Klare Fronten im Landtag: Jamaika-Opposition gegen MV-Koalition
11. März 2022Der Landtag hat sich die Karten gelegt. Mit der Bilanz der ersten 100 Tage der rot-roten Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern sind die parlamentarischen Fronten abgesteckt. Von nun an heißt es: Jamaika-Opposition gegen MV-Koalition und umgekehrt.
Das hatten sich SPD und Linke zum gemeinsamen Start im November noch anders ausgemalt: Dem übermächtigen rot-roten Einheitsblock standen noch zu Beginn vier ganz unterschiedlichen Fraktionen gegenüber – jede einzelne in überschaubarer Größe. Der vielstimmige Oppositionschor sollte die nette Begleitmusik der Regierungsarbeit geben. Von diesen aufgesplitterten Gegenkräften sei parlamentarisch nicht viel zu erwarten, so die Hoffnung bei SPD und Linke.
CDU, Grüne und FDP ziehen taktisch an einem Strang
Aber diesen Gefallen haben CDU, Grüne und FDP dem neuen Bündnis nicht getan. Es ist schon mehr als geschicktes Politik-Marketing, Rot-Rot einen eigenen Zusammenschluss entgegenzustellen. Schwarz, Grün und Gelb versammeln sich unter dem Titel Jamaika-„Opposition“. Nach dem alten Prinzip „Einigkeit macht stark“. Es fehlte für die Inszenierung eigentlich nur noch die feierliche Unterzeichnung eines „Oppositionsvertrags“ nach Wochen gemeinsamer Verhandlungsrunden zu ganz unterschiedlichen Themen.
Die drei Fraktionen stellen seitdem Trennendes zurück und ziehen bei gemeinsamen Projekten taktisch an einem Strang – wie in dieser Woche bei der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Unikliniken. Nur zusammen hat das Trio das nötige Quorum für den Ausschuss zustande gebracht. Vor allem die SPD war sichtbar verärgert über den Vorstoß.
Abwerbeversuche laufen ins Leere
Auch bei der Attacke gegen die umstrittene sogenannte Klimastiftung des Landes gründete „Jamaika“ eine Phalanx, die medial große Aufmerksamkeit brachte und schon deshalb der „MV-Koalition“ Argwohn bereitete. Das Zusammengehen von CDU, Grüne und FDP zeigt eine besondere Beweglichkeit im Parlamentarismus, starre Fronten bröckeln. Eine Triebfeder ist der Befürchtung, von der „MV-Koalition“ dominiert und ignoriert zu werden. Jamaika will es Rot-Rot schwermachen beim „Durchregieren“.
Das gelingt schon jetzt – SPD und Linke reagierten nervös und starteten Abwerbeversuche besonders an die Adresse der Grünen. Die Rostocker Linksabgeordnete Eva-Maria Kröger versuchte über Twitter den Grünen die Kooperation mit CDU und FDP madig zu machen und goss Häme über angeblichen „Opportunismus“ aus. Die Grünen parierten umgehend. Eine besondere Rolle spielte SPD-Fraktionschef Julian Barlen, der Statthalter von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) im Landtag. Er umgarnte die Öko-Fraktion und wies auf „Gemeinsamkeiten“ hin.
Frontstellung gegen Rot-Rot nicht dogmatisch
Barlen machte in der Debatte um die ersten 100 Tage der Koalition auch deutlich, wer Herr im Hause ist. Der Sozialdemokrat erinnerte „Jamaika“ an den großen Wahlerfolg seiner Partei, bemühte sogar Schwesigs Umfragewerte vor der Wahl und stilisierte die zu einem „starken Bürgervotum“. Gleichzeitig verwahrte sich Barlen gegen Kritik – auch, so wörtlich, „an unserer Ministerpräsidentin“. Denn Schwesig stehe „immer Rede und Antwort“, Schwesig sei „eine der engagiertesten Frauen“, die „Tag und Nacht für dieses Land geradesteht“, lobte Barlen. Über Ergebenheitsadressen dieser Art schütteln sie selbst in der SPD schon den Kopf.
Barlen warnte die Opposition auch davor, erstens „alles schlecht zu reden“ und zweitens „nur immer schwarz zu malen“. Es ist ein bekanntes Manöver, Kritik der Opposition in die Nörgel-Ecke zu rücken und damit auch irgendwie zu diffamieren. Das Dreier-Bündnis braucht auch deshalb einen langen Atem – die Partner wissen, dass sie sich nicht überfordern dürfen, zu unterschiedlich sind auf vielen Politikfeldern die Ansichten. Erzkonservative Christdemokraten klimabewegte Grüne und marktliberale Freidemokraten haben oft wenig Schnittmengen. Jede Fraktion hat auch deshalb weiter ihren Freiraum. Jamaika ist nicht überall. Außerdem: die Frontstellung gegen Rot-Rot ist nicht dogmatisch. „Jamaika“ unterstützt auch schon mal die Regierungsfraktionen.
Linke und AfD durch Oppositions-Block im Abseits
Sichtbar sind schon jetzt einige Folgen: Die AfD, mit ihren 16,7 Prozent die zweitgrößte Fraktion und eigentlich „Oppositionsführer“, wird zusätzlich marginalisiert. Sie ist nicht nur bei den Regierungsanträgen außen vor, sie kann auch bei den geeinten Oppositionsanträgen nur vom Spielfeldrand zusehen. Das schwächt ihre parlamentarische Wahrnehmbarkeit. Jamaika bringt mehr Stimmen in die Waagschale als die AfD.
Auch die Linke läuft Gefahr, durch Jamaika weiter ins Abseits zu geraten. Die Fraktion könnte zwischen der übergroßen SPD und der geeinten Opposition in eine Sandwich-Position geraten. Ohnehin ist die Linke bemüht, eigenes Profil angesichts der großen Regierungspartners SPD zu entwickeln und um die eigene Wahrnehmbarkeit zu kämpfen. Große Hoffnung sind da auf die künftige Parteispitze gerichtet. Der designierte Landesvorsitzende Peter Ritter wetterte schon gegen „Jamaika“. Die überhöhe sich doch nur selbst. Allerdings muss der kleine Regierungspartner aufpassen, die eigenen Ansprüche nicht hinten runter fallen zu lassen: In den langen Oppositionszeiten beklagte sie immer wieder die „Arroganz der Macht“ der SPD – mit Einstieg in die MV-Koalition ist davon nichts mehr zu hören.
Jamaika-Opposition mehr als nur Polit-PR
Und auch für die SPD, die nach ihrem glorreichen 39,6-Prozent-Wahlsieg nahezu buddha-haft in sich ruht, dürfte Jamaika bei aller noch vorhandenen Kleinwüchsigkeit ein Alarmsignal sein. Nach demnächst bald 25 Jahren SPD-Vorherrschaft in Mecklenburg-Vorpommern gerät das parlamentarische Gefüge seltsam in Bewegung. Alternativen jenseits der gewohnten Muster schimmern durch.
Und „Jamaika“ selbst steht unter Erfolgsdruck. Das Bündnis muss zeigen, dass es mehr ist als nur Polit-PR, sondern auch eine politische Agenda hat. Ein Scheitern würde einen Gesichtsverlust für alle Partner bedeuten und würde sie zurückwerfen auf die eigentliche Größe. Vielleicht ist nach dem Coup, dem Oppositionsbündnis den Namen einer gängigen Regierungskoalition zu geben, doch eine Art Oppositionsvertrag nötig. Allerdings: Manchmal sollen Ehen ohne Trauschein ja auch ziemlich lange halten.