Fischsterben: Stettiner Haff könnte verschont bleiben
17. August 2022Tausende tote Fische treiben seit Tagen in der Oder. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Polen wird weiterhin über die Ursache der Umweltkatastrophe gerätselt. In diesem Liveticker finden Sie alle aktuellen Meldungen.
Umweltminister Backhaus: „Wir sind sofort einsatzfähig“
Umweltminister Till Backhaus (SPD) hat sich gegenüber NDR MV Live zu den Sicherheitsvorkehrungend es Landes geäußert. „Wir haben zur Zeit auf den Hoheitsgewässern des Landes Mecklenburg-Vorpommern, das wäre ja das Stettiner Haff, noch keine Ölsperren ausgebracht“. Aber „wir sind sofort einsatzfähig“, so Backhaus. Derzeit habe man sowohl Polen als auch dem Land Brandenburg zwei Ölsperren angeboten, weil die Welle nicht in MV angekommen sei. Diese seien bereits vom Technischen Hilfswerk verladen und jederzeit einsatzbereit. „Wir haben aber zur Zeit keinen Hinweis auf tote Fische“ oder auf eine entsprechende „Giftwelle“ innerhalb der Gewässers auf Landesgebiet.
Ranger des Naturparks Stettiner Haff beobachten Situation
Im Naturpark Stettiner Haff sind Ranger damit betraut, verstärkt den Küstenbereich, aber auch das Gelände nach verendeten Fischen und andere verendete Tiere, die sich von Fisch und totem Fisch ernähren, zu kontrollieren. Jochen Elberskirch, Leiter Naturpark Stettiner Haff zeigt sich bislang gelassen. „Die Situation ist angespannt, ja, aber wir sind sehr zuversichtlich, dass – was auch immer die Oder heruntergeflossen ist – das Stettiner Haff nicht in dieser Art und Weise tangieren wird, wie es im Oderraum passiert ist.“
Gewässerökologe: „Immens hohe Dichten toxischer Algen gefunden“
Giftige Algen könnten der Auslöser für das Fischsterben in der Oder sein. Gewässerproben haben ergeben, dass sich im Oderwasser „immens hohe Dichten“ einer Algenart befinden, die einen Giftstoff absondern, der vor allem für Fische extrem giftig sei, sagte Jörn Gessner, Wissenschaftler am Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin (IGB), gegenüber NDR MV live. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Brackwasserart, die auf hohe Salzkonzentrationen im Wasser angewiesen ist. Gessner geht im Fall des Fischsterbens in der Oder demnach von einem „menschengemachten Problem“ aus. Seit dem 5. August sei dieser erhöhte Salzgehalt aus Polen in der Oder zu beobachten. Als Ursache kommen laut Gessner „wahrscheinlich Abwässer“ in Frage. Als „größter Verdächtiger“ fassen die Mitarbeiter des Instituts derzeit Abwässer aus dem Kalibergbau ins Auge. Da sich „diese giftige Fracht“ bereits seit rund zwei Wochen in der Oder verbreitet, „kann das kein einmaliger Unfall sein“, so Gessner.
Stettiner Haff könnte verschont bleiben
Bislang ist Mecklenburg-Vorpommern und das Stettiner Haff vom Fischsterben verschont. „Wenn unsere Hypothese stimmt, sollte das auch so bleiben“, so Gessner. Die betreffenden Algen würden Gessner zufolge deutlich höhere Salzgehalte bevorzugen, als sie das Haff aufweist. Demnach sollte die Algenart im Haff nicht vermehrungsfähig sein, sondern sich maximal auf die Odermündung beschränken. Auswirkungen auf das Ökosystem des Haffs könnte die Oder-Katastrophe dennoch haben. Viele Fischarten würden sich zum Laichen in die Oder zurückziehen und deren Nachwuchs später wieder ins Haff zurückwandern. Dieses Ökosystem sei erst einmal gestört, das könnte am Ende auch Auswirkungen auf die Bestände im Stettiner Haff haben.
Landrat Sack beschwichtigt: Weiter beste Badebedingungen auf Usedom
Beim Bürgertelefon des Landkreis Vorpommern-Greifswald sind aufgrund des Fischsterbens in der Oder in den vergangenen Tagen vermehrt Nachfragen zur Situation an den Ostseestränden eingegangen. Nach Angaben eines Landkreissprechers würden sich vor allem Urlauberinnen und Urlauber „in nicht unerheblichem Umfang“ an das ursprünglich als Corona-Hotline eingerichtete Bürgertelefon wenden. Landrat Michael Sack (CDU) wiederholte, es würden „beste Badebedingungen“ auf Usedom herrschen, der Landkreis sei derzeit nicht vom Fischsterben in der Oder betroffen.
Das Bürgertelefon ist unter (03834) 8760 2300 erreichbar.
Polen: Bisher keine toxischen Substanzen gefunden
Nach Angaben von Polens Regierung seien bisher keine toxischen Substanzen entdeckt worden. Auch in den Proben toter Fische hätte es keine Hinweise auf Pestizide gegeben, so Polens Umweltministerin Anna Moskwa am Dienstagabend. Außerdem sagte sie, dass man drei Hypothesen in Betracht ziehe
- Eindringen eines giftigen Stoffes ins Wasser, entweder beim Produktionsprozess in einem an der Oder ansässigen Industriebetriebe oder durch eine illegale Einleitung in den Fluss
- Ursachen waren natürlicher Natur: hohe Temperaturen, niedrige Wasserstände und erhöhte Schadstoffkonzentrationen.
- Einleitung einer großen Menge chlorhaltigen Brauchwassers in die Oder. Chlor könne möglicherweise eine Verschmutzung der Bodensedimente auslösen, sagte die Ministerin.
Landesumweltamt Brandenburg: Quecksilber-Werte unauffällig
Während es auf polnischer Seite noch immer keine Laborergebnisse gibt, hat das Landesumweltamt Brandenburg inzwischen erste Laborergebnisse ausgewertet. Besonders hohe Werte für Metalle wie Quecksilber hätten sich dabei nicht gezeigt, teilte der Sprecher des Umweltministeriums, Sebastian Arnold, mit. Auffällig seien hingegen weiterhin die hohen Salzfrachten und der ebenfalls hohe Sauerstoffgehalt.
Theorie: Giftige Algen als Ursache für das Fischsterben?
Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei bringen als mögliche Ursache für das Fischsterben eine bislang noch nicht identifizierte, giftige Algenart ins Spiel, so der RBB. Damit würde sich der hohe Sauerstoffgehalt trotz hoher Temperaturen erklären. Der Gewässeranalytiker Wolf von Tümpling vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg hält die Algen-These ebenfalls für möglich. Belegt sei diese Theorie jedoch noch nicht.