Wegen BA.5-Variante – Zahlen steigen enorm: Was die britische Corona-Situation für uns bedeutet

Wegen BA.5-Variante – Zahlen steigen enorm: Was die britische Corona-Situation für uns bedeutet

4. Juli 2022 Aus Von ...Susanne Kimmpert

Wieder müssen wegen Corona mehr Menschen ins Krankenhaus als noch vor ein paar Wochen. So ist die Situation in Großbritannien. Oft war sie ein „Blick in die Corona-Zukunft“ für Deutschland. FOCUS Online veranschaulicht die Zahlen und erklärt, was sie für uns bedeuten.

Seit Anfang Juni steigen die Fälle der Neuinfektionen wieder. In Großbritannien nahmen beinahe gleichzeitig die Krankenhauseinweisungen wieder zu – wenngleich sie längst nicht das Niveau der vorherigen Omikron-Wellen erreichen. Jetzt sind die neuen Corona-Varianten BA.4 und BA.5 im Umlauf und verbreiten sich rasant. Inwiefern ist das Szenario aus Großbritannien auf Deutschland übertragbar? Ein Warnsignal? Das sagen die Experten.

In der Tat lohne sich der Blick in andere Länder und auf die dortige Coronalage. „Großbritannien und andere Länder haben schon früher als Deutschland eine Übernahme des Infektionsgeschehens durch die Untervariante BA.5 registriert“, erläutert Timo Ulrichs, Infektionsepidemiologe von der Akkon Hochschule Berlin auf Anfrage von FOCUS Online. „Mit dem Aufbau einer Sommerwelle nehmen dort zeitversetzt auch die Krankenhauseinweisungen zu, die Todesfälle werden in einem weiteren zeitlichen Abstand ansteigen. Es gibt keinen Grund, warum diese Entwicklung in Deutschland nicht zu erwarten wäre .“

Zur Person

Timo Ulrichs ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologe. Er arbeitet am Institut für globale Gesundheit als Studiengangsleiter für internationale Not- und Katastrophenhilfe. Außerdem war er als Referent am Bundesministerium für Gesundheit tätig und dort unter anderem zuständig für den Seuchenschutz und die Influenzapandemieplanung.

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen

Zur Lage in Deutschland: Der Trend ist klar. Im 7-Tage-Schnitt liegt Deutschland sogar noch vor Großbritannien. „Dieses entspricht jedoch weder dem was viele Bürger in ihrem Umfeld erleben noch dem was die Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitssektor in Großbritannien berichten“, mahnt Ralf Reintjes, Epidemiologe der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften. „Laut britischer Studien liegt dort das derzeitige Infektionsgeschehen auf einem ähnlich hohen Niveau wie zu Hochzeiten im letzten Winter.“

Zur Person

Ralf Reintjes ist Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung an der Hamburg Universität für Angewandte Wissenschaften. Seine Schwerpunkte liegen in der Untersuchung von Infektionskrankheiten, Expertise in Surveillance und Pandemic Preparedness auf nationaler Ebene sowie international (vorallem Europa, Asien und Afrika).

 

Nach bisherigen Daten sind die beiden Varianten BA.4 und BA.5, die nun auch in Deutschland dominant werden, „leider sehr ansteckend“, urteilte der Virologe Friedemann Weber. Es sei also durchaus möglich, dass der momentane Anstieg noch eine Weile anhält und auch zu einer Zunahme an Todesfällen führt. Reintjes spricht von einer großflächigen Durchseuchung, die aktuell läuft, obwohl die Sommerzeit eigentlich die Jahreszeit sei, in der respiratorische Viren sich weniger gut verbreiten als zu anderen Jahreszeiten.

Coronavirus: Die Zahl der Krankenhausneueinweisungen

Zur Lage in Deutschland: Im Verhältnis zu den stark steigenden Neuinfektionen finden sich die Krankenhausneueinweisungen auf relativ niedrigem Niveau. Die Tendenz ähnelt jedoch der aus dem Vereinigten Königreich – die Kurve geht nach oben.

„Wir sehen bereits regional einen Anstieg der Hospitalisierungsraten“, sagt Epidemiologe Ulrichs. BA.5 und BA.4 schickten sich auch bei uns an, die dominierenden Varianten zu werden. „ Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, warum die Bundesregierung die gesetzlichen Rahmenbedingungen erst nach der Sommerpause im September in den Bundestag einbringen möchte – und auch erst dann mit einer weiteren Impfkampagne beginnen möchte.“ Andere Länder führten bereits jetzt das Maskentragen wieder ein.

Erste Anzeichen weisen darauf hin, dass BA.4 und BA.5 möglicherweise wieder tieferes Lungengewebe und nicht nur die oberen Atemwege angreifen. Weber schätzt, dass sie „eventuell auch pathogener“ sind als die vorherigen Omikron-Varianten, Lungenfacharzt Cihan Çelik vom Klinikum Darmstadt twitterte vergangene Woche: „Aktueller Eindruck von Covid-Normalstation (nicht repräsentativ): Betten füllen sich wieder und die Krankheitslast steigt deutlich. Fast alle Patienten hier brauchen Sauerstoff, das war vor vier Wochen selten geworden.“

Anders sieht das Virologe Ulf Dittmer vom Universitätsklinikum Essen: „Bisher sehe ich keine überzeugenden Daten, dass BA.4/5 pathogener sind als es BA.1/2 waren. Auch in Essen gebe es dafür keine Hinweise.

Die Zahl der Intensivpatienten

In Großbritannien machen sich die steigenden Zahlen der Neuinfektionen und Neueinweisungen ins Krankenhaus aktuell noch nicht auf den Intensivstationen bemerkbar.

Zur Lage in Deutschland: Hierzulande liegen wieder etwas mehr Menschen auf Intensiv als noch vor zwei Wochen. Die aktuellen Omikron-Subvarianten können dem Immunsystem noch besser aus dem Weg gehen als BA.1 und BA.2 und sind infektiöser. Daher erlebten wir in vielen Ländern, einschließlich Deutschland, eine erneute Welle, erläutert Dittmer. Der Virologe ergänzt: „Bei solchen Wellen gibt es dann leider am Ende immer einige wenige Patienten, die wieder auf der Intensivstation landen. Nicht selten auch mit Sars-CoV-2 als Nebenbefund und einer anderen schweren Erkrankung.“

Die Zahl der Todesfälle

Bei den Todesfällen verzeichnet Großbritannien aktuell keinen Anstieg. Da diese Zahlen naturgemäß immer erst zeitlich versetzt auf die Wellen folgen, lässt sich die Entwicklung bisher noch nicht bewerten.

Zur Lage in Deutschland: Sowohl Weber als auch Ulrichs erwarten allerdings, dass auf den derzeitigen Anstieg in der Sommerwelle eine Zunahme der Todesfälle folgt. Letzterer kritisiert daher das Zögern der Politik. Denn es „gilt, dass am Beginn einer Pandemiewelle leichte Maßnahmen ausreichen, um sie wirksam abzuflachen“, erklärt Ulrichs. „Ist die Welle erstmal im starken Wachstum, reichen die leichten Maßnahmen nicht mehr aus, und es müssen viel mehr Ressourcen mobilisiert werden, um die Auswirkungen dieser Welle abzumildern.“

Fazit: UK ist ein Warnsignal

Epidemiologe Reintjes sieht die Situation als deutliches Warnsignal für Deutschland. „Wenn wir mit einem derart hohen Infektionsdruck durch extrem viele Infizierte in der Bevölkerung bei einem sich ständig wandelndem Virus in den Herbst gehen, ist im Herbst und Winter mit noch höheren Infektion- und Erkrankungszahlen zu rechnen“, warnt der Experte.

Eine besondere Gefahr sieht er in der geänderten Teststrategie. Offizielle Zahlen werden das Geschehen vermutlich noch ungenauer wiedergeben, da das Testen derzeit deutlich zurückgefahren wird und Bürger durch Zusatzzahlungen für die Tests demotiviert werden sich testen zu lassen. „Sehr wahrscheinlich werden wir Bürger es eher in unserem Umfeld durch noch mehr Erkrankungen im Familien- und Freundeskreis sowie weiteren Ausfällen bei der Arbeit feststellen“, sagt Reintjes. Die gesellschaftlichen Kosten würden vermutlich weiter steigen, vermutlich deutlich höher als die Kosten für das Testen.