Die Nationalelf und die Proteste im Iran Solidarität oder nicht?

Die Nationalelf und die Proteste im Iran Solidarität oder nicht?

21. November 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 21.11.2022 04:35 Uhr

Fußball hat im Iran einen hohen Stellenwert. Sehr genau beobachten deshalb Demonstranten und das Regime, wie sich die Nationalelf bei der WM in Katar verhalten wird. Wird sie sich bei ihrem ersten Spiel mit den Protesten solidarisieren?

Von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul

Direkt nach der Islamischen Revolution 1979 forderten iranische Kleriker, Fußballclubs aufzulösen und diese westliche Sportart zu verbieten. Jetzt veranstaltet die Stadtverwaltung Teheran zur Eröffnung der Weltmeisterschaft ein Feuerwerk. Die ganze Stadt soll WM-Deko verpasst bekommen haben.

Karin Senz ARD-Studio Istanbul

Für den iranischen oppositionellen Sportjournalisten Mehdi Rostampour, der in Dänemark lebt, keine Überraschung: „Das Regime nutzt alles, um seine Position zu festigen, vor allem wenn bei internationalen Wettbewerben wie den Olympischen Spielen die Flagge der Islamischen Republik gehisst und die Nationalhymne der Islamischen Republik gespielt wird. Das ist für sie ein Propagandainstrument.“

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Die Hymne singen oder nicht?

In diesen Tagen brennen allerdings immer mehr iranische Flaggen auf den Straßen des Iran. Beim WM-Auftakt der iranischen Nationalmannschaft gegen England werden Demonstrantinnen und Demonstranten genauso wie das Regime darauf achten, ob die Spieler mitsingen.

Der Kapitän der Mannschaft, Alireza Jahanbakhsh, sagte bei einer Pressekonferenz in Doha: „Sie fragen nach der Nationalhymne, das ist was… das muss auch in der Mannschaft entschieden werden. Anscheinend sprechen alle darüber. Aber ehrlich gesagt, wir machen keine große Sache daraus, weil wir an Fußball denken und darüber reden.“

Kapitän Alireza Jahanbakhsh: Es wird genau registriert werden, wie sich seine Mannschaft zu den Protesten im Iran verhält. Bild: REUTERS

Solidarität kann viele Formen haben

Sie könnten beispielsweise aber auch den Torjubel verweigern, schwarze Bänder als Zeichen der Trauer für die vielen Toten bei den Protesten tragen oder andeuten, sich aus Solidarität mit den Menschen auf den Straßen im Iran die Haare abzuschneiden, wie es andere Sportler vor ihnen gemacht haben.

Dann müssen sie damit rechnen, abgestraft und unter Druck gesetzt zu werden: „Erzwungene Geständnisse im Fernsehen sind in der Islamischen Republik üblich und Drohungen damit, dass sie aus der Nationalmannschaft und dem Verein fliegen, wenn sie das nochmal wiederholen“, sagt Sportjournalist Rostampour. „Ein Beispiel: der Kapitän des Teheraner Erstligisten Esteghlal wurde rausgeschmissen. Er sollte versprechen, keine Storys mehr zu posten, hat aber mutigerweise weiter gemacht.“

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WM könnte Aufmerksamkeit für Proteste bringen

Viele iranische Aktivistinnen und Aktivisten hatten gefordert, den Iran von der Fußball-WM auszuschließen. Rostampour schließt sich dem nicht an: „Unsere Gruppe mit den USA, England und Wales gibt der neuen Revolution im Iran die Möglichkeit, in den englischsprachigen Medien der Welt präsenter zu sein und eine bessere Wirkung zu erzielen. Die Spieler können mit ihren Protestbotschaften eine Rolle spielen.“

Der Kapitän des Nationalteams, Jahanbakhsh, steht bei vielen Fans in der Kritik. Und viele Iranerinnen und Iraner sind wütend wegen scheinbar unbeschwerter Fotos der Spieler vor ihrem Abflug nach Katar mit dem ultrakonservativen Präsidenten Raisi. „Ich kann mit Sicherheit sagen, dass unter den Spielern der Nationalmannschaft, abgesehen von zwei oder drei, die auf der Seite der Regierung stehen, der Rest mit dem Volk sympathisiert“, sagt Rostampour dazu.

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Proteste im Stadion?

Manche erwarten allerdings weniger Zeichen der Solidarität auf dem Spielfeld, sondern auf den Rängen. Angeblich gibt es einen Aufruf, wonach zu einer bestimmten Spielminute gegen England Zuschauer den Namen von Mahsa Amini rufen sollen. Ihr Tod Mitte September nach einer Kopftuchkontrolle hatte die Proteste ausgelöst. Im Netz gibt es einen Aufruf zu einem „Twitterstorm“ zwei Stunden vor Spielbeginn.

Im Iran selbst scheint vielen, wie auch dieser Frau, nicht nach einem Fußballfest zumute zu sein: „Ich werde weder Iran-Spiele noch andere WM-Spiele schauen.“ Schon gar nicht in großer Runde. Kapitän Jahanbakhsh hofft dagegen noch: „Wir haben eine Menge Schwierigkeiten durchgemacht. Aber am Ende des Tages, wenn es auf dem Spielfeld losgeht, glaube ich, dass wir alle Spaß haben können. Wir können die Menschen glücklich machen.“

Bei einem Instagram-User klingt das anders. Er schreibt: Früher habe Fußball immer wie eine Schmerztablette gewirkt. Aber der Schmerz sitze jetzt zu tief.