Hohe Energiepreise – Wie die Ampel die Gasumlage loswerden will
26. September 2022Zuletzt schoben sich die Ampel-Parteien gegenseitig die Verantwortung für das Chaos zu. Nun wollen sie die Gasumlage ganz schnell wieder loswerden. Nur: Wie kommen sie da gemeinsam wieder raus?
Die Ausgangslage
Die Energiekrise ist inzwischen auch zu einer Krise der regierenden Drei-Parteien-Koalition geworden. Ein Jahr nach der Bundestagswahl, die SPD, Grünen und FDP die Regierungsmehrheit bescherte, rumpelt es hörbar in der Koalition. Die politische Situation hat sich in diesem Jahr aber auch komplett verändert, Kanzler Olaf Scholz und seine Minister und Ministerinnen sehen sich mit gewaltigen Problemen konfrontiert. Innenpolitisch dreht sich derzeit alles um die Frage, wie Deutschland durch den Winter kommt, also wie Energie angesichts explodierender Kosten bezahlbar bleibt – und zwar für Unternehmen und für Privathaushalte. Hier sucht die Ampel noch nach passenden Instrumenten – und streitet. Auch und gerade ums Geld. Opposition und Öffentlichkeit quittieren das Gezerre zunehmend mit Kopfschütteln. Zumal die Ängste vieler Menschen vor horrenden Energiekosten sehr real sind.
Die Gasumlage – wer hat’s erfunden?
Eine Strompreisbremse ist bereits als Teil des dritten milliardenschweren Entlastungspakets vereinbart, sie soll Privathaushalten für einen Basisverbrauch „Strom zu einem vergünstigten Preis“ garantieren. Beim Gas dachte sich das Ministerium von Robert Habeck im Juli eine Umlage aus, die ab Oktober auf alle Gaskunden abgewälzt werden soll. Das hat zwar höhere Preise für die Haushalte zur Folge, sollte aber die großen Gas-Importeure wie Uniper stützen, die durch die russische Gas-Verknappung mit höheren Beschaffungskosten zu kämpfen haben. Arme Haushalte sollten im Gegenzug gezielt entlastet werden. Doch die Pläne für die Gasumlage entpuppten sich schnell als nicht zu Ende gedacht, handwerklich fehlerhaft und verfassungsrechtlich zweifelhaft. Zumal der Bund nun bei Deutschlands größtem Gasimporteur Uniper einsteigen will, also das Unternehmen mit Steuermilliarden stützt. Aber darf ein staatlicher Konzern von der Gasumlage profitieren?
Warum der Sinneswandel?
Habeck hielt lange an der Gasumlage fest, doch die Zweifel und Kritik an den Plänen waren von Beginn an massiv. Sie kamen von der Opposition, von Sozialverbänden, von Ökonomen – und ziemlich bald selbst von den Koalitionspartnern. Das geplante Gesetz sah vor, dass alle Unternehmen ihren Anspruch geltend machen können. Das heißt: Von der Umlage sollten also auch die Unternehmen profitieren, die ohnehin dicke Gewinne schreiben. Doch je dramatischer sich die Belastungen für private Haushalte ankündigten, desto schwerer wurde dies vermittelbar. „So war es natürlich nicht unmittelbar mitgemeint“, gab Habeck bald zu – und kündigte zunächst Korrekturen an, um sogenannte Trittbrettfahrer auszuschließen. Wie Habeck allerdings im Detail dieses Problem lösen wollte, bleibt bis heute unklar.
Die SPD hatte Habeck da längst „handwerkliche Fehler“ vorgeworfen und ging zuletzt immer weiter auf Distanz. Für die Sozialdemokraten wäre die Belastung ohnehin kaum an ihr Wählerklientel zu vermitteln. Die angekündigte Verstaatlichung von Uniper öffnete – zumindest für Habeck – eine weitere Baustelle. So äußerte Habeck Zweifel daran, dass die Umlage nach der Uniper-Verstaatlichung überhaupt verfassungsrechtlich zulässig sei und kündigte eine Überprüfung an. Als letzter ging schließlich der FDP-Chef auf Distanz. Die Liberalen mussten sich am Ende dem Druck aus der Wirtschaft beugen. Denn auch die muss für die Umlage bezahlen – und dort ist sind die Sorgen groß.
Die FDP hatte die rechtlichen Bedenken Habecks zuvor nicht geteilt. Finanzminister Christian Lindner, der mit der Gasumlage die Hoffnung verband, trotz hoher Ausgaben die Schuldenbremse einzuhalten, dürfte für die Abkehr von der Umlage und der möglichen Einführung einer Gaspreisbremse wohl ein Gegengeschäft erwarten. Fest steht: Die Umlage sollte bis April 2024 Kosten von 34 Milliarden Euro ausgleichen – dafür muss auch weiterhin Geld gefunden werden.
Eigentlich nicht. Immer mehr Politiker der Regierungsparteien SPD, FDP und Grünen rückten in den vergangenen Tagen von der Gasumlage ab, zunächst sehr vorsichtig und wolkig, zuletzt immer deutlicher. Auch der Kanzler stand zunächst hinter den Plänen des Wirtschaftsministeriums: Die Umlage sei „das richtige Instrument“, um systemrelevante Gasversorger zu stabilisieren, sagte Scholz Ende August. Inzwischen klingt er weit weniger eindeutig und verweist auf eine Kommission, die die Gasumlage und alternative Instrumente prüfen soll. Die SPD-Führung ist da schon weiter und prognostiziert ein Ende der Gasumlage noch in dieser Woche. Die Partei sieht Wirtschaftsminister Habeck als zuständigen Ressortchef in der Pflicht, einen praktikablen Vorschlag zu machen. Dabei schwingt mit: Die unpopulären und unausgegorenen Pläne sollen Habeck und die Grünen ausbaden.
Die Grünen gehen ebenfalls auf Distanz zur Umlage, sehen bei einem Wegfall aber das FDP-geführte Finanzministerium in der Pflicht. „Die Gasumlage kann weg, sobald es aus dem Finanzministerium die Bereitschaft für eine Alternative gibt. Diese Alternative heißt: eine Finanzierung aus Haushaltsmittel“, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang. In Habecks Ministerium, das die Umlage ja selbst entwickelt hatte, gibt es inzwischen ebenfalls nicht nur rechtliche Zweifel an dem zunehmend unpopulären Projekt. Die Abgabe kann einen Vier-Personen-Haushalt mit bis zu 500 Euro im Jahr belasten – zusätzlich zu den ohnehin gestiegenen Gaspreisen.
Finanzminister und FDP-Chef Lindner, der aus Kostengründen lange eher als Verteidiger des Umlagemodells galt, stellt sich inzwischen die „wirtschaftliche Sinnfrage“. Statt Gas weiter zu verteuern, brauche man eine Gaspreisbremse. Die Frage der Finanzierung ließ er bei „Anne Will“ jedoch unbeantwortet. Er habe aber eine Idee. Auch die Koalitionspartner befürworten die Einführung einer Deckelung der Gaspreise für Verbraucher.
Wie die Ampel „Schwarzer Peter“ spielt
Das Gezerre um die Gasumlage belastet zunehmend das Klima in der Koalition. Vor allem zwischen den Ministern Habeck und Lindner kam es zum offenen Streit, etwa in der Frage nach der rechtlichen Prüfung. Mitunter erinnerte das Ganze an ein „Schwarzer-Peter-Spiel“. Das blieb auch der größten Oppositionspartei nicht verborgen: „Das wäre in normalen Zeiten vielleicht unterhaltsam, aber wir haben Krise“, sagte CDU-Vize Jens Spahn im ZDF.
Habeck und Lindner – das war von Beginn an eine schwierige Beziehung. Es ging um Ministerposten, Einfluss und auch Eitelkeiten. Dass Habecks Popularitätswerte auch wegen des Hin und Hers um die Gasumlage sanken, dürfte man bei der FDP mit einer gewissen Genugtuung registrieren. Zumal sich die Ampel-Beteiligung für die FDP bislang nicht auszahlt, zumindest nicht bei Landtagswahlen. Auch in Niedersachsen sieht es für die Partei nicht gut aus.
Was haben Schuldenbremse und Atomkraft damit zu tun?
Für die FDP ist die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 ein zentrales Wahlkampfversprechen. Mit einem Ende der Gasumlage und der Einführung eines Gaspreisdeckels kämen Mehrbelastungen in Milliardenhöhe auf Lindners Haushalt zu. Aus den Reihen von SPD und Grünen kommen bereits Rufe nach einem abermaligen Aussetzen der Schuldenbremse. Wegen Corona und Ukraine-Krieg ist sie bereits seit drei Jahren ausgesetzt. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sieht vor, dass Bund und Länder ihre Haushalte grundsätzlich ohne Kredite ausgleichen müssen. Wie Lindner nun einerseits die Schuldenbremse einhalten und andererseits einen Gaspreisdeckel finanzieren will, ist jedoch unklar.
Auf der anderen Seite gehört für die Grünen der Ausstieg aus der Atomkraft zur DNA. Eine Verlängerung der Laufzeiten wegen der Energiekrise kommt für die Partei nicht infrage. Schon Habecks Pläne, zwei AKW noch bis Mitte April einsatzbereit zu halten, bringen viele Grüne an ihre Schmerzgrenze.
Nun gibt es offenbar Versuche, beide Themen miteinander zu verbinden, vor allem von Seiten der FDP. So sagte Christian Lindner:
Eine Gaspreisbremse muss in der Kombination mit Maßnahmen wie der Verlängerung der Kernenergie beschlossen werden, damit wir die beste Wirkung haben.
Ähnlich hatte sich auch Fraktionschef Christian Dürr geäußert: „Die Preise sind deshalb so hoch, weil es zu wenig Energie gibt. Eine Preisbremse auf dem Strom- und Gasmarkt, verbunden mit einer Ausweitung des Energieangebots, ist die richtige Antwort. Eine Gaspreisbremse muss daher in Kombination mit einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke kommen.“
„Abwegig“, heißt es dazu bei den Grünen. Von einem Koppelgeschäft will man hier nichts wissen. Finanzminister Lindner solle das Geld für die Gaspreisbremse bereitstellen.
Und nun?
Die Pläne für eine Gasumlage dürften nach den jüngsten Wortmeldungen wohl erledigt sein. Am Mittwoch tagt das Kabinett, zudem kommt die Ministerpräsidentenkonferenz zusammen, um über Entlastungen zu diskutieren. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die Umlage zunächst zum 1. Oktober in Kraft treten wird. Grünen-Chef Omid Nouripour geht etwa davon aus, dass die Umlage erstmal in Kraft tritt und dann nachträglich wieder zurückgenommen wird. Das Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass die Umlage zwar Anfang Oktober in Kraft treten werde, Abschlagszahlungen aber erst Ende des Monats fällig würden.
Woher das fehlende Geld aber dann kommen soll, ist weiterhin offen. Einigkeit scheint es hingegen bei der Einführung einer Gaspreisbremse zu geben. Voraussetzung ist für die FDP allerdings, dass auch hier die Schuldenbremse eingehalten wird. Möglich ist etwa auch, dass die Gaspreisbremse in Kombination mit einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke kommt. Dafür müssten die Grünen einlenken. Und auch die Frage nach einem weiteren Sondervermögen – ähnlich dem für die Bundeswehr – ist nicht ausgeschlossen.