseren Umsatzverlust aufgrund der Infektionsschutz-Maßnahmen entschädigen müsste, ist wahrlich eine Schande!“ Vor allem wenn man bedenke, „wie gleichzeitig Kohlestrom-Konzerne mit Milliarden-Summen für ihre entgangenen Gewinne durch die vorzeitige Abschaltung ihrer maroden, längst abgeschriebenen Kraftwerke entschädigt werden“.
Für den 41-Jährigen klingt es wie Hohn, wenn Politiker wie Scholz und Altmaier der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, man habe den kleinen Unternehmern mit Unsummen aus der Patsche geholfen. Tatsache sei, dass bis Ende Juni von den angekündigten 50 Milliarden Euro Corona-Soforthilfe gerade mal 13,5 Milliarden Euro abgerufen wurden. „Und davon wird sicherlich auch noch ein großer Teil wieder vom Staat zurückgefordert“, so Schuirmann. „Das ist die bittere Wahrheit – und nichts anderes.“