Zugunglück in Griechenland Veraltete Technik oder menschliches Versagen?

Zugunglück in Griechenland Veraltete Technik oder menschliches Versagen?

1. März 2023 Aus Von mvp-web
Stand: 01.03.2023 15:57 Uhr

40 Tote und Dutzende Verletzte – Griechenland steht nach dem Zugunglück unter Schock. Lokführer kritisieren den Zustand die Strecke. Der Verkehrsminister trat zurück, der Bahnchef wurde festgenommen.

Von Moritz Pompl,  ARD-Studio Athen

„Ist jemand im Zug? Jeder raus hier!“ Rettungskräfte kämpfen sich durch Trümmerberge an der Unglücksstelle in einer bergigen Region, nahe der Stadt Larissa in Griechenland. Ihnen bietet sich ein Bild der Verwüstung.

Kurz vor Mitternacht waren auf der Strecke zwei Züge auf demselben Gleis aufeinander zugefahren. Ein Personenzug, der auf dem Weg von Athen nach Thessaloniki war, stieß frontal mit einem Güterzug zusammen. Die Behörden sprechen von bis zu 40 Toten, es gebe mindestens 85 Verletzte.

Mindestens 40 Tote bei Zugunglück in Griechenland

Mindestens 40 Tote bei Zugunglück in Griechenland

„Drinnen ist alles zerbrochen“

Ein Augenzeuge berichtet, dass es in letzter Sekunde eine Vollbremsung gegeben habe und dass dann Menschen durch die Abteile geschleudert worden seien. „Drinnen ist alles zerbrochen – Sitze, die gesamte Seite des Abteils. Dann ging es den Hang runter“ erzählt er.

Er und andere Passagiere hätten ein Fenster zerbrochen und es allein rausgeschafft. „Ein Baby mit seiner Mutter war direkt hinter mir. Es ist ‚weggeflogen‘. Die Lichter gingen aus, überall Rauch, wir konnten nichts sehen. Studenten haben das Baby gerettet.“

 01.03.2023
Waggons in Brand geraten Viele Tote bei Zugunglück in Griechenland

Mindestens 36 Menschen sind ums Leben gekommen, es gab mehr als 80 Verletzte.

 

 

 

Meterhohe Flammen stiegen aus Waggons auf

Jetzt, bei Tageslicht, versuchen Einsatzkräfte, mit einem schweren Kran Waggons anzuheben, um darunter nach weiteren Personen zu suchen. Auch die Armee ist vor Ort. Mit Metallscheren wühlen sich die Helfer durch die Trümmerberge der beiden verkeilten Züge. Spürhunde kommen zum Einsatz. Mehrere Waggons des Personenzuges sind von den Gleisen geschleudert worden und liegen neben der Bahnstrecke.

Die Einsatzkräfte rechnen auch mit weiteren Brandopfern. In der Nacht war zu sehen, wie meterhohe Flammen aus den Waggonwracks aufstiegen.

Bild: ARD-aktuell

370 Personen an Bord

Viele Verletzte sind bereits in Krankenhäuser nach Larissa und Thessaloniki gebracht worden. Insgesamt befanden sich wohl etwa 370 Personen im Zug, darunter viele junge Menschen. Sie hatten einen gestrigen Feiertag in Griechenland für ein langes Wochenende genutzt.

„Die Toten sind in das Krankenhaus nach Larissa gekommen. Wir kümmern uns hier um die Angehörigen“, sagte Griechenlands Gesundheitsminister Thanos Plevris. „Wir lesen auch die Namen der Verletzten vor. Und wir beginnen, die Leichen zu identifizieren. Sie können sich vorstellen, wie schockierend das für die Angehörigen ist.“

Verkehrsminister zurückgetreten, Bahnchef festgenommen

Wie es zu dem Unglück kommen konnte, das wird jetzt untersucht. Verkehrsminister Kostas Karamanlis trat zurück – aus Respekt für jene, die auf so ungerechte Weise ums Leben gekommen seien. Der Chef der Betreibergesellschaft Hellenic Train wurde laut dem staatlichen Nachrichtensender festgenommen und soll verhört werden. Die Bahnstrecke zwischen Athen und Thessaloniki ist die wichtigste des Landes. Die Betreibergesellschaft gehört zur italienischen Eisenbahngesellschaft Ferrovie dello Stato Italiano, die eigentlich einen guten Ruf genießt.

In den vergangenen Jahren ist Geld in die Strecke investiert worden. Aber immer wieder gab es Kritik daran, wie das Geld ausgegeben wurde. So wurden etwa veraltete Züge aus der Schweiz oder aus Portugal übernommen und in Griechenland weiter eingesetzt.

Nach Zugunglück in Griechenland berichten Bahn-Mitarbeiter von Problemen mit technischer Verkehrskontrolle

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Lokführer: „Nichts funktioniert“

Als problematisch gelten offenbar die Signalanlagen. Der Präsident der Lokomotivführer in Griechenland, Kostas Genidounias, erhebt schwere Vorwürfe. „Nichts funktioniert. Alles muss manuell erfolgen – auf der gesamten Strecke Athen-Thessaloniki.“ Es gebe keine funktionierenden Signalanlagen. „Würden sie funktionieren, dann könnten die Lokführer die roten Signale sehen und rechtzeitig anhalten.“

Stattdessen müssen sich die Lokführer ständig mit der Zentrale in Athen in Verbindung setzen, um zu wissen, ob der nächste Streckenabschnitt frei ist. Möglicherweise könnte es sich bei dem jetzigen Unglück also auch um menschliches Versagen handeln. All das sind Anhaltspunkte und Vorwürfe, denen die Behörden jetzt nachgehen müssen.

Griechenlands Zeitungen sprechen vom schlimmsten Zugunglück aller Zeiten in Griechenland. Die Landesfahne auf der Akropolis weht auf halbmast. Das ganze Land trauert.