Krieg Tag 224 – Fr 07.10.2022 ++ Eine Million Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland ++
7. Oktober 2022++ Eine Million Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland ++
++ Baerbock lobt Hilfsbereitschaft für Geflüchtete ++
09:21 Uhr
Bayern: Mehr Schleierfahndung auch wegen Gefahr aus Russland
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) begründet die verstärkte Schleierfahndung nach illegal einreisenden Migranten an den Grenzen zu Österreich und Tschechien auch mit einer Gefahr aus Russland. Es stelle sich auch die Frage, inwieweit von russischer, weißrussischer Seite Leute eingeschleust werden – „vielleicht mit völlig anderem Hintergrund“, sagte Herrmann im Deutschlandfunk. „auch da brauchen wir strikte Kontrollen. Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt und die Identität dieser Leute klären.“
Herrmann forderte: „Angesichts der schwierigen Umtriebe, die es im Zusammenhang mit der russischen Politik gibt, können wir es uns nicht leisten, dass wir hier in einer größeren Zahl Menschen mit ungeklärten Identität einfach so in die Europäische Union einreisen lassen. Und deshalb wäre es eigentlich notwendig, dass schon an den Außengrenzen der EU noch konsequenter kontrolliert würde.“ Bei manchen europäischen Ländern sei das „nicht der Fall“. Nicht ohne Grund hätten nun auch Tschechien und Österreich ihre Grenzkontrollen zur Slowakei inzwischen verstärkt.
London: Ukrainische Truppen nutzen zum Großteil erbeutete Panzer
Die ukrainische Armee nutzt nach Ansicht britischer Militärexperten inzwischen in großen Teilen von der russischen Invasionsarmee erbeutete Fahrzeuge. Mehr als die Hälfte der im Einsatz befindlichen ukrainischen Panzer stammen aus den Beständen Moskaus, hieß es in dem täglichen Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministeriums zum Ukraine-Krieg. „Die Ukraine hat seit der Invasion wahrscheinlich mindestens 440 Kampfpanzer und etwa 650 gepanzerte Fahrzeuge erbeutet.“ Das Versäumnis russischer Besatzungen, funktionsfähiges Material vor einem Rückzug oder einer Aufgabe zu zerstören, zeige, wie schlecht die russischen Soldaten ausgebildet seien und wie niedrig die Kampfmoral sei.
Es sei wahrscheinlich, dass die Russen weiterhin schwere Waffen verlieren, hieß es weiter. Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.
Ukraine besorgt um Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer
Nach Angaben ukrainischer Flüchtlingshelfer sind viele ihrer Landsleute besorgt wegen der Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer in Deutschland. „Die Vorstellung, dass da nun Russen kommen, die monatelang kein Problem mit dem Krieg ihres Landes hatten, macht vielen Ukrainern hier Angst – besonders den Frauen, die hier allein oder mit ihren Kindern sind“, sagte Krista-Marija Läbe im Interview der „Süddeutschen Zeitung“.
Die 25-Jährige ist Sprecherin des Berliner Vereins „Vitsche“, der Geflüchteten aus der Ukraine hilft und zugleich Demonstrationen gegen die Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer organisiert. Läbe berichtete von schlechten Erfahrungen in Deutschland seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine: „Es gibt über die sozialen Medien jede Menge Hetze der russischen Community in Deutschland gegen Geflüchtete aus der Ukraine. Bei einer Kollegin aus dem Vorstand von Vitsche standen kürzlich Männer vor der Tür, die Russisch gesprochen haben, bei anderen Aktivistinnen ist sogar eingebrochen worden.“
Man wolle nicht das Grundrecht auf Asyl infrage stellen, ergänzte sie. Allerdings seien nicht alle Kriegsdienstverweigerer zwangsläufig politisch verfolgt. Sie sehe auch einen großen Unterschied, so Läbe weiter, „ob dir dein Haus zerbombt und dir deine ganze Existenz genommen wird. Oder ob du zu den Angreifern zählst.“
Verschleppen mit System im Ukraine-Krieg
Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Verschleppungen aus der Ukraine nach Russland. Die Organisation „Helping to Leave“ verzeichnet Tausende solcher Schicksale – und vermutet eine hohe Dunkelziffer. Die Annexionen dürften die Lage verschärfen.
Baerbock lobt Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock lobt die weiterhin hohe Hilfsbereitschaft für Geflüchtete aus der Ukraine. „Ich bin in diesen Tagen dankbar, Außenministerin eines Landes sein zu dürfen, das über 465.000 Frauen und 350.000 Kindern aus der Ukraine seine Wohnzimmer, seine Schulen, seine Betriebe, seine Krankenhäuser geöffnet hat“, sagte sie im Interview der „Kölnischen Rundschau“.
Das sei für sie „Heimat Europa“ und „nicht ’nur‘ Solidarität“, ergänzte Baerbock. Denn es sei „in unserem puren eigenen Sicherheitsinteresse“, sich vereint in Europa und in Deutschland dem Krieg entgegenzustellen, „statt sich von Putin spalten zu lassen: Auch wenn das – darum muss man nicht herumreden – eine gewaltige Herausforderung ist.“
Auf die Frage nach einer wieder steigenden Zahl von Menschen, die über die Balkanroute kommen, sagte die Ministerin: „Dass viele Afghanen nach Europa fliehen, liegt daran, dass die Taliban das Land brutal unter Kontrolle gebracht haben und es Frauen unmöglich machen, ihr Leben zu leben, zur Schule oder zur Arbeit zu gehen.“ Auch der Krieg in Syrien veranlasse weiter viele Menschen zur Flucht, fügte Baerbock hinzu: „Sie alle haben nur einen Wunsch – so wie wir: dass ihre Kinder in Sicherheit leben können.“
EU-Gipfel sucht Wege aus der Energiekrise
Die EU-Staats- und Regierungschefs in Prag beraten heute darüber, wie die drastisch gestiegenen Gaspreise wieder auf ein für Verbraucher und Unternehmen erträgliches Niveau gebracht werden können. Streit ist dabei programmiert – vor allem seitdem Deutschland ein bis zu 200 Milliarden Euro schweres nationales Entlastungspaket vorgestellt hat.
Irritation nach Selenskyj-Aussage zu „Präventivschlägen“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat mit seiner Forderung nach „Präventivschlägen“ einen empfindlichen Nerv getroffen – nicht nur in Moskau. Während der Kreml von einem Aufruf zum Beginn des „Dritten Weltkriegs“ sprach, versicherte Kiew, Selenskyj sei bei seinem Videoauftritt vor australischen Meinungsmachern am Donnerstag falsch verstanden worden. US-Präsident Joe Biden sieht die Gefahr einer atomaren Konfrontation nach Drohungen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr.
Strack-Zimmermann erneuert Forderung nach Panzer-Lieferung
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hat bei einem Ukraine-Besuch ihre Forderung nach einer Lieferung auch von Kampf- und Schützenpanzern an das Land erneuert. „Der Wille, das eigene Land zu verteidigen, ist ungebrochen“, teilte Strack-Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur mit. „Aber die Ukraine braucht weiterhin Unterstützung von uns, um über den Winter zu kommen. Das betrifft allen voran Munition, aber auch die Lieferung von Schützen- oder Kampfpanzern, um russische Stellungen zurück zu drängen.“
Strack-Zimmermann war am Donnerstag in der Ukraine eingetroffen. Sie gehört in den Reihen der Ampel-Koalition zu jenen, die wiederholt und vehement eine verstärkte militärische Unterstützung für die Ukraine bis hin zur Lieferung von Kampfpanzern gefordert hatten. Die FDP-Politikerin sagte, der Dank der Ukraine gegenüber Deutschland sei groß. Das von Deutschland – „wenn auch spät“- geschickte Material wirke und sei „eine riesengroße Unterstützung“ für die von Russland angegriffene Ukraine.
Wachsende Kritik an Militärführung in Russland
In Russland wächst die Kritik an der Militärführung. Der stellvertretende Leiter der von Russland unterstützen Verwaltung von Cherson, Kiril Stremousow, wirft den „Generälen und Ministern“ in Moskau vor, die Probleme an der Front nicht zu verstehen. Der ansonsten immer zur russischen Regierung stehende Moderator im russischen Staatsfernsehen, Wladimir Solowjow, fragt auf seinem Livestream-Kanal „Bitte erklären Sie mir, was für eine geniale Idee der Generalstab jetzt hat. Glauben Sie, die Zeit ist auf unserer Seite?“.
Zahl der Toten in Saporischschja steigt
Beim Beschuss von Wohngebäuden in der Stadt Saporischschja sind ukrainischen Angaben zufolge mindestens elf Menschen getötet worden. Weitere 21 Bewohner seien nach den russischen Angriffen am Donnerstag teils schwer verletzt aus den Trümmern gerettet worden, teilte der ukrainische Zivilschutz am Freitag mit. Auf Fotos ist zu sehen, wie Rettungskräfte sich durch den Schutt wühlen, um Vermisste zu finden. Von den Raketen getroffen wurden den Angaben zufolge zwei mehrstöckige Häuser.
Das Gebiet Saporischschja ist eines von vier Gebieten, das neben Cherson, Donezk und Luhansk vor rund einer Woche offiziell von Russland annektiert wurde. Bislang halten russische Truppen rund 70 Prozent der Region besetzt – allerdings nicht die Gebietshauptstadt Saporischschja selbst.
Biden: So nahe am „Armageddon“ wie seit Kuba-Krise nicht mehr
US-Präsident Joe Biden sieht die Gefahr einer atomaren Konfrontation mit katastrophalen Folgen nach Drohungen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr. Die Welt habe seit der Kuba-Krise im Jahr 1962 nicht vor der Aussicht auf ein „Armageddon“ gestanden, sagte Biden am Abend laut mitreisenden Journalisten bei einem Auftritt in New York.
Er kenne den russischen Präsidenten Wladimir Putin ziemlich gut, sagte Biden demnach weiter. Und der Kremlchef scherze nicht, wenn er über den potenziellen Einsatz taktischer Atomwaffen sowie Chemie- und Biowaffen spreche, da das russische Militär in den Kampfhandlungen in der Ukraine schwächele. Er glaube zugleich nicht, dass es möglich wäre, einfach taktische Atomwaffen einzusetzen, ohne dass dies zu einem „Armageddon“ führen würde, betonte der US-Präsident.
Zwei Russen fliehen auf Boot nach Alaska
Wenige Wochen nach der von Russlands Präsident Wladimir Putin angeordneten Teilmobilmachung sind zwei Russen mit einem kleinen Boot über das Meer nach Alaska geflohen. Sie hätten Asyl in den Vereinigten Staaten beantragt, erklärten zwei Senatoren des US-Bundesstaats. Die beiden russischen Staatsbürger waren demnach auf der Sankt-Lorenz-Insel im Westen Alaskas angekommen, die etwa 65 Kilometer von der russischen Küste entfernt liegt.
Ein Sprecher des US-Heimatschutzministeriums teilte der Nachrichtenagentur AFP mit, dass die Fälle der beiden Russen „gemäß der geltenden US-Einwanderungsgesetze geprüft“ würden. Der Vorfall zeige, dass „das russische Volk Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht mitmachen will“, erklärte der Senator Dan Sullivan.
Selenskyj: 500 Quadratkilometer im Süden zurückerobert
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Rückzug Tausender russischer Soldaten nach dem Zusammenbruch der Frontlinie zunächst im Nordosten, dann seit Wochenbeginn auch im Süden gemeldet. In einer Videoansprache am Abend sagte Selenskyj, ukrainische Streitkräfte hätten mehr als 500 Quadratkilometer und Dutzende Ortschaften im Gebiet um Cherson zurückerobert. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Konfliktparteien als QuelleAngaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Erdogan droht erneut mit Blockade des NATO-Beitritts von Schweden
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat erneut mit einer Blockade des geplanten NATO-Beitritts von Schweden gedroht. „Solange Terrororganisationen auf den Straßen Schwedens demonstrieren und solange Terroristen im schwedischen Parlament sind, wird es keine positive Einstellung der Türkei gegenüber Schweden geben“, sagte Erdogan am Abend bei einer Pressekonferenz in der tschechischen Hauptstadt Prag.
Der Staatschef spielte damit auf Vorwürfe an, nach denen schwedische Politiker mit Mitgliedern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und Anhängern der Gülen-Bewegung sympathisieren und deren Aktivitäten nicht ausreichend verfolgen. Schweden und das benachbarte Finnland hatten infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bereits Mitte Mai die NATO-Mitgliedschaft beantragt. Aufgenommen werden können sie allerdings nur, wenn alle der derzeit 30 NATO-Mitglieder die sogenannten Beitrittsprotokolle ratifizieren.