Flutkatastrophe – Aufräumarbeiten und steigende Opferzahlen
17. Juli 2021Stand: 17.07.2021 17:22 Uhr
In Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gehen die Rettungs- und Aufräumarbeiten weiter. Dabei werden auch weiterhin Tote geborgen. In einigen Orten in NRW droht zudem Gefahr durch instabile Dämme und vollgelaufene Bergwerksstollen.
Während sich die Wassermassen aus einigen Flutgebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz langsam zurückziehen, wird in den Trümmern der Katastrophengebiete weiterhin nach Todesopfern gesucht. Ihre Zahl erhöhte sich inzwischen auf mindestens 141. Zahlreiche Menschen werden weiterhin vermisst.
Im Großraum Ahrweiler in Rheinland-Pfalz stieg die Zahl der Todesopfer nach Polizeiangaben auf mindestens 98. Es sei zu befürchten, dass noch weitere Todesopfer hinzukommen, teilte die Polizei mit. Zudem gebe es 670 Verletzte. Auch diese Zahl könne sich noch weiter erhöhen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sprach von mindestens 43 Toten in seinem Bundesland. Mit Gesamtangaben zu Vermissten hielten sich die Behörden zurück.
Noch keine Entwarnung in einigen Orten in NRW
In einigen linksrheinischen Gebieten von Nordrhein-Westfalen bleibt die Lage angespannt. So etwa in Wassenberg im Kreis Heinsberg an der Grenze zu den Niederlanden: Dort wurde nach dem Bruch eines Damms des Flusses Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert, rund 700 Menschen mussten ihre Häuser verlassen und wurden in Sicherheit gebracht. Die Straßen des Stadtteils standen unter Wasser. Die Stadt teilte allerdings mit, dass die Wasserpegel derzeit stagnierten. Am Vortag waren an der Stelle, wo die Rur in die Maas fließt, auf niederländischer Seite Schleusenklappen geschlossen wurden, sodass es zum Rückstau kam.
Gefahr an Steinbachtalsperre nicht gebannt
Im Landkreis Euskirchen droht weiterhin der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen. Große Teile des Damms seien durch Überströmung weggebrochen, gleichzeitig laste ein enorm hoher Druck auf dem Damm, teilte die Bezirksregierung Köln am Nachmittag mit. Vorsorglich seien weitere Evakuierungen im Bereich der Talsperre geplant. Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) pumpten weiterhin Wasser aus dem Stausee ab.
Im gleichen Landkreis besteht nahe der Stadt Mechernich die Gefahr, dass alte Bergwerkstollen einbrechen, die teilweise unterflutet sind. Auf einer Fläche von 20.000 qm taten sich bereits Erdlöcher mit einem Durchmesser von bis zu zehn mal zehn Metern auf. Feuerwehr und Bundeswehr sind vor Ort, Kontrollpunkte werden eingerichtet. Die Stadt sprach für das Bergschadensgebiet ein absolutes Betretungsverbot aus.
Bislang keine Toten in Erftstadt
In dem massiv extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem der nordrhein-westfälischen Kommune Erftstadt südlich von Köln wurden bislang keine Todesopfer gefunden. Man könne aber nicht ausschließen, noch Tote zu finden, sagte ein Sprecher des Rhein-Erft-Kreises. In dem Ort hatte die über die Ufer getretene Erft zahlreiche Häuser unterspült und diese ganz oder teilweise zum Einsturz gebracht. Es kam zu Erosion, wodurch größere Bodenbereiche wegbrachen. Drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.
Die Rettungsaktion für Anwohner ist dem Sprecher zufolge mittlerweile abgeschlossen. 170 Menschen seien teils mit Hilfe von Hubschraubern aus dem überfluteten Gebiet gerettet worden. Die Feuerwehr sprach dennoch von einer „unkontrollierten Lage“. Der ganze Ort könne immer noch abrutschen.
Räumung der B265
Auf der unmittelbar an Erftstadt vorbeiführenden Bundesstraße 265 hat die Bundeswehr begonnen, die von den Fluten eingeschlossenen Fahrzeuge mit Radpanzern zu bergen. Menschen seien in den Lastwagen und Autos bisher nicht entdeckt worden, teilte die Feuerwehr der Stadt mit. Auf der B265 waren zahlreiche Fahrzeuge überspült worden, stellenweise stand das Wasser 12 Meter hoch. Eine Sprecherin des Rhein-Erft-Kreises hatte gestern gesagt, es sei unklar, ob alle Insassen es rechtzeitig aus ihren Wagen geschafft hätten, als sie von den Wassermassen überrascht wurden.
In ganz NRW sind nach Angaben des Innenministeriums rund 22.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie dem Technischen Hilfswerk (THW) an den Rettungsarbeiten beteiligt. Hinzu kämen 700 Beamte der Landespolizei und Kräfte der Bundespolizei sowie Einsatzkräfte aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg.
Infrastruktur in Ahrweiler zusammengebrochen
In Rheinland-Pfalz liegt der Schwerpunkt der Überschwemmungen im Ahrtal. Das bei Ausflüglern beliebte Städtchen Bad Neuenahr-Ahrweiler mit Gründerzeit-Bäderarchitektur, Fachwerkviertel und mittelalterlicher Stadtmauer ist ein langgezogenes Trümmerfeld. Die Wassermassen sind hier inzwischen zurückgegangen. Doch der Schlamm bedeckt immer noch alles. In Teilen der Stadt gibt es derzeit weder Strom noch Wasserversorgung, auch Telefonverbindungen fielen aus. Der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), warnte vor Plünderungen.
Durch das Abfließen der Wassermassen werden an Ahr und Mosel die von den Fluten angerichteten Schäden sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: Brücken sind zerstört, der Zugverkehr ist wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt. Etliche Straßen in der Region sind weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar.
Die Polizei sucht mit Hubschraubern nach weiteren Opfern der Flut. Die Suche soll Sonntagabend bis zum Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen sein, teilte die Polizei in Koblenz mit. Auch mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden noch Menschen vermisst. Über die genaue Zahl konnte der Sprecher keine Angaben machen.
Appell an Hochwassertouristen
Mit einem eindringlichen Appell wandte sich die Polizei über Twitter zudem an potenzielle Hochwassertouristen und Gaffer. „Es ist nicht an der Zeit für Touren in einem Katastrophengebiet“, hieß es von der Polizei in Mainz. Denn viele Menschen hätten dort gerade erst „großes Leid und Verluste erfahren“. Während des Katastropheneinsatzes seit Donnerstag war es bereits zu Behinderungen durch Schaulustige gekommen.
Aufräumarbeiten nach Rückgang der Flut
Im Trierer Stadtteil Ehrang sind die Aufräumarbeiten in vollem Gang. „Da stapeln sich die Berge von Sperrmüll“, sagte ein Stadtsprecher. Erste Anwohner gingen zurück in die Häuser. „Wer da geschlafen hat, hatte kein Wasser und keinen Strom.“ Betroffen sind der Stadt zufolge 670 Häuser, bei denen im Keller und Erdgeschoss fast alles zerstört wurde.
Nach Einschätzung der Behörden können die ersten Bewohner im Laufe des Tages wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. „Das ist aber natürlich nur bei Gebäuden möglich, die standsicher sind und deren Statik intakt ist“, fügte eine Sprecherin des Führungs- und Lagezentrums in Trier hinzu. Statik-Experten untersuchten daher nach wie vor, wie stark einzelne Gebäude in dem Stadtteil von Flutschäden betroffen sind.