Kiew kündigt Offensive an – Moskau rechnet mit Angriff auf Krim
12. März 2023Für die geplante Frühjahrsoffensive benötigt die Ukraine nach eigenen Angaben noch zwei Monate zur Reservenbildung. «Wir müssen den Nachschub an schweren Artilleriegeschossen von 155 Millimeter Kaliber und weitreichenden Raketen erhöhen», sagte der Berater des Präsidentenbüros in Kiew, Mychajlo Podoljak, der italienischen Zeitung «La Stampa». Unabhängige Militärexperten hatten zuvor einen früheren Zeitpunkt für einen möglichen Gegenstoß Kiews genannt.
Den Bedarf an Panzerfahrzeugen, um weitere besetzte Gebiete zu befreien, bezifferte Podoljak auf 400 bis 500. Eine ähnliche Zahl hatte in der Vergangenheit Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj genannt. Zudem sind laut Podoljak Kampfflugzeuge notwendig, um ballistische Raketen abzufangen und den Luftraum zu kontrollieren.
- Hintergrund: Braucht die Ukraine westliche Kampfjets? (zdfheute)
Zur Stoßrichtung der geplanten Gegenoffensive machte der 51-Jährige keine Aussage. Gleichzeitig habe Russland nur wenige Optionen für eigene Offensivaktionen. «Die aktiven feindlichen Offensivaktionen werden in Richtung Bachmut, Wuhledar, Lyman und Soledar weitergehen», prognostizierte Podoljak.
Russland rechnet mit ukrainischem Vorstoß gegen Krim
Parallel dazu bereitet sich Russland auf einen ukrainischen Vorstoß in Richtung der 2014 annektierten Halbinsel Krim vor. «Es läuft alles nach Plan», versicherte der vom Kreml eingesetzte Chef der Region, Sergej Aksjonow, in einem Interview der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Dabei seien Erfahrungen der aktuellen Kampfhandlungen berücksichtigt worden. «Wir gehen untypisch, asymmetrisch, vor», sagte der 50-Jährige.
Satellitenbilder hatten ausgebaute Befestigungslinien an den Landengen zur Halbinsel offengelegt. Zudem sind ähnlichen Aufnahmen zufolge auch bereits Gräben an Stränden der Halbinsel ausgehoben worden. Russland ist vor gut einem Jahr in die Ukraine einmarschiert und hält einschließlich der Krim gut ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets besetzt.
Washington: Russland will Moldau destabilisieren
Russland versucht nach Erkenntnissen der US-Regierung, die Republik Moldau zu destabilisieren. «Russland verfolgt Möglichkeiten, um die Regierung Moldaus zu schwächen, vermutlich mit dem Ziel einer russlandfreundlicheren Regierung», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Freitag.
Russische Akteure, teilweise mit Verbindung zu russischen Geheimdiensten, heizen demnach Proteste an, um einen Aufstand gegen die Regierung Moldaus loszutreten. Eine unmittelbare militärische Bedrohung Moldaus sehe die US-Regierung aber nicht, sagte Kirby.
Die Republik Moldau grenzt im Westen an Rumänien und im Osten an die Ukraine. In Moldau hat Russland bis heute großen Einfluss – insbesondere in der abtrünnigen Region Transnistrien, wo seit den 1990er-Jahren russische Soldaten stationiert sind. Die Ex-Sowjetrepublik gehört nicht zur Nato, sie ist politisch zwischen proeuropäischen und prorussischen Kräften gespalten.
Zuletzt hatte Moldaus proeuropäische Präsidentin Maia Sandu mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine vor möglichen Umsturzversuchen gewarnt. Auch internationale Beobachter werfen Russland vor, die Lage in dem verarmten Land, das in die EU strebt, destabilisieren zu wollen.
Finnlands Premierministerin Marin besucht Kiew
Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin hat am Freitag die ukrainische Hauptstadt Kiew besucht. Gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nahm sie an einer Gedenkfeier für einen Soldaten teil, der in der noch immer heftig umkämpften ostukrainischen Stadt Bachmut getötet worden war.
Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte Finnland im Mai 2022 ebenso wie das benachbarte Schweden die Mitgliedschaft in der Nato beantragt. Für die beiden nördlichsten Länder der EU war dies nach langer Zeit der militärischen Bündnisfreiheit ein historischer Schritt. Für Finnland kommt hinzu, dass es eine rund 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland hat.
- Hintergrund: Warum Finnland seine Grenze zu Russland mit Stacheldraht und Kameras verstärkt (zdfheute)
Es fehlt jedoch noch die Zustimmung der beiden Nato-Mitgliedsländer Türkei und Ungarn. Während aus Budapest mit einem baldigen Ja gerechnet wird, gibt sich Ankara bisher stur. Nach wochenlanger Pause trafen sich Unterhändler der drei Länder am Donnerstag zumindest erstmals wieder zu Gesprächen in Brüssel.
In der Kiewer Michaels-Kathedrale legten Marin und Selenskyj Blumen am offenen Sarg des 27-jährigen Soldaten nieder, der die höchste Auszeichnung des Landes «Held der Ukraine» getragen hatte. «Es ist schmerzhaft, unsere Helden zu verlieren – mutige, tapfere, starke. Die sich selbst und dem Staat treu bleiben», schrieb Selenskyj in sozialen Netzwerken.
Wurde Nord Stream von «staatlichem Akteur» gesprengt?
Hinsichtlich Berichten über eine mögliche Beteiligung ukrainischer Staatsbürger an der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines warnte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), Konstantin von Notz, vor voreiligen Schlüssen. Man habe es sehr wahrscheinlich mit einem staatlichen oder quasi-staatlichen Akteur zu tun, sagte der Grünen-Politiker dem «Tagesspiegel» (Freitag, Abo).
Ein Terrorakt mit staatlichem Hintergrund mache es wahrscheinlicher, dass falsche beziehungsweise auch Trugspuren gelegt worden seien. Entsprechend vorsichtig müsse man mit Zwischenständen umgehen: «Es wird ergebnisoffen ermittelt. Bisher gibt es aber keine Beweise.»
- Hintergrund: Wer sabotierte Nord Stream? Was bekannt ist
Der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, Roderich Kiesewetter (CDU), sagte im RTL/ntv-«Frühstart»: «In diesem Informationskrieg werden auch bewusst falsche Spuren gelegt, deshalb sollten wir da ganz vorsichtig sein.» Er schließe niemanden aus, «übrigens auch nicht Russland».
Selenskyj: «Haben das definitiv nicht getan»
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Beteiligung der Ukraine an der Sprengung an den Nord-Stream-Pipelines als «lächerlich» zurückgewiesen. «Ukrainer haben das definitiv nicht getan», betonte der 45-Jährige am Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin in Kiew. «Das ist lächerlich.» Ziel der Veröffentlichungen in deutschen und anderen westlichen Medien zur mutmaßlichen Beteiligung einer pro-ukrainischen Gruppe sei es, die westlichen Hilfe für die Ukraine im Kampf gegen Russland zu verlangsamen, sagte Selenskyj.
«Ich finde es sehr gefährlich, dass einige unabhängige Medien, vor denen ich immer große Achtung hatte, solche Schritte machen», sagte der Präsident. Das spiele nur in die Hände Russlands oder gewisser Wirtschaftsgruppen, die gegen die Verhängung von Sanktionen sind.
An drei der vier Stränge der beiden auf dem Grund der Ostsee liegenden russisch-deutschen Nord-Stream-Erdgasleitungen gab es im vergangenen September Explosionen. Deutschland, Schweden und Dänemark haben Ermittlungen aufgenommen. Am Montag hatten Medien in Deutschland, den USA und Großbritannien Hinweise auf den möglichen Tathergang veröffentlicht. Demnach soll eine sechsköpfige Gruppe mit gefälschten Pässen eine Jacht gemietet und unbemerkt die Sprengsätze in gut 80 Meter Wassertiefe gelegt haben.
Wagner-Chef beklagt Munitionsmangel
Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, beklagt einmal mehr einen vom Militär bestrittenen Munitionsmangel bei Moskaus Krieg gegen die Ukraine. «Ich mache mir nicht nur Sorgen um die Munition und den Hunger nach Patronen für die private Militärfirma Wagner, sondern für alle Abteilungen der russischen Armee», sagte Prigoschin in einer Text- und Audiobotschaft am Freitag. «Meine Jungs fordern Munition.» Zugleich dankte er Russlands Vize-Ministerpräsident Denis Manturow und dem Manager Igor Nassenkow für die Bereitstellung von Munition.
Die russische Armee behauptet immer wieder, ausreichend Munition für den Krieg in der Ukraine zu haben. Daran zweifeln auch westliche Militärexperten. Prigoschin macht schon seit Monaten immer wieder auf Engpässe aufmerksam und gab bereits auch der russischen Militärführung die Schuld am Tod von Wagner-Kämpfern, weil diese nicht genug Munition gehabt hätten. Manturow, der zudem Minister für Industrie und Handel ist, und Nassenkow, der die Holding Technodinamika im staatlichen Rostec-Konzerns leitet, hätten sich nun um die Lieferungen von Munition gekümmert.
Kiew will Sanktionen gegen Russlands Nuklearindustrie
Nach erneuten Raketenangriffen auf die Energieinfrastruktur des Landes hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag weitere Sanktionen gegen Moskau gefordert. Es müsse mehr Druck auf Russland geben, sagte der ukrainische Präsident in seiner abendlichen Videobotschaft. Dabei kritisierte er auch, dass durch einen Raketenschlag das von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischschja erneut zeitweilig vom Stromnetz abgekappt war.
Russland könne deshalb in der atomaren Sphäre kein verlässlicher Partner mehr sein. «Das bedeutet, je schneller Russlands Nuklearindustrie Ziel von Sanktionen ist, desto sicherer wird die Welt sein. Einem Terrorstaat kann nicht erlaubt werden, Atomanlagen irgendwo in der Welt für Terror zu benutzen», sagte Selenskyj mit Blick auf Saporischschja.
- Hintergrund: Immer wieder Beschuss des AKW Saporischschja – IAEA spricht von «unhaltbarer Situation» (Deutschlandfunk)
Russland ist einer der größten Exporteure von Atomtechnologien weltweit. Mit russischer Technologie wurden so Meiler in China und dem Iran gebaut. Aber auch in Indien, Bangladesch, der Türkei und Ägypten gibt es Kraftwerksprojekte unter russischer Beteiligung. Selbst in der EU gibt es Kunden für den staatlichen Moskauer Betreiber Rosatom. Finnland hat zwar sein AKW-Projekt auf Eis gelegt, doch in Ungarn baut Russland gleich an zwei neuen Reaktoren mit.
Nach Einschätzung britischer Geheimdienstexperten dürfte die Frequenz russischer Raketenangriffe jedoch aus Mangel an geeigneten Raketen abnehmen. Das ging aus dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London hervor. dpa/kzy/gut