Analyse – Debatte um Frührente Rentenstreit zur Unzeit
14. Dezember 2022Die Ampel hat sich ins Renten-Dilemma manövriert: Sie will das Eintrittsalter nicht erhöhen, aber am Rentenniveau festhalten. Warum die Debatte jetzt für Aufregung sorgt.
Vielleicht ist es gut, dass die Ampel-Koalitionäre bald mal ein paar Tage Weihnachtspause haben. Denn derzeit läuft in Berlin eine vorweihnachtliche Rentendebatte, die den Namen „Debatte“ eigentlich nicht verdient. Es verläuft eher nach dem Schema: Alle wissen, dass der Regenbogen bunt ist – aber jeder betont einen Farbaspekt mehr oder weniger stark, je nach parteipolitischer Herkunft.
Was war passiert? Angeblich hatte Bundeskanzler Olaf Scholz am Wochenende die Debatte losgetreten: „Bundeskanzler schockt mit Knallhart-Ansage“, titelte die „Bild“-Zeitung. Tatsächlich aber hatte Scholz in einem längeren Gespräch mit der Funke-Mediengruppe zum Thema Fachkräftemangel und Fachkräfteeinwanderung lediglich im letzten Absatz – buchstäblich unter ferner liefen – erwähnt: „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Rentenalter arbeiten können.“ Das falle vielen heute schwer, so Scholz.
Eine Vorlage für die FDP
Eine Vorlage für die FDP, die den Ball gleich weiterspielte, um mehr Flexibilität beim Renteneintritt zu fordern. Und für Ökonomen wie den Wirtschaftsweisen Martin Werding, die das SPD-Konzept einer abschlagsfreien sogenannten „Rente mit 63“ schon immer für falsch hielten – weil immer mehr Arbeitsplätze so nicht mehr besetzt werden können.
Ein echtes Problem, dass größer werden wird, wenn die sogenannten „Baby-Boomer“, die geburtenstarken Jahrgänge bis 1964, demnächst in Rente gehen. Auch Scholz kennt dieses Problem natürlich. Gleichzeitig hat seine Koalition gerade zum Jahresbeginn 2023 bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentnerinnen und Rentner sowie Frührentner beschlossen. Und damit womöglich einen Anreiz mehr gesetzt, die vorzeitige Rente dem Arbeitsleben vorzuziehen.
Doch was Scholz am Wochenende beschrieb, nämlich den Trend früher in Rente zu gehen, als es das gesetzliche Renteneintrittsalter eigentlich vorsieht – das ist ungefähr so spektakulär, als ob der SPD-Kanzler nachträglich den bereits veröffentlichten Rentenversicherungsbericht 2022 vorgelesen hätte.
Dort steht ebenfalls, dass die von der Großen Koalition schon 2007 vorgenommene schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre sinnvoll sei, auch „um die Erwerbstätigkeit der Älteren zu steigern und damit einem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken“.
Renteneintrittsalter stagniert
Tatsächlich stagniert das durchschnittliche Renteneintrittsalter aber seit einigen Jahren bei 64 Jahren, obwohl die gesetzliche Regelaltersgrenze seit 2012 schrittweise bis 2031 von 65 auf 67 Jahre angehoben wird. Der Anteil derer, die vorzeitig in Rente gehen, hat sich seit 2013 mehr als verdoppelt – also binnen eines Jahrzehnts. Und das, obwohl nur eine kleiner werdende Gruppe von älteren Jahrgängen überhaupt die „Rente mit 63“ abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann.
Viele nehmen auch finanzielle Einbußen in Form von Rentenabschlägen in Kauf, um nicht bis zum Regelalter arbeiten zu müssen. Dieser Trend müsste jedem Regierungschef Sorgen machen.
Ampel im Renten-Dilemma
Doch die Ampel-Koalition hat sich hier in zwei Richtungen festgelegt – zum einen soll das Renteneintrittsalter trotz steigender Lebenserwartung nicht weiter erhöht werden. Zum anderen soll das Mindestrentenniveau nicht unter 48 Prozent rutschen. Und es deutet nach Informationen von tagesschau.de auch nichts darauf hin, dass diese beiden Prinzipien aufgeweicht werden sollen.
Daraus entsteht das Ampel-Dilemma, dass es eine große Gruppe von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern braucht, die möglichst lange arbeiten, anders lässt sich das Rentenniveau mittelfristig nicht halten, das sich immer aktuell nach dem Einkommen der arbeitenden Bevölkerung berechnet.
Kritik von Linken, Lob von Grünen
Das wiederum ist eine Steilvorlage für die Linkspartei, die Scholz‘ Äußerungen dazu nutzte, auf bessere Bedingungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinzuweisen. „Man dürfe aber nicht diejenigen dazu zwingen, die im hohen Alter nicht mehr könnten, wie etwa Fliesenleger und Intensivpflegekräfte, sagte deren Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Dietmar Bartsch.
Auch die Grünen melden sich zu Wort, zumindest von Länderseite aus: „Die Rente mit 63 war ein schwerer Fehler – sie steht sowohl der Generationengerechtigkeit wie dem Fachkräftemangel entgegen“, twitterte etwa der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz. Daher sei es gut, wenn der Bundeskanzler den Trend zur Frührente korrigieren wolle.
Vorvergangene Woche war der Bundeskanzler beim dbb-Beamtenforum in einem Grußwort bei dem Thema noch zu Scherzen aufgelegt, diese Lust wird ihm jetzt vergangen sein. Mitten in seiner Rede unterbrach er spontan und frotzelte, er habe „irgendwie ein komisches Störgefühl“, sich und den eben von ihm angesprochenen silberhaarigen dbb-Präsidenten als „Baby-Boomer“ zu bezeichnen: Es ging um die Personallücke, die demnächst auch bei den Beamten entsteht, wenn diese Generation in Pension geht.
Dafür taugte die neuste Debatte der Opposition zum Scherzen. Er könne ja verstehen, so Linkspartei-Politiker Bartsch, dass Scholz noch mit 70 Jahren Kanzler sein wolle. Aber das Kanzleramt sei halt keine Intensivstation.