Beim Versuch, unabhängiger von russischen Gas- und Öllieferungen zu werden, rückt Spanien als Teil der Lösung in den Fokus. Das Land ist über zwei Pipelines mit dem Gaslieferanten Algerien verbunden und besitzt zudem die größte Kapazität in Europa, um Flüssiggas wieder zu regasifizieren. Beim Regasifizieren wird das verflüssigte Erdgas (LNG) in den gasförmigen Zustand überführt.
Sechs der insgesamt 24 Anlagen, die dafür in Europa existieren, stehen in spanischen Häfen und machen ein Drittel der europäischen Kapazitäten aus. Die Anlagen sind nötig, um Schiffslieferungen von Flüssiggas nutzen zu können. Deutschland, das über Pipelines mehr Gas aus Russland bezieht als jedes andere EU-Land, hat keinen einzigen Regasifizierungs-Terminal.
Der Vergleich zeige „Potenziale für die Zusammenarbeit“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), als er in der vergangenen Woche die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño in Madrid traf. „Darüber haben wir sehr intensiv gesprochen.“ Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe das Thema bei seinem Antrittsbesuch Mitte Januar in Madrid mit dem spanischen Premier Pedro Sánchez besprochen.
Was allerdings fehlt, ist eine Pipeline, durch die das Gas aus Spanien nach Nordeuropa gelangt. Bislang gibt es zwei kleinere Leitungen vom Baskenland und von Navarra nach Frankreich mit einer Kapazität von zusammen sieben Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Zum Vergleich: Allein die Pipeline Nord Stream 1 aus Russland hat bereits 55 Milliarden Kubikmeter Gas von Russland nach Deutschland transportiert.
Doch es gibt ein Projekt namens Midcat, das vor Jahren schon aufgesetzt wurde, um Europas Unabhängigkeit von russischem Gas zu erhöhen. Dabei handelt es sich um eine Pipeline mit einer Kapazität von 7,5 Milliarden Kubikmetern von Katalonien durch die Pyrenäen nach Frankreich.
Die ersten 80 Kilometer auf spanischem Boden wurden bereits gebaut. Doch 2019 entschieden spanische und französische Regulierer, dass die Kosten in Höhe von drei Milliarden Euro in keinem guten Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen würden. Midcat wurde daher eingestellt.
Der Ukrainekrieg hat diese Nutzenberechnung radikal verändert. Inzwischen haben nicht nur Scholz und Lindner in Madrid für die Vollendung von Midcat antichambriert. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftigte Anfang März bei ihrem Besuch in der spanischen Hauptstadt, es sei nötig, an den Verbindungen zwischen der iberischen Halbinsel und dem Rest Europas zu arbeiten.
EU befürwortet Bau einer neuen Pipeline nach Frankreich
Sowohl in Madrid als auch in Portugal, das mit Spaniens Gasnetz verbunden ist, ist man dafür offen. Premier Sánchez sieht in der Pipeline die Gelegenheit, Spanien zur Drehscheibe für die Gasversorgung Europas zu machen. Zahlen soll dafür die EU.
Weder Berlin noch Brüssel haben Einwände. Die neue Pipeline soll nicht nur Gas, sondern auch grünen Wasserstoff transportieren können und damit langfristig Dienste leisten. Sánchez hat auch bei erneuerbaren Energien ehrgeizige Ziele: Er will Spanien zu einem der größten Hersteller von grünem Wasserstoff in Europa machen. Eine Pipeline kommt ihm dafür gerade recht.
Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. Branchenexperten gehen davon aus, dass der Bau der Pipeline drei bis fünf Jahre dauert. Eine schnelle Lösung für die Versorgungsengpässe bietet sie damit nicht.
Franzosen bleiben zurückhaltend
Zudem zeigen sich die Franzosen bisher weniger enthusiastisch. „Das sind interessante Verbindungen, aber auch sehr teure“, sagte der französische Botschafter in Spanien, Jean-Michel Casa, in einem Interview mit der Zeitung „La Vanguardia“. „Über diesen Aspekt muss man auch reden.“Frankreich hat das Projekt offenbar immer schon eher skeptisch gesehen, weil es mit erheblichen Investitionen in das südfranzösische Gasnetz verbunden ist und es bereits Proteste von Umweltverbänden gegen den Bau gab.
Sollte Spanien dem Rest Europas helfen, müsste man die ursprünglich geplante Kapazität der Pipeline erweitern, fordert Diego Rodríguez, Energieexperte von der Complutense Universität in Madrid. „7,5 Milliarden Kubikmeter helfen nicht viel“, sagt er.
Eine Erweiterung aber würde bedeuten, dass ein neues Projekt entworfen werden muss – was nicht nur länger dauert, sondern auch die Kosten von rund drei Milliarden Euro für den ursprünglichen Plan in die Höhe treiben würde.
Langfristig soll die Pipeline grünen Wasserstoff transportieren
Das größte Problem sieht er indes in dem geplanten Transport von grünem Wasserstoff. „Keiner weiß, wie eine solche Wasserstoffpipeline für große Strecken aussehen soll, da es sie bislang noch nirgendwo gibt“, sagt der Energieexperte.
Die EU experimentiere gerade erst mit dem sogenannten Blending, bei dem ein geringer Prozentsatz Wasserstoff dem Gas beim Transport beigemischt wird. „Die Entwicklung einer Pipeline, die auch für reinen Wasserstoff geeignet ist, wird das Projekt weiter verzögern“, so Rodríguez.
Auch bei den Gaslieferungen aus Algerien nach Spanien gibt es derzeit Probleme. 37 Prozent und damit der größte Teil der Gasimporte bezog Spanien im vergangenen Jahr via Pipeline aus dem nordafrikanischen Land. Flüssiggaslieferungen aus den USA machten 14 Prozent aus und standen an zweiter Stelle. Aus Russland kamen nur neun Prozent.
Auch in Algerien behindern politische Spannungen den Gastransport
Allerdings ist derzeit nur noch eine der beiden Gasleitungen zwischen Algerien und Spanien in Betrieb: Medgaz. Sie verläuft direkt unter dem Mittelmeer bis in die spanische Hafenstadt Almería. Ihre Kapazität wurde jüngst von acht auf zehn Milliarden Kubikmeter Gas aufgestockt, um den Ausfall der zweiten Pipeline etwas zu kompensieren: Maghreb-Europa-Gas (MEG). Diese Leitung läuft von Algerien durch Marokko und die Meerenge von Gibraltar nach Spanien.
Mit Marokko aber streitet Algerien über die Westsahara. Damit Marokko nicht mehr von den Durchleitungsgebühren für algerisches Gas profitiert, hat Algier die Pipeline mit einer Kapazität von zwölf Milliarden Kubikmetern im vergangenen Herbst geschlossen. Madrid hat deshalb sogar schon auf LNG-Lieferungen aus Algerien zurückgegriffen, um seinen eigenen Bedarf zu decken.
Wenig hilfreich ist zudem, dass Algier historisch Moskau nahesteht. Allerdings dürfte sich das Land einem guten Deal mit Europa wohl kaum verschließen: Neben den Leitungen nach Spanien verläuft eine weitere von Algerien nach Italien.
Algerische Förderanlagen sind zum Teil veraltet
Der spanische Ministerpräsident Sánchez hat bereits in Algerien angefragt, ob man die Lieferungen künftig auch aufstocken könne. Experten gehen allerdings davon aus, dass das nicht so einfach ist. Viele der algerischen Förderanlagen sind veraltet und müssten zunächst erneuert werden. Versuche, in Algerien via Fracking Gas aus Schiefergestein zu fördern, wurden nach heftigen Protesten der Einwohner 2015 und 2020 wieder eingestellt.
Bleiben also zunächst vor allem LNG-Lieferungen nach Spanien zum Weitertransport Richtung Norden. Besonders umweltfreundlich sind die zwar nicht: 65 Prozent des in den USA geförderten Öls und Gases stammt aus Fracking – einer Fördermethode mit Chemikalien, die die Umwelt stark belastet. Doch Europa kann in der aktuellen Lage wohl nicht wählerisch sein.