Osten laut Wanderwitz-Bericht politikskeptischer

Osten laut Wanderwitz-Bericht politikskeptischer

7. Juli 2021 Aus Von mvp-web
Stand: 07.07.2021 15:38 Uhr

Auch 30 Jahre nach der Deutschen Einheit gibt es bei den Ostdeutschen eine skeptischer, distanzierter und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik. Der aktuelle Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit war auch Thema bei NDR MV Live.

In dem 120 Seiten umfassenden Bericht heißt es, die Unterschiede zwischen West und Ost seien jedoch gradueller, nicht substanzieller Art. So fühle sich laut dem Bericht zwar ein Drittel der Ostdeutschen (33 Prozent) als „Mensch zweiter Klasse“, aber eben auch ein Viertel (25 Prozent) der Westdeutschen. Auch bei Lebensführung, Familienleben oder Freizeitgestaltung seien sich Ost und West mittlerweile sehr ähnlich, sagte der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU).

Wanderwitz: Demokratiegefährdende Grundskepsis bei vielen Ostdeutschen

Wanderwitz spricht dennoch von einer demokratiegefährdenden Grundskepsis vieler Menschen aus den Ost-Bundesländern gegenüber Politik und Demokratie. Der Bericht nennt dafür verschiedene Ursachen. Sie reichten von der Verklärung der DDR-Diktatur über negative Transformationserfahrungen und Benachteiligungsgefühle bis hin zu fremdenfeindlichen oder antisemitischen Einstellungen. Viele Ostdeutsche seien auch „einfach von der Demokratie enttäuscht“. Wanderwitz hatte jüngst für Wirbel gesorgt, als er sagte, Ostdeutsche seien teilweise in einer Form diktatursozialisiert, dass sie auch nach 30 Jahren noch nicht in der Demokratie angekommen sind.

Osten hinkt wirtschaftlich weiter hinterher

Laut dem Bericht besteht wirtschaftlich zwischen West und Ost weiterhin ein Gefälle. Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt ohne Berlin betrug im vergangenen Jahr knapp 78 Prozent des westdeutschen Niveaus. Zwar nehme der Abstand Jahr für Jahr ab, dennoch bleibe es bei einem signifikanten Unterschied der Wirtschaftskraft. Die innere Einheit sei eine Daueraufgabe, so Wanderwitz. Der Maßstab sei jetzt nicht mehr Auf- und Nachholen, sondern die gemeinsame Gestaltung von Zukunft.

Sozialwissenschaftler Kubiak: Unterschiede für junge Menschen im Osten relevant

Nach Angaben des Sozialwissenschaftlers Daniel Kubiak von der Humboldt-Universität in Berlin sind die Unterschiede zwischen Ost und West auch für junge Menschen, die nach 1990 geboren worden sind, noch immer relevant. Das zeige sich beispielsweise daran, dass wer aus Schwerin, Rostock oder Greifswald komme und im Vorstand eines im Börsenindex Dax notierten Unternehmens arbeiten möchte, das Bundesland verlassen müsse, einfach weil es in Mecklenburg-Vorpommern keine Dax-Unternehmen gebe. „Während es für die Westdeutschen keine große Rolle spielt, wo sie herkommen, spielt das Thema Herkunft für junge Ostdeutsche schon eine große Rolle“, so Kubiak bei NDR MV Live. Eine Untersuchung der Otto-Brenner-Stiftung besagt laut Kubiak, dass ihre ostdeutsche Herkunft für 65 Prozent der jungen Ostdeutschen relevant sei.

Bild vom Osten wird anhand der westdeutschen Norm konstruiert

Gründe dafür seien neben Transformations-, DDR- und Arbeitslosigkeitserfahrungen auch die durch viele Diskurse verbreitete Grundannahme, dass das Westdeutsche etwas Normales, das Ostdeutsche hingegen etwas Anderes oder Besonderes ist.“ Die Annahme einer bestimmten, westdeutschen Norm finde sich auch häufig in den Berichten zum Stand der Deutschen Einheit, die insofern ein „Dilemma“ darstellten: „Denn es wird ja immer gemessen, wie sehr der Osten schon an den Westen angeglichen ist.“ Auf diese Weise werde ein bestimmtes Bild vom Osten konstruiert und verfestigt. „Das Reden über ‚den Osten‘ sorgt dafür, das alle Ostdeutschen zu einer homogenen Gruppe gemacht werden“, so Kubiak. Dies werde aber eher von außen herangetragen, als dass es von innen gesetzt werde. „Aber man reagiert natürlich darauf.“

„Viele junge Westdeutsche waren noch nie in Ostdeutschland außerhalb Berlins“

Die langjährige Landesschülersprecherin in MV, Theresia Crone, meint, dass westdeutsche und ostdeutsche junge Menschen komplett unterschiedliche Erfahrungen sowohl bei der Auseinandersetzung mit der Biografie der Eltern als auch mit strukturellen Benachteiligungen gemacht hätten. Es gebe auch noch viele Klischees und Vorurteile. „Es deckt sich mit meinen Erfahrungen. Westdeutsche in meinem Alter waren schon oft in Kalifornien, oder haben in Frankreich oder Italien Urlaub gemacht, sie waren aber noch nie außerhalb von Berlin in Ostdeutschland.“ Viele hätten gar keinen Eindruck, wie es in Ostdeutschland wirklich ist und dass es viele Dinge gebe, die eigentlich gleich sind. Die Dinge, die unterschiedlich sind, würden dagegen häufig negativ herausgestellt, ohne dass man sie je gesehen habe.