Virologe Streeck entkräftet Verschwörungstheorien

19. September 2020 Aus Von mvp-web
Was denkt einer der führenden deutschen Corona-Experten über abstruse oder auch plausibel klingende Thesen von Verschwörungstheoretikern, “Querdenkern“ oder Impfgegnern?

„Das Virus ist gar nicht so gefährlich! Die Pharmaindustrie will an der Pandemie nur verdienen! Jungen Menschen passiert schon nichts!“ Bei Corona-Demonstrationen, in Diskussionsrunden oder im Internet stößt man regelmäßig auf solche mal abstrusen aber auch plausibel klingenden Thesen von Verschwörungstheoretikern, „Querdenkern“ oder Impfgegnern.

Einer der führenden Corona-Experten Deutschlands, Professor Hendrik Streeck, der Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik in Bonn, hat für die DW zu häufig genannten Thesen, Behauptungen oder Aussagen zu Corona Stellung bezogen.

Das Virus ist gar nicht so gefährlich, die Gefahr wird von Medien, Politikern und Wissenschaftlern aufgebauscht.“

Hendrik Streeck: Das stimmt nicht! Alle Studien, die bisher durchgeführt wurden, sowohl die Studien in den USA, die ja eine relativ niedrige Sterblichkeit suggerieren, als auch die anderen Studien, die eine sehr hohe Sterblichkeit suggerieren, zeigen eindeutig, dass es eine höhere Sterblichkeit hat als die saisonale Grippe.

Wir haben im Kreis Heinsberg selber herausgefunden, dass das Virus mindestens viermal gefährlicher ist als eine saisonale Grippe. Es hat natürlich immer auch etwas mit der Population zu tun, in der getestet wird. Es ist ein Virus, das man ernst nehmen muss, aber natürlich auch nicht überdramatisieren kann.

„Politiker und Medien präsentieren täglich dramatische Corona-Fallzahlen. Aber ich kenne niemanden, der an COVID-19 erkrankt ist.“

Streeck: Also, ich habe zwei Personen in meinem engeren Familienkreis, die an COVID-19 erkrankt sind.

„In Italien oder den USA gibt es so viele Tote. Hier gar nicht. Da stimmt doch etwas nicht.“

Streeck: Wir haben auch in Deutschland COVID-19-Tote. In Italien und den USA kam hinzu, dass die Infektionen sehr schnell stattgefunden haben. Also hat sich die Breite der Bevölkerung sich sehr schnell infiziert, und dadurch waren auch die Krankenhäuser überlastet. Das Virus ist dort in Bereiche reingekommen, wo Patienten oder Menschen ein hohes Risiko haben, daran zu versterben. In Deutschland haben wir es geschafft, diese Bereiche freizuhalten.

„Es gab so viele Großdemonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Gab es danach irgendwelche Ausbrüche? Nein!“

Streeck: Diese Demonstration haben zum einen draußen stattgefunden und dadurch ist die Übertragungswahrscheinlichkeit erst mal geringer als in Innenräumen. Auf der anderen Seite ist es sehr schwer nachzuvollziehen, ob bei einer Demonstration, die zum Beispiel in Berlin stattgefunden hat und von wo auch viele der Teilnehmer in verschiedene Städte gefahren sind, ob es dort in den Städten dann einen Ausbruch gegeben hat. Leichter sind solche Sachen nachzuvollziehen, wenn nur Teilnehmer aus einem Ort anwesend gewesen sind.

„Diese Impfungen sind höchst gefährlich und greifen unsere DNA an. Außerdem will nur die Pharmaindustrie dran verdienen.“

Streeck: Beide Thesen sind eindeutig falsch. Eine Impfung greift nicht in das humane Genom ein, also in die DNA. Auch die RNA-Impfstoffe funktionieren ja so, dass davon Proteine generiert werden. Wir haben selber nicht die Enzyme in unserem Körper, das von der RNA wieder DNA wird. Das können nur bestimmte Retroviren. Daher kann eine Impfung nicht in die DNA eingreifen.

Die Pharmaindustrie verdient natürlich auch an Impfstoffen, aber was die Krankenkassen jedes Jahr für Impfstoffe ausgeben, ist nur 0,3 Prozent des Budgets im Vergleich zu dem, was wir für Medikamente ausgeben. Das Budget für einen Impfstoff ist also wirklich sehr gering. Außerdem muss eine Pharmaindustrie auch daran verdienen, weil sie ohne die Gelder solche Entwicklungen nicht machen können.

„Das Virus ist bereits so oft mutiert, da bringt eine Impfung gar nichts. Oder man muss sich jedes Jahr wie bei der Grippe neu impfen lassen.“

Streeck: Das kann man gar nicht sagen. Das Virus mutiert, das ist richtig, aber es hat nicht so eine starke Mutationsrate wie bei der Grippe. Ob aber ein Impfstoff am Ende wirkt und wie häufig man sich impfen lassen muss, das können wir noch gar nicht sagen, weil es noch keinen Impfstoff gibt.

„Die Maßnahmen des Corona-Regimes sind völlig übertrieben. Ich will meine Freiheit zurück.“

Streeck: Wir wissen, dass die AHA-Regeln, also Abstand halten, Alltags-Maske tragen und die allgemeinen Hygieneregeln beachten, eine Wirkung haben und dass wir dadurch Infektionen verhindern können.

Zusätzlich haben die AHA-Regeln wahrscheinlich den Effekt, dass wenn sich jemand infizieren sollte, dann infiziert er sich mit weniger Viren. Er bekommt so vielleicht eine Infektion, aber mit sehr wenigen Symptomen. Wir wissen, dass es bei anderen Viren eben den Zusammenhang gibt: Wenn man viele Viren aufnimmt, hat man eine schwere Symptomatik, wenn man wenig Viren aufnimmt, hat man nur eine leichte Symptomatik. Die Dosis macht das Gift.

Durch Abstand halten und die AHA-Regeln erreichen wir genau das, dass wir die Dosis heruntersetzen und wir alle gerade dazu beitragen, dass wir deswegen wahrscheinlich sehr viel mehr milde Verläufe sehen.

„In unseren Nachbarländern wie den Niederlanden oder Dänemark trägt aber keiner in Geschäften irgendwelche Masken. Die sind ja sicherlich nicht lebensmüde.“

Streeck: Es ist richtig, dass in einigen Ländern keine Masken getragen werden und es ist auch richtig, dass nicht an jedem Ort eine Maske getragen werden muss.

Wichtig ist eine Maske dann zu tragen, wenn man keinen Abstand einhalten kann. In den Niederlanden oder Dänemark sind häufig die Geschäfte eben auch nicht überfüllt. Es gibt dort nicht so viele Personen, dass man keinen Abstand mehr halten kann.

Wir haben aber zum Beispiel in den Niederlanden im Vergleich zu Deutschland und den letzten Jahren eine höhere Sterblichkeitsrate, während wir in Deutschland keinen Anstieg der Sterblichkeit haben, weil wir sehr wenig Infektionen gehabt haben.

„Das Coronavirus stammt aus einem Labor in China oder wurde versehentlich freigesetzt.“

Streeck: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieses Coronavirus in einem Labor generiert wurde. Zum einen werden solche Forschungsstränge meines Wissens nach überhaupt nicht verfolgt, bestimmte Viren zu generieren, weil das viel zu gefährlich ist. Zum anderen aber kann man sowas auch gar nicht sagen, woher ein Virus kommt. Ein Virus kann nicht Gensequenzen haben, die sonst in der Natur zum Beispiel nicht vorkommen würden.

Auch muss man sagen, dass solche Labore wie das Labor in China wirklich Hochsicherheitsschleusen haben, wo Viren oder Bakterien überhaupt nicht durch die verschiedenen Räume durchkommen können und auch nicht versehentlich dadurch freigesetzt werden.

Daher halte ich es für extrem unwahrscheinlich, dass so etwas passiert ist, aber man kann es natürlich nicht beweisen. Genauso wie man das Gegenteil nicht beweisen kann.

Streeck: „Selbst wenn ich mich anstecken: Ich bin jung und fit. Wenn überhaupt, kriege ich nur milde Symptome.“

Es ist nach der Statistik richtig, dass junge und fitte Menschen keine oder nur milde Symptome haben. Aber wenn man sich auf die Statistik beruft, hat man zwar Recht. Es kann aber immer sein, dass auch junge Menschen und fitte Menschen sehr schwere Symptome haben oder sogar daran versterben. Das haben eben auch mehrere Fälle bereits gezeigt.

Professor Hendrik Streeck zählt zu den führenden Corona-Experten in Deutschland. Der Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik in Bonn leitet die Langzeitstudie über das Corona-Infektionsgeschehen im westdeutschen Heinsberg, das zu Beginn der Pandemie besonders betroffen war.

Das Gespräch führte Fabian Schmidt.

Samstag, 19.09.2020, 18:11