Teuer-Schock trifft uns hart, doch Olaf Scholz versucht, die Inflation zu vertuschen
21. April 2022Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist hartleibig bis an die Grenze der Wirklichkeitsverweigerung. So wie er Putins Gaspipeline Nord Stream 2 immer wieder als „privatwirtschaftliche Veranstaltung“ klassifizierte, so weigert er sich jetzt, die Inflation als Top-Thema der Bürger anzuerkennen. Dahinter steckt knallhartes politisches Kalkül.
Ich kannte einen Kommunikationschef, der hat seinem Vorstandsvorsitzenden in der konzerneigenen Grafikabteilung immer wieder phantasiereiche Titelseiten der Bild-Zeitung bauen lassen.
Diese erfundenen Titelseiten waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt, sondern sie sollten der gedanklichen Klarheit dienen. Brisante Vorstandsbeschlüsse, beispielsweise zu Entlassungen, zum eigenen Millionen-Bonus oder auch zum Outsourcing in Länder mit Kinderarbeit, wurden zugespitzt visualisiert. Die Titelseite diente als Kontrollinstanz für den Chef – bevor dessen Wollen zur Wirklichkeit wurde. Bedenke die mediale Folge! Das war die Botschaft des Kommunikationschefs.
Kanzler und Inflation: An Grenze zur Realitätsverweigerung
Im Falle von Olaf Scholz drängt sich dieses Verfahren regelrecht auf. Der Mann ist hartleibig bis an die Grenze der Wirklichkeitsverweigerung. So wie er Putins Gaspipeline Nord Stream 2 immer wieder als „privatwirtschaftliche Veranstaltung“ klassifizierte, so weigert er sich jetzt, die Inflation als Top-Thema der Bürger anzuerkennen.
Für ihn gilt das Motto: Alle reden von der Inflation. Ich nicht.
Er wolle „allen die Sorge nehmen, dass wir mit der Inflation ein allzu großes Problem kriegen“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Ende Juni 2021. Norbert Walter-Borjans, der ehemalige Finanzminister der SPD in Nordrhein-Westfalen und spätberufene Parteivorsitzende, nannte die Inflationssorgen „verständlich“, aber: „Aktuell begründet sind sie nicht.“ Da hatte sich die Geldentwertung bereits auf vier Prozent beschleunigt.
Scholz‘ Fehlprognosen: Ausdruck politischer Grundhaltung
Das von Scholz geführte Finanzministerium hat – wie die EZB – mehrfach falsche Inflationsprognosen veröffentlicht. Sie waren oft schon zum Zeitpunkt der Prognose durch die reale Geldentwertung widerlegt. Bis heute meidet Olaf Scholz das Thema, weil seine Fehlprognosen eben keine einfachen Fehlprognosen sind, sondern Ausdruck seiner politischen Grundhaltung:
Er wusste um die gesetzliche Pflicht, dass die Inflation im Einkommensteuertarif berücksichtigt werden muss. Das spart dem Steuerzahler Milliarden, die dem Finanzministerium dann wiederum fehlen. Und weil Scholz dieser Korrektur nicht nachkommen wollte – und auch der Nachfolger dem bis heute nicht nachgekommen ist – lieben Finanzminister ihre zu niedrig angesetzten Inflationsraten.
Kanzler unterstützt wundersame Geldvermehrung durch EZB
Scholz mag das Thema Inflation auch deshalb nicht, weil er dann die Geldflutungspolitik der EZB kritisieren müsste. Aber das hat er nie getan und das will er auch jetzt nicht tun. Er unterstützt die wundersame Geldvermehrung, weil nur so sich die südeuropäischen Schuldenstaaten finanzieren lassen. Die Schuldenunion, bei der sich von 19 Euro-Staaten nur noch sieben an die Kriterien des Stabilitätspaktes halten, ist für die SPD integraler Bestandteil ihrer Europapolitik.
Strategisch glaubt die SPD, beim Thema Inflation sei für sie kein Blumentopf zu gewinnen. Sie geht fälschlicherweise davon aus, es handelt sich um ein Thema der Konservativen. Linke beziehen sich für gewöhnlich eben nicht auf Ludwig Erhard, den Mann von Maß und Mitte, sondern auf Nobelpreisträger Paul Krugman und die anderen Vertreter der „Modern Monetary Theory“. Demnach gibt es zwischen der im Umlauf befindlichen Geldmenge und der Geldentwertung keinen Zusammenhang. Wer anderes behauptet: altes Denken.
Spürbare Wohlstandsverluste für alle: Scholz bleibt stumm
Auch als die Inflation zum Jahresende 5,3 Prozent betrug und mittlerweile auf 7,3 Prozent in Deutschland empor schnellte, blieb Scholz daher stumm. Ausgerechnet der Mann, der im Wahlkampf den Mindestlohn ins Zentrum seiner Kampagne rückte, hat offenbar seine Stimme verloren. Die Wohlstandsverluste seiner Wähler, die für jedermann an der Tankstelle, an der Supermarktkasse und beim Bezahlen der Strom- und Ölrechnung spürbar sind, versucht er nicht zu adressieren, sondern zu vertuschen.
Fazit: Die kommunikative Verweigerung ist keine Gewinnerstrategie für einen Bundeskanzler. Der letzte Mensch, der mit vorsätzlicher Sprachlosigkeit halbwegs über die Runden kam, war Oskar Matzerath aus der Blechtrommel von Günter Grass. Aber auch der kleine Oskar – der bei einem Körpermaß von 94 cm eingefroren war – hat irgendwann zu sprechen begonnen. Nur so konnte er wieder wachsen.
Zur Person
Gabor Steingart zählt zu den bekanntesten Journalisten des Landes. Er gibt den Newsletter „The Pioneer Briefing“ heraus. Der gleichnamige Podcast ist Deutschlands führender Daily Podcast für Politik und Wirtschaft. Seit Mai 2020 arbeitet Steingart mit seiner Redaktion auf dem Schiff „The Pioneer One“. Vor der Gründung von Media Pioneer war Steingart unter anderem Vorsitzender der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group. Seinen kostenlosen Newsletter können Sie hier abonnieren.