Analyse Sondierungsgespräche – Wie die FDP die Ampel lieben lernt
9. Oktober 2021Sie wollte eigentlich immer eine Jamaika-Koalition – nun sondiert die FDP mit den Parteien, vor denen sie gewarnt hat. Dabei ist die Lage der Liberalen in einem Ampel-Bündnis alles andere als schlecht.
Sein Ziel, Schwarz-Grün zu verhindern, hat er zwar erreicht. Aber wieder muss FDP-Chef Christian Lindner – nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen 2017 – eine komplizierte Dreier-Koalition sondieren. Diesmal auch noch als Partei mit dem schwächsten Wahlergebnis der drei Sondierer. Und dann auch noch ausgerechnet mit den Parteien, vor denen er vor der Wahl doch so gewarnt hatte: mit SPD und Grünen also, die das Land aus seiner Sicht ausgebremst hätten oder über Verbote Politik machen wollten – und die zudem eine Umverteilung anstrebten, anstatt die Wirtschaft zu stärken.
Hinzu kommt, dass die zweite FDP-Option auf eine Regierungsbeteiligung in einer rechnerisch möglichen schwarz-grün-gelben Koalition derzeit durch die Führungskrise bei CDU/CSU wegbröselt. Das darf eigentlich nicht passieren, denn die FDP braucht Jamaika als Option, zumindest in der Hinterhand. Das erklärt, weswegen sie sich fast gebetsmühlenartig weiter zu diesem Bündnis als Wunschkoalition bekennen: Bloß nicht zu abhängig von einem Olaf Scholz oder einer Saskia Esken werden.
Das Albtraum-Szenario bleibt aus
Doch Lindner gibt sich gelassen-optimistisch – trotz allem. Das wirkliche Albtraum-Szenario der FDP ist nämlich ausgeblieben: SPD-Wahlsieger Scholz hätte die FDP klein verhandeln können, indem er bei Ampel-Verhandlungen stets mit einem rot-grün-roten Bündnis in der Hinterhand droht. Doch dieses Bündnis hatte bei der Bundestagswahl keine Mehrheit bekommen. Statt dessen ist Scholz auf die FDP angewiesen – die Lage könnte also wahrlich schlechter sein.
Letztlich geht die noch nicht so alte FDP-Strategie auf, sich nicht mehr an die Union als Partner zu ketten. Von daraus resultierender Euphorie ist im Genscher-Haus allerdings auch nichts zu spüren. Natürlich gibt es dort jetzt die Sorge, von Rot-Grün über den Tisch gezogen werden. Sie wären in diesem Bündnis in einer Sandwich-Position – und Enttäuschungen bei den Wählern eigentlich programmiert. Aber sie müssen sich eben auch nicht an Rot-Grün ketten: Eine Jamaika-Koalition, das betonen viele FDP-Politiker in Gesprächen, sei als Option weiterhin denkbar – wenn auch inzwischen wohl mit einer anderen Führungsfigur als Armin Laschet.
Grüne und FDP: Beide werden gebraucht
Lindner sieht seit der Wahl plötzlich durchaus auch Verbindendes zu den Grünen – gerade in diesen Wochen, in denen FDP und Grüne sich umgehend nach dem Wahlabend zusammengetan haben, um gemeinsam zu entscheiden, in welcher Dreierrunde sie anfangen zu sondieren: „Wir bilden ein fortschrittsfreundliches Zentrum“, so Lindner im tagesthemen-Interview. Die beiden größeren Parteien Union und SPD stünden eher für den Status Quo.
Interessanterweise gehen die Grünen denselben Weg, sich die Union als Partner offenzuhalten und noch nicht an die SPD zu stark anzudienen. In diesem neuen grün-gelben Bündnis – neuerdings Zitrus-Duo genannt – sieht der Politologe Karl-Rudolf Korte sogar eine „neue junge Bürgerlichkeit, eine neue Mitte“: Der Impuls sei das Neue – Man sehe einen lernenden Aspekt bei den Parteien, was sie innovativer mache, sagte Korte im Gespräch mit tagesschau24.
Das klingt alles fast so, als könne Lindner der Situation sogar etwas abgewinnen. Mit wem man in diesen Tagen in der FDP auch spricht: Es ist so etwas wie verhaltene Zuversicht zu spüren. Denn in der politischen Logik sind die Liberalen zwar eher der Fremdkörper in der rot-grün-gelben Sondierung, dafür müssten aber SPD und Grüne ihnen inhaltlich auch mehr entgegenkommen, um sie zu gewinnen. Umgekehrt war das 2017 bei den Jamaika-Verhandlungen: Hier waren FDP und Union sich programmatisch näher, was dazu führte, dass CDU/CSU den Grünen den roten Teppich ausrollten.
FDP-Beteiligung in SPD-geführter Bundesregierung
FDP könnte sich teurer machen
Bei Ampel-Sondierungen sieht man in der FDP sogar die größere Chance, den Preis höher treiben zu können als bei Jamaika. SPD-Kanzlerkandidat Scholz ist nicht nur auf sie angewiesen, um regieren zu können – klammert man die theoretische Möglichkeit einer erneuten Großen Koalition aus. Die SPD ist vom Wahlergebnis her gesehen mit 25,7 Prozent in einer wesentlich schwächeren Position als die Union im Jahr 2017 bei den Jamaika-Verhandlungen, als sie noch 32,9 Prozent der Stimmen erreicht hatte. Zudem könnte die FDP, so die Lesart, ihr eigenes wirtschaftsliberales Profil innerhalb einer Ampel stärker herausarbeiten als in einer Koalition mit der CDU. Ein politisches Risiko ist jedoch auch dabei: Würde es im Verlauf einer Ampel-Regierung zu größerer Unzufriedenheit bei der FDP-Wählerschaft kommen, könnten diese an die Union abwandern.
Mehr als als der „kleinste gemeinsame Nenner“?
Denn im Falle einer rot-grün-gelben Regierung ist damit zu rechnen, dass CDU/CSU als größte Oppositionsfraktion ordentlich Kontra geben würde und damit einige Unzufriedenen einsammeln könnte. Offenbar ist die Sorge vor diesem Szenario aber nicht zu groß. Klar müsse sein, so FDP-Generalsekretär Volker Wissing in der ARD, dass das Bündnis mehr werde als der „kleinste gemeinsame Nenner“. Weder dürfe es nur eine Summe von Schnittmengen aller drei Partei-Programme sein, noch eine Ansammlung von thematischen Spiegelstrichen in einer ersten Regierungserklärung. „Es müsste eine gemeinsame Agenda werden, von der die Leute sagen, da bewegt sich was im Land – Respekt, wie die Parteien da zusammengefunden haben“, sagt Florian Toncar, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag.
Auch die Grünen hätten ein Interesse am Schulterschluss mit der FDP, so Toncar im Gespräch mit tagesschau.de – so könnten die beiden Kleineren sich gemeinsam davor bewahren, von der stärkeren SPD gegeneinander ausgespielt zu werden. Auch die FDP-Jugendorganisation trägt die Ampel-Sondierung mit: „Wir sind optimistisch, dass Erneuerung in einer Regierung als Ampel- oder Jamaika-Koalition möglich ist“, sagt Jens Teutrine von den Jungen Liberalen. Im Übrigen sei man „demütig, welches Vertrauen uns von Jung- und Erstwählern entgegengebracht wurde“, so der Juli-Vorsitzende. In diesen Altersgruppen sind FDP und Grüne am meisten gewählt worden.
Grün-Gelb als „neue junge Mitte“, als neues Projekt – davon haben Lindner und der wirtschaftsliberale Flügel der FDP sicher nicht gerade geträumt. Jetzt könnte es ihre politische Realität werden. Es ist tatsächlich eine ziemlich andere politische Welt, in der er da gerade jeden Tag aufwacht. Vielleicht muss Lindner sich dazu ein wenig wandeln im Vergleich zu dem FDP-Politiker, den er vor dieser Bundestagswahl darstellte. Aber er könnte dafür den potenziellen Partnern ein bisschen mehr gelben Anstrich verpassen.