Energiekrise – Warum der Gaspreis sinkt

Energiekrise – Warum der Gaspreis sinkt

22. Dezember 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 22.12.2022 10:44 Uhr

Die europäischen Handelspreise für Erdgas entspannen sich weiter. Was kann der jüngst beschlossene EU-Gaspreisdeckel bewirken – und wie sind die Aussichten für die Versorgungslage?

Von Lilli-Marie Hiltscher, tagesschau.de

Es sind gute Nachrichten, die in diesen Tagen von der niederländischen Energiebörse kommen: Der Gaspreis sinkt. Am Mittwoch fiel der für den europäischen Gashandel richtungsweisende Terminkontrakt TTF zeitweise um mehr als acht Prozent auf unter 100 Euro pro Megawattstunde. Heute notierte der Kontrakt zur Lieferung im Januar sogar zwischenzeitlich bei unter 91 Euro.

Damit setzt sich der Trend der letzten Monate weiter fort: Die Versorgungslage mit Gas in der EU hat sich stabilisiert, zudem sinkt auch die Nachfrage deutlich und das drückt die Preise. Im November konnte die Europäische Union sogar ihr Gaseinsparziel von 15 Prozent übertreffen. Das geht aus aktuellen Daten des Statistikamts Eurostat hervor. 18 EU-Staaten haben mehr als 15 Prozent eingespart, unter ihnen Deutschland mit einem Rückgang von rund 25 Prozent.

Längst hat sich der Gaspreis also von seinem Allzeithoch im August dieses Jahres entfernt: Damals stieg der Preis für Erdgas am Referenzpunkt TTF auf 346 Euro pro Megawattstunde – das Zehnfache des Preises aus dem Vorjahr und mehr als das dreifache der aktuellen Preise.

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Endkunden sind nicht direkt betroffen

Zwar bewahrheiten sich damit die Prognosen der Experten, die Gaspreise würden im Jahresverlauf sinken und nicht wieder in Regionen von mehr als 300 Euro pro Megawattstunde zurückkehren. Dennoch will man es in der EU nicht darauf ankommen lassen, dass unvorhergesehene wirtschaftliche und politische Entwicklungen wie zu Beginn dieses Jahres den Gaspreis erneut in die Höhe treiben. Darum haben sich die EU-Energieminister in dieser Woche auf einen gemeinsamen Gaspreisdeckel geeinigt.

Nach einem monatelang dauernden Streit vereinbarten sie am Montag einen „Marktkorrekturmechanismus“. Dieser Mechanismus sieht vor, dass der Börsenhandel mit Gas verboten wird, wenn der Gaspreis an der niederländischen Energiebörse drei Werktage lang über dem Wert von 180 Euro pro Megawattstunde lag und gleichzeitig 35 Euro oberhalb dessen, was an den Weltmärkten für Flüssiggas gezahlt wird. Ausschlaggebend ist der Preis an der Energiebörse in Amsterdam für Gaslieferungen, die im kommenden Monat, in den kommenden drei Monaten oder im kommenden Jahr getätigt werden sollen.

Damit betrifft der Gaspreisdeckel der EU, der ab Februar eingesetzt werden könnte, vor allem Großkunden, deren Lieferverträge sich an den Futures der TTF orientieren. Endverbraucher sind, anders als bei den Maßnahmen der deutschen Bundesregierung, von diesem Gaspreisdeckel erst einmal nicht direkt betroffen.

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„Beispiellos und unerprobt“

Allerdings ist unklar, ob der Gaspreisdeckel der EU, sollte er eingesetzt werden, tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielt. Aus der Industrie, aber auch von der EU-Energieregulierungsbehörde sind seit Wochen Zweifel an dem Instrument zu hören. So hat etwa die EU-Behörde davor gewarnt, dass die neue Gaspreisobergrenze der EU die Kosten für Verbraucher und Unternehmen wahrscheinlich nicht senken werde und bezeichnete den Gaspreisdeckel als „beispiellos und unerprobt“. Die „Financal Times“ zitierte den Direktor der Energieagentur, Christian Zinglersen, mit den Worten, er würde „zögern, sich auf diese Gaspreisobergrenze zu verlassen“.

Auch in Deutschland, Ungarn, Österreich und den Niederlanden war der Widerstand bis zuletzt groß, Ungarn stimmte am Montag sogar gegen den Gaspreisdeckel. Die Ampel-Regierung hatte sich gegen den Gaspreisdeckel der EU gestemmt, dann aber doch für den „Marktkorrekturmechanismus“ gestimmt. Denn auf Drängen Deutschlands wurden Klauseln für den Fall einer Gasmangellage hinzugefügt: Der Deckel entfällt, wenn der Handel auf andere Märkte ausweicht, der Gasverbrauch in der EU stark steigt oder es einen Gasmangel in der EU gibt.

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Wandern die Energiebörsen ab?

Ein durchaus realistisches Szenario scheint vor allem das Ausweichen auf andere Märkte zu sein, denn der Preisdeckel gilt nur für europäische Marktplätze, nicht für außereuropäische, wie den britischen Handelsplatz National Balancing Point (NBP). Laut „Financal Times“ hatte die führende Energiebörse Intercontinental Exchange (ICE) auch bereits damit gedroht, ihr Geschäft aus den Niederlanden in ein Land außerhalb der EU zu verlagern. Für Europa wäre das ein herber Verlust.

Zudem könnten Händler künftig einfach private Transaktionen durchführen und nicht mehr an den Energiebörsen agieren. Denn die außerbörslichen Geschäfte (OTC-Geschäfte) werden von der EU-Preisobergrenze aktuell noch nicht erfasst. Die EU will laut der Nachrichtenagentur Reuters allerdings prüfen, ob OTC-Geschäfte auch in den Gaspreisdeckel einbezogen werden können.

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Europas Wettbewerbssituation geschwächt

Und trotz der hinzugefügten Klauseln sehen Kritiker die Gefahr einer Versorgungskrise in Europa keineswegs gebannt. Der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch sagte in der vergangenen Woche: „Damit werden weitreichende Marktverzerrungen programmiert, insbesondere aber physische Erdgasengpässe für die Befüllung der Gasspeicher in 2023/24, weil wichtige Energieeinsparanreize verloren gehen.“ Und:

Gaspreisdeckel lösen keine Versorgungskrise, sondern riskieren grundsätzlich die Versorgungssicherheit in Europa.

Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, warnte davor, dass der Preisdeckel die Lage bei der Gasversorgung weiter verschärfen könnte: Europa schwächt aus Sicht von Andreae seine Wettbewerbssituation; Verkäufer könnten einfach in Regionen abwandern, wo sie für Gas höhere Preise erzielen können.

„Wenn man die Marktwirtschaft ausschalten will, geht das meist nach hinten los“, erklärte Albrecht von der Hagen, Hauptgeschäftsführer vom Verband der Familienunternehmer. Im schlimmsten Fall komme Europas Wirtschaft dadurch zum Stillstand.

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Aussetzung ist möglich

Ähnliche Befürchtungen gibt es auch in Brüssel, sollten die Gaspreise wieder so stark ansteigen wie im Sommer dieses Jahres. Denn die Angst davor, dass neue Rekordpreise für Gas die Industrieproduktion lahmlegen und damit soziale Verwerfungen auslösen könnten, ist groß. Ob der Gaspreisdeckel dagegen das richtige Instrument ist, weiß aber auch dort niemand. Immerhin, die EU hat sich schon bereit erklärt, ihren Preisdeckel auszusetzen, falls er negative Folgen haben sollte.