Pandemie-Treiber? Jetzt ist klar, wie viele Menschen Superspreader anstecken

12. November 2020 Aus Von mvp-web
Wie genau sich Superspreading-Events auf die Pandemie auswirken, war bisher unklar. Wissenschaftler aus den USA haben nun gezeigt, dass diese Ereignisse viel häufiger vorkommen als ursprünglich gedacht – und deshalb auch deutlich mehr Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben könnten.

Karnevalssitzungen, Chorproben, Gottesdienste – alle diese Events haben gezeigt, dass sich Sars-CoV-2 bei Veranstaltungen, bei denen viele Menschen zusammenkommen, ganz schnell ausbreiten kann. Und schlimmer: Sie zeigen, dass eine infizierte Person, ein sogenannter Superspreader, ausreicht, um zig andere anzustecken.

Dennoch sind im Zuge der Pandemie mit insgesamt über 50 Millionen Fällen weltweit verhältnismäßig wenige Superspreader-Events dokumentiert worden – also genau solche Fälle, bei denen nachweislich eine Person viele angesteckt hat. Deshalb blieb bisher auch unklar, welche Rolle diese Events bei der Ausbreitung des Virus tatsächlich spielen.

Über 70 dokumentierte Superspreading-Fälle weltweit

Die Wissenschaftler Felix Wong und James J. Collins vom Massachusetts Institute of Technology in den USA haben deshalb untersucht, welchen Anteil solche Superspreading-Ereignisse am Infektionsgeschehen haben. Ihre Studie wurde vor kurzem in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

Dazu haben die Forscher die Dynamik circa 60 dokumentierter Sars-Cov-2-Superspreader-Events weltweit unter die Lupe genommen, bei denen eine Person mindestens sechs weitere Personen angesteckt hat. Dazu gehört beispielsweise die Chorprobe im Staat Washington im März 2020, bei der 52 Menschen von nur einer Person angesteckt wurden. Zwei verstarben sogar an Covid-19. Auch Events im österreichischen Ischgl sowie in Berlin und München flossen in die Studie mit ein.

187 Ansteckungen durch eine Person bei Sars-Epidemie

Um eine breitere Datenbasis zu haben, zogen Wong und sein Kollege aber auch 15 weitere Superspreader-Events, die es im Zusammenhang mit der Sars-Epidemie aus 2002/03 in Asien gab, ins Kalkül. Darunter waren zwei spektakuläre Fälle, bei denen sich eine viele größere Anzahl als bei den Sars-CoV-2 dokumentierten Fällen ansteckten: Im März 2003 115 Menschen in einem Krankenhaus in Hongkong – und 187 Menschen in einem Apartment-Haus in der ehemaligen britischen Kolonie.

Auch wenn die Infektionszahlen bei allen Fällen in der Studie unterschiedlich sind, zeigte sich, dass sich bei einem Superspreading-Event durchschnittlich 20 Personen anstecken. Epidemiologen gehen normalerweise davon aus, dass ein Sars-CoV-2-Infizierter durchschnittlich drei Personen ansteckt.

Superspreading kommt viel häufiger vor als angenommen

Laut Wahrscheinlichkeitsrechnung gelten Superspreading-Events als relativ seltene Ereignisse. Doch Wong und Collins zeichnen ein anderes Bild. Anhand der von Mathematikern entwickelten Extremwertrechnungen, die normalerweise von Versicherungsunternehmen zur Berechnung des Risikos von Naturkatastrophen verwendet werden, zeigte sich Folgendes: Superspreading-Events treten nicht nur häufiger auf als erwartet, ihre Auswirkungen sind auch größer.

Denn jeder, der bei einem Superspreading-Event infizierte wird, steckt potenziell weitere Menschen an – auch wenn diese weiteren Infektionsketten dann normal ablaufen und durchschnittlich nur drei weiter Menschen infiziert werden. Damit tragen Superspreading-Events deutlich mehr zur Ausbreitung des Virus bei als ursprünglich angenommen.

„Superspreading-Events kommen vermutlich deutlich häufiger vor als wir ursprünglich dachten“, erklärt James Collins. „Wenn wir diese besser kontrollieren, haben wir auch bessere Chancen, die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen“, so der Forscher.

Interaktion mit mehr als zehn Personen verhindern

Einen Weg, um Superspreading-Events zu verhindern, sehen die beiden Wissenschaftler in der Begrenzung der Personenzahlen bei Versammlungen  – egal, ob es sich um ein Geschäftsmeeting oder eine private Feier handelt. Laut ihren Berechnungen müsste demnach verhindert werden, dass eine Person mit mehr als zehn Menschen zusammenkommt bzw. interagiert.

Eine andere Strategie sehen die Forscher in der Identifikation von Superspreadern. In einem nächsten Schritt wollen sie daher die biologischen Faktoren erforschen, die einen Infizierten überhaupt zu einem Superspreader machen.