Material-Probleme der Bundeswehr Pleiten, Pech und Panzer
10. April 2022Mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen soll bei der Bundeswehr vieles besser werden. Kann das funktionieren? Die Mängelliste ist lang. Viele Rüstungsprojekte scheiterten oder wurden teurer als erwartet.
Seit 2014 ist der Etat der Bundeswehr kontinuierlich gestiegen. Ein Grund dafür war auch die russische Annexion der Halbinsel Krim. Doch die Truppe leidet bis heute unter gravierendem Ausrüstungsmängel. Nun soll mit den 100 Milliarden alles besser werden. Doch auch grundsätzlich muss sich einiges ändern. Denn in den vergangenen Jahren sind viele Rüstungsprojekte gescheitert, wurden auf die lange Bank geschoben oder teurer.
Der Schützenpanzer „Puma“
Der Panzer mit dem Wildkatzennamen hat den Satz in die Beschaffungs-Geschichtsbücher spielend geschafft: Vergingen doch seit dem ersten Projektvertrag im Jahr 2002 und der Auslieferung aller Modelle fast zwei Jahrzehnte – Milliarden-Kosten-Steigerungen inklusive, sowie der einen oder anderen Kuriosität: Hatte man doch zwischenzeitlich nicht ohne Erstaunen festgestellt, dass Panzergrenadiere auf den Rückbänken – anders als beim Vorgängermodell „Marder“ – eine Größe von 1,84 Meter aus Platzgründen nicht überschreiten durften.
Als die Neukonstruktion des längst als „Problem-Panzer“ verspotteten „Puma“ 2020 endlich in großer Zahl an die Truppe geliefert wurde, bewerteten die zuständigen Generäle die Einsatzbereitschaft als „unbefriedigend“. Erst im vergangenen Jahr erklärte die Truppe dann den Puma, wie es im Fachjargon heißt, als „taktisch gefechtstauglich“. Nun lobt die Truppe das Gerät als den „modernsten Schützenpanzer der Welt“.
Großgerät bei der Bundeswehr In der Werkstatt statt im Einsatz
Der „Puma“ sollte der Stolz der Truppe werden. Doch viele der Schützenpanzer stehen in der Werkstatt. Von 71 im vergangenen Jahr ausgelieferten Fahrzeugen sind 27 einsatzbereit. Es ist nicht das einzige Großgerät mit Problemen.
Derzeit läuft das große NATO-Manöver „Trident Juncture“, Deutschland hat dafür Tausende Soldaten, Kampfpanzer und mehreren Kriegsschiffe nach Norwegen geschickt. Ausrüstung und Gerät – das ist kein Geheimnis – musste dafür in der gesamten Bundeswehr zusammengesucht werden. Denn nicht nur bei der persönlichen Ausrüstung, sondern auch beim militärischen Großgerät gibt es weiterhin große Probleme.
Sogar bei recht frisch ausgelieferten Systemen ist die Einsatzbereitschaft mangelhaft: 2017 wurden 97 Großgeräte an die Truppe übergeben. Nach Angaben des Verteidigungsministerium können davon derzeit nur 38 genutzt werden. Das entspricht einer Quote von 39 Prozent. Ziel der Bundeswehr sind eigentlich 70 Prozent.
Ein lahmender „Puma“
Große Probleme machen laut dem des Parlamentarischen Staatssekretär Peter Tauber derzeit vor allem der Schützenpanzer „Puma“ und das Transportflugzeug A400M. Die Qualität bei Auslieferung sei „weiterhin steigerungsfähig“, heißt es in Taubers Antwort auf eine Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Matthias Höhn. „Hier sehen wir nach wie vor die Industrie in der Pflicht, die vereinbarten Leistungen schnellstmöglich zu erfüllen.“
Von den 71 im vergangenen Jahr ausgelieferten „Puma“-Schützenpanzern sind 27 einsatzbereit, von den acht A400M sind es vier Maschinen.
Auch viele „Tiger“-Kampfhubschrauber, NH90-Transporthubschrauber und „Eurofighter“-Jets müssen derzeit am Boden bleiben.
Die Einsatzbereitschaft bei den neuen Geräten liegt sogar noch deutlich unter dem Durchschnitt aller etwa 5000 Exemplare der 53 Hauptwaffensysteme, die der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Aus dem jüngsten Prüfbericht vom Februar 2018 geht hervor, dass davon insgesamt deutlich mehr als die Hälfte eingesetzt werden können.
Von der Leyen verteidigt sich
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sieht die Statistik als nicht besonders aussagekräftig an. Das Bild sei komplex und lasse sich durch eine Stichtagsmessung schwer zeigen, kommentierte sie am Rande eines Truppenbesuchs in Norwegen. So hätten die in der Statistik auftauchenden „Eurofighter“-Kampfjets nur eine Anpassung der Software gebraucht, die mittlerweile erfolgt sei. „Heute zum Beispiel sind sie alle einsatzbereit“, sagte sie.
Zugleich räumte von der Leyen ein, dass es beim Transportflugzeug A400M und beim „Puma“ größeren Nachbesserungsbedarf gibt. „Da wissen wir, dass es gewisse Mängel gibt“, sagte sie. Es sei dennoch wichtig, dass die Waffensysteme schon da seien, um Training und Ausbildung zu ermöglichen.
Kritik von Linkspartei
Der Linkspartei-Abgeordnete Matthias Höhn kritisierte den Zustand der Bundeswehr: Selbst brandneues militärisches Gerät direkt aus den Produktionshallen der Rüstungsindustrie funktioniere nicht. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn der Industrie Material abgenommen und dafür bezahlt wird, dieses aber nicht funktioniert.“ Was geliefert werde, müsse auch zu 100 Prozent einsatzfähig sein.
„Gorch Fock“ und Co
Das vermutlich bekannteste Marine-Schiff, das lange nicht segelte, war die „Gorch Fock“: 2015 kam sie ins Dock, geschätzte Reparaturkosten: zehn Millionen Euro. Ein Betrag, der in der Folge auf schließlich 125 Millionen anschwoll. Was zwischenzeitlich Zweifel aufwarf, ob man das Schulschiff überhaupt je wieder die Weltmeere durchpflügen lassen sollte, was sie heute wieder tut.
Doch noch viel mehr Zeit, Geld und Nerven dürfte die Bundeswehr die Fregatte mit der Typbezeichnung F125 gekostet haben. Zunächst als künftiger „Stolz der deutschen Marine“ angekündigt, wurde es nicht nur mit mehrjähriger Verzögerung, sondern dann auch noch mit Mängeln ausgeliefert. Geschätzte Mehrkosten: eine Milliarde Euro.
Dass erst vor wenigen Wochen die Meldung aufhorchen ließ, Deutschland habe für zwei Tankschiffe 250 Millionen Euro mehr ausgegeben, als sie eigentlich wert seien, passte da irgendwie ins Bild.
A400M und G36
Die pure Nennung dieser Abkürzungen trieb den Verantwortlichen lange Schweißperlen auf die Stirn. Als der erste gigantische Transportflieger A400M im Jahr 2014 bei der Luftwaffe ankam, hatte er bereits fünf Jahre Verspätung – und eine lange Strecke technischer Probleme erst noch vor sich. Noch im Jahr 2019 schickte die Bundeswehr zwei Maschinen zurück an Airbus – wegen lockerer Schrauben an den Propellern. Jetzt wird der Gigant der Lüfte für seinen Einsatz bei der Evakuierungsmission von Kabul gelobt, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass im vergangenen Jahr nur etwa zehn der insgesamt 30 Maschinen einsetzbar waren.
Quälend lang zieht sich auch die Entscheidung darüber hin, welches Gewehr die Truppe eines Tages in Händen halten soll – als Nachfolgemodell für das G36, das längst ausgemustert hätte sein sollen. Dass sich die zwei konkurrierenden Anbieter Haenel und Heckler&Koch noch vor Gericht beharken, hat auch viel mit einem schludrigen Ausschreibeverfahren zu tun. Dabei sollte das Gewehr, wie es die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann einst ausdrückte, so etwas wie „Messer und Gabel“ der Soldaten sein. Auch die vermeintlich simple Besteckauswahl aber dauert länger als gedacht.
Wo liegt das Problem?
Rüstungskonzerne und Verteidigungsministerium schoben sich in der Vergangenheit gern gegenseitig die Schuld zu: Die Hersteller beklagten, die Besteller kämen stets mit immer neuen Nachbesserungsvorschlägen, würden beim Gerät nichts unterhalb der „Platin-Lösung“ akzeptieren. Die Politik kritisierte, die Konzerne würden Geduld und Geldbeutel des zahlungskräftigen Staats bewusst auf die Probe stellen.
Kein Wunder also, dass bei einigen der nun anstehenden Anschaffungen Lösungen „von der Stange“ – wie der US-Kampfjet F35 oder der israelische Raketenschild Arrow 3 – im Gespräch sind. Auch leugnet kaum jemand, dass beim Beschaffungsamt der Bundeswehr (BAAINBw) dringender Reform- und Beschleunigungs-Bedarf besteht. Geschieht das nicht, so die Warnung, könnte die Wirkung des versprochenen 100 Milliarden-Euro-Pakets für die Bundeswehr schneller verpuffen, als gedacht.