Einschätzung von Virologe Drosten: Dritte Impfung für die meisten wohl unnötig
19. August 2021Stand: 19.08.2021 11:24 Uhr
Die meisten Menschen werden im Herbst keine Auffrischungsimpfung brauchen. Davon geht der Virologe der Charité Christian Drosten aus. Ausgenommen seien ältere Menschen und bestimmte Risikopatienten.
Für einen Großteil der Geimpften wird eine dritte Impfung im Herbst wohl nicht notwendig sein. Die Schutzwirkung der Corona-Impfstoffe sei viel besser als beispielsweise bei den Influenza-Impfstoffen, sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité der Nachrichtenagentur dpa. Auch das baldige Aufkommen einer neuen Virusvariante, die gegen die verfügbaren Impfstoffe resistent ist, erwartet er nicht.
Bei älteren Menschen sowie bestimmten Risikopatienten hält Drosten eine Auffrischungsimpfung in diesem Herbst jedoch durchaus für sinnvoll. „Nach einem halben Jahr geht das über die Impfung erworbene Antikörper-Level vor allem bei sehr alten Menschen deutlich runter.“ In besonderen Umfeldern wie Seniorenheimen sei eine Auffrischung daher denkbar. Für die übrige Bevölkerung werde irgendwann vielleicht ein Altersniveau definiert werden, ab dem eine Auffrischungsimpfung sinnvoll werde.
Auffrischungsimpfungen gibt es bereits
In den USA, Israel und weiteren Ländern sowie vereinzelt auch Deutschland werden für bestimmte Gruppen bereits Auffrischungsimpfungen vorgenommen. Die Berliner Chrité hat bereits damit angefangen bestimmte Gruppen aus dem medizinischen Personal zum dritten Mal zu impfen. Angesprochen sind Mitarbeitende, die vor mindestens sechs Monaten ihre zweite Impfung erhalten haben, mindestens 60 Jahre alt sind und in Covid-19-Risikobereichen arbeiten.
In diesem Herbst, so Drosten komme es aber darauf an, überhaupt erst einmal die Impflücken bei den Über-60-Jährigen zu schließen. Momentan sind laut RKI in dieser Gruppe etwa 85 Prozent der Menschen geimpft. Insgesamt haben 63,7 % der Bevölkerung mindestens eine Impfung gegen COVID-19 bekommen. 58,2 % wurden bereits vollständig gegen COVID-19 geimpft.
Covid-Patienten in Krankenhäusern oft ungeimpft
Denn die meisten Covid-Kranken in deutschen Kliniken hätten keine Corona-Schutzimpfunge berichtet der Kölner Intensivmediziner Christian Karagiannidis. Er sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, es gebe aber auch Fälle von geimpften Corona-Patienten in stationärer Behandlung. „Aktuell haben wir in Nordrhein-Westfalen 12 bis 13 Prozent der Covid-Patienten in den Kliniken mit Impfschutz. Diese Quote dürfte auch der bundesweiten Quote entsprechen“.
Die Mehrzahl werde auf den Normalstationen behandelt, einzelne Fälle gebe es aber auch auf den Intensivstationen. Bei den stationär behandelten Menschen mit Impfdurchbrüchen handele es sich nach seiner Erfahrung etwa um Patienten mit eingeschränkter Immunantwort, etwa als Folge einer medikamentösen Dämpfung des Immunsystems. Wichtig sei, dass jetzt insbesondere den Patienten, die ein gedämpftes Immunsystem hätten, eine dritte Impfung als Booster angeboten werde.
Karagiannidis sagte, dass das Divi-Intensivregister künftig auch Angaben über den Impfstatus der Covid-Patienten auf den Intensivstationen erheben und veröffentlichen werde.
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) steigt die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen steigt weiter an, von 40,8 auf 44,2. Innerhalb von 24 Stunden meldeten die Gesundheitsämter dem RKI 8400 Neuinfektionen sowie 22 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus.
Durch die Impfung wird der Körper dazu angeregt, Antikörper zu bilden. Sie entstehen innerhalb von Tagen und Wochen durch spezialisierte Blutzellen. Immunologe Carsten Watzl nennt die Antikörper eine „Armee“, die durch Zellteilung möglichst schnell anwachsen müsse. Wenn der echte Erreger erneut in den Körper eindringt, sei dieser gewappnet. Die Antikörper blockierten die Bindestelle des Virus, und dann könne dieses die Körperzellen nicht mehr infizieren.
Bereits infizierte Zellen werden durch T-Zellen, umgangssprachlich auch T-Killerzellen, einfach zerstört. Eine Ausbreitung der Krankheit im Körper wird verhindert.
Der zweite wichtige Teil der Immunreaktion sind sogenannte Gedächtniszellen. Solche gibt es sowohl bei den für Antikörperbildung verantwortlichen B-Zellen als auch bei den T-Zellen. Nach einer Infektion bildet der Körper diese Gedächtniszellen, die Information über einen Erreger wie SARS-CoV-2 in sich tragen. Bei einer erneuten Infektion können sie innerhalb eines Tages die Immunreaktion starten, Antikörper produzieren und spezifische T-Zellen bilden. So kann das Virus schnell bekämpft werden. Auch bei SARS-CoV-2 scheint das so zu sein, vermuten Forscherinnen und Forscher. Sie konnten zeigen, dass Genesene T-Gedächtniszellen bilden, die lange im Körper verbleiben.
Zulassung für dritte Impfung beantragt
Das deutsche Unternehmen Biontech und sein US-Partner Pfizer hatten Anfang der Woche erste Daten für die Zulassung einer Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus bei der US-Arzneimittelbehörde FDA eingereicht. In den kommenden Wochen sollten die Daten einer Phase-1-Studie auch bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und weiteren Behörden eingereicht werden. Die Teilnehmer hätten acht bis neun Monate nach der zweiten Dosis eine Auffrischungsimpfung erhalten, hieß es. Im Vergleich zu einer zweifachen Impfung hätten bei den Menschen mit Auffrischungsimpfung „signifikant höhere neutralisierende Antikörpertiter“ nachgewiesen werden können.
WHO kritisiert dritte Impfung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert Pläne für Auffrischimpfungen bei gesunden Menschen. Bislang sei nicht einmal klar, ob sie nötig seien, sagte die Chef-Wissenschaftlerin Soumya Swaminathan. Während in reichen Ländern jede Menge Impfstoff vorhanden ist, warten weltweit in Dutzenden Ländern viele Millionen Menschen noch auf die Chance einer Impfung. Der WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan meinte, Menschen eine Auffrischimpfung anzubieten sei so, als gebe man Menschen mit Rettungswesten noch eine weitere Weste dazu, während viele Millionen Menschen ohne jeglichen Schutz bleiben müssten.