„Putin hat sein eigenes Ende eingeleitet“

„Putin hat sein eigenes Ende eingeleitet“

25. April 2022 Aus Von ...Linda Gerke

Die Linke steckt nach Wahlniederlagen in Bund und zuletzt im Saarland in einer tiefen Krise. Nun hat auch noch die Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hingeschmissen. Zudem erschüttern Sexismus-Vorwürfe die Partei. Der frühere Partei- und Fraktionschef Gregor Gysi rät seiner Partei dringend zu einem Ende des Dauerstreites. Wladimir Putin habe mit dem Ukraine-Krieg sein eigenes Ende eingeleitet, sagt Gysi im Interview

 Der ehemalige Frontmann der Linken, Gregor Gysi, sieht seine Partei in einer grundlegenden Krise. „Es geht um unsere Existenz“, sagt der frühere Partei- und Fraktionschef

© Kay NietfeldDer ehemalige Frontmann der Linken, Gregor Gysi, sieht seine Partei in einer grundlegenden Krise. „Es geht um unsere Existenz“, sagt der frühere Partei- und Fraktionschef

Herr Gysi, Ihre Partei muss gerade durch einige heftige Krisen. Wird die Linke überleben?

Gysi Die Linke ist tatsächlich in einer schweren Krise. Es geht um unsere Bedeutung, und es geht um unsere Existenz. Ich fürchte allerdings, dass noch nicht alle Genossinnen und Genossen den Ernst der Lage verstanden haben, sonst würde nicht munter weiter miteinander öffentlich gestritten werden. Da ich aber ein Zweckoptimist bin, glaube ich, dass die Linke es schaffen kann. Deswegen werde ich beim Bundesparteitag im Juni auch sprechen. Die nächste Bundestagswahl wird entscheiden, ob es für die Linke als politische Partei eine Zukunft gibt. Es geht für uns um alles.


Sie haben beim Göttinger Parteitag 2012 sogar aus der Bergpredigt zitiert, weil so viel Hass in Partei und Fraktion sei. Warum sieht es zehn Jahre danach nicht besser aus?

Gysi Es sind jetzt andere Probleme, aber der Streit muss aufhören, vor allem die Art des Streites. Die Grünen streiten sich ja nicht weniger als wir, aber da erfährt es die Öffentlichkeit kaum. Wir haben weiter leichtfertig die Ostidentität aufgegeben und somit der AfD im Osten eine Chance gegeben, die sie nie hätte haben dürfen. In unserer Partei wird oft nicht deutlich, was Mehrheitsmeinung und was Minderheitsmeinung ist, weil Vertreter der Minderheit in Talkshows auftreten und es dort sehr gut verstehen, ihre Meinung so zu äußern, als stünde sie für die Mehrheit in der Partei.

Sahra Wagenknecht?

Gysi Es gibt in der Linken zu viel Rechthaberei, zu viel Ideologie. Das bringt uns nicht weiter. Der Bundesvorstand hat sich mit vielen Fragen beschäftigt – aber wie oft eigentlich noch mit dem Osten? Es muss sich niemand wundern, dass uns die Menschen hier immer weniger wählen. Ob kritische Bücher über die Linke tatsächlich unmittelbar vor der Bundestagswahl veröffentlicht werden müssen, gut, es verkauft sich besser. Aber geht es manchen wirklich noch um die Partei?

Die Sexismus-Vorwürfe…

Gysi… sind unsäglich. Die Linke ist eine demokratische, emanzipatorische Partei. Sexismus darf bei uns keinen Platz haben.

Hat Sie der Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow überrascht?

Gysi Ich denke, sie war auf dieser Position nicht glücklich. Es hat ihr allerdings auch niemand geholfen, als Co-Vorsitzende der Bundespartei glücklich zu werden.

Wann soll der Bundesvorstand neu gewählt werden – beim Parteitag im Juni oder später bei einem Sonderparteitag?

Gysi Nach unserem Statut ist der Parteivorstand für zwei Jahre gewählt. Da muss jetzt der Bundesvorstand sich selbst beraten. Aber ich will das nicht als Selbstzweck. Wenn wir uns für Neuwahlen zum Parteivorstand entscheiden, dann muss dabei wirklich auch ein Neuanfang herauskommen. Das geht vielleicht aber auch mit dem bisherigen Vorstand. Wir müssen uns nur klar sein: So wie bisher können wir nicht weitermachen. Wir brauchen eine Zäsur, egal, ob jetzt neu gewählt wird oder später.

Wie muss sich die Linke jetzt inhaltlich neu aufstellen?

Gysi Im Unterschied zu Anderen gebe ich die Partei nicht auf. Aber: Die Linke muss sich verändern. Wir haben als Linke eine breite Interessenvertretung zu organisieren. Wir müssen uns um Flüchtlinge und Hartz-4-Empfangende kümmern, um Arbeitslose, um Menschen mit Behinderungen. Aber in erster Linie müssen wir an die soziale Situation und die Frage der guten Arbeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denken. Und darüber hinaus: an die Solo-Selbstständigen, an die Inhabenden kleiner Unternehmen und an den Mittelstand. Wenn bei uns Fragen der Genderschreibweise mit „:*“ scheinbar wichtiger werden als die Sorgen von Arbeitenden, dann machen wir etwas falsch. Die Beschäftigten erkennen so nicht ausreichend, dass wir die SPD von links und sozial unter Druck setzen wollen.

Muss die Linke ihre Positionen in der Außen- und Sicherheitspolitik überdenken und sich aufgerüttelt durch den Ukraine-Krieges etwa klar zu Militäreinsätzen mit UN-Mandat bekennen?

Gysi Die Linke ist und bleibt eine Friedenspartei. Die SPD ist damals mit dem Jugoslawien-Krieg einen anderen Weg gegangen. Dieser Krieg war ein Verstoß gegen das Völkerrecht, weil es dafür kein Mandat gab, ebenso wie jetzt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ein klarer Bruch des Völkerrechts ist. Der Krieg der USA gegen den Irak – glücklicherweise ohne Deutschland – war ebenfalls völkerrechtswidrig.

Militäreinsätze mit UN-Mandat?

Gysi Die Linke ist die Partei des Völkerrechts und dazu zählt die Charta der Vereinten Nationen, in der ganz klar der Einsatz von Militär in bestimmten Fällen vorgesehen ist. Das Völkerrecht verbietet Angriffskriege. Verteidigungskriege sind immer erlaubt. Und dann gibt es den Ausnahmefall, dass der UN-Sicherheitsrat einen Militäreinsatz beschließt. Die Nato hat mit Blick auf Russland fast alles falsch gemacht. Aber es gibt keinen einzigen Fehler, der diesen russischen Angriffskrieg rechtfertigt. Bedingungslose Kapitulation, wie manche es jetzt von Außen von der Ukraine erwarten, ist für mich keine Friedenspolitik. Ein Aufgeben kann nur die ukrainische Führung – möglichst in Übereinstimmung mit der eigenen Bevölkerung beschließen. Aber ich möchte, dass auch meine Partei über die Charta nachdenkt. Wir müssen uns UN-mandatierte Militäreinsätze im Einzelfall anschauen. Wenn es um die Verteidigung eines angegriffenen Landes geht, ist das eben eine neue Lage. Aber Deutschland hat eine andere Geschichte als andere Länder, das ist immer zu berücksichtigen.

Stimmen Sie der Lieferung von Waffen und schwerem Gerät aus Deutschland an die Ukraine also zu?

Gysi Nein, ich stimme nicht zu. Deutschland darf schon aus historischen Gründen und wegen seiner Schuld im Zweiten Weltkrieg keine Waffen auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion liefern. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine ehemalige Sowjetrepublik gegen eine andere aufzurüsten. Wenn wir das jetzt in der Ukraine machen, kommen in Kürze Armenien, Aserbaidschan oder Moldawien und sagen: Wir brauchen auch Waffen aus Deutschland. Der Ringtausch für Panzer, den Bundeskanzler Olaf Scholz jetzt mit osteuropäischen Staaten organisiert, ist ein Trick. Und Tricks helfen in der Politik nicht weiter.

Andere Nato- oder EU-Staaten aber dürfen Waffen liefern?

Gysi Ist es denn völlig falsch, einem angegriffenen Land, wenn es keinen militärischen Mandatsbeschluss des UN-Sicherheitsrates gibt, Unterstützung zu gewähren, dass es sich selbst verteidigen kann? Das ist zumindest eine Frage, die ich aufwerfe. Gar keine Waffen zu liefern, wie es die Friedensbewegung will, ist im Prinzip richtig, aber in diesem Fall zu einfach. Ob ein angegriffener Staat aufgibt im Krieg oder nicht, hat niemand von außen zu entscheiden.

Hätten Sie sich ein Öl- und Gasembargo aus Deutschland gewünscht?

Gysi Nein. Ich bin für Sanktionen gegen die russische Führung und gegen die Oligarchen. Aber ich bin gegen Sanktionen gegen die Bevölkerung. Es ist ein Irrtum, zu glauben, wenn es der Bevölkerung schlecht geht, stellen sich die Menschen gegen Putin. Er wird die Wut eher auf uns lenken. Vor allem: Es gibt auch ein Russland nach Putin. Ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wie. Wenn wir alle Verbindungen nach Russland abbrechen und dort neue Verbindungen mit anderen Teilen der Welt entstanden sind, kommen wir als Europa nicht wieder zurück. China, Indien und Russland bauen gerade an einem Zweckbündnis. Damit entsteht ein Machtfaktor, dem wir nicht gewachsen sind.

Wer kann Putin noch stoppen?

Gysi Vielleicht hätte man vor Beginn des Krieges Angela Merkel und Gerhard Schröder gemeinsam zu Putin schicken können. Die eine schätzt er, den anderen mag er. Nach den Forderungen Putins hätte die NATO Gegenforderungen aufstellen und Verhandlungen anbieten sollen. Wer es jetzt noch richten kann? Die Türkei versucht es. Schweden und Finnland, beide neutral, wären früher eine Option gewesen, wollen jetzt aber auch in die Nato. Ich weiß es schlicht nicht. Ich weiß nicht, was Putin denkt. Ich denke aber, er hat sein eigenes Ende eingeleitet. Wie soll er aus diesem Krieg wieder herauskommen? Der Druck der Soldatenmütter, die sehr leidensfähig sind, wird eines Tages so laut werden, dass daraus Unmut, eventuell sogar breiter Protest werden kann. Die Kosten, die Toten, die Verletzten auch auf russischer Seite sind einfach zu hoch.

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