Wille, Einsatz, Stabilität und Effizienz
Das runderneuerte Team von Hansi Flick mit drei eingesetzten Debütanten um den dynamischen Dortmunder Marius Wolf erfüllte vor 25 358 Zuschauern in der Mainzer Arena die zentralen Vorgaben des Bundestrainers: Es zeigte angeführt von Kapitän Joshua Kimmich Einsatz, Wille, defensive Stabilität und zumindest in Person von Mittelstürmer Füllkrug (12./33. Minute) auch die beim WM-Turnier vermisste Effizienz. Der eingewechselte und sehr dynamische Serge Gnabry traf nach der Pause spektakulär die Latte (60.), der spielfreudige Kai Havertz schoss einen Foulelfmeter an den Pfosten (68.).
Immerhin geriet der Sieg gegen die limitierten Peruaner zu keiner Zeit in Gefahr. Schon am Dienstag kommt es in Köln auf dem Weg zur Heim-EM 2024 gegen Belgien zu einem Kräftemessen mit einem stärkeren Gegner.
Nach dem Bayern-Wirbel
Nach zwei Tagen mit riesigem Bayern-Wirbel um die Trainer Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel lief Kimmich als einziger Münchner Profi in der Startelf auf – eine Seltenheit in der DFB-Auswahl. Flicks personelle und taktische Änderungen mit Füllkrug und Timo Werner als neuer Doppelspitze zahlten sich aber schon in der Anfangsphase aus.
Flick: «Wir wollen Leidenschaft sehen»
Der Bremer Torjäger, der kurz zuvor nach einer Ecke noch am starken und oft geforderten peruanischen Torwart Pedro Gallese gescheitert war, traf nach starker Vorlage von Havertz, der einen langen Ball mustergültig mit der Brust weiterleitete. Mehr Präsenz im Strafraum und höheres Tempo im Angriffsspiel waren zwei von Flicks Vorgaben nach dem blamablen WM-Aus. «Wir wollen Leidenschaft sehen, wollen begeisternden Fußball sehen und Überzeugung», hatte der Bundestrainer kurz vor dem Anpfiff im ZDF gesagt.
Dass knapp vier Monate nach dem letzten WM-Gruppenspiel gegen Costa Rica «nicht alles funktionieren» könne, wurde zwar auch immer wieder deutlich. Hier und da fehlten die Präzision im Spielaufbau und wie bei der vergebenen Doppelchance der während der WM verletzt fehlenden Rückkehrer Florian Wirtz und Werner in der 20. Minute die letzte Entschlossenheit vor dem Tor. Die DFB-Auswahl wirkte nach der Führung aber deutlich selbstbewusster und zielstrebiger. Die neue Nummer eins Marc-André ter Stegen im deutschen Tor musste kaum eingreifen. Das gefiel den Fans und der DFB-Führungsspitze.
Lautstarke Fans
Der neue Sportdirektor Rudi Völler, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke verfolgten die Partie auf der Tribüne nebeneinander und augenscheinlich gut gelaunt, auch Flicks Vorgänger Joachim Löw war im Stadion. Ein «Funke» solle auf die Fans überspringen, hatte Neuendorf gesagt. Besonders lautstark waren in der ausverkauften Mainzer Arena allerdings auch die Fans des Weltranglisten-21. Peru zu hören. Gefeiert wurden beim deutschen Anhang insbesondere die Füllkrug-Tore.
Eingesetzt von Havertz flankte der immer stärker werdende Wolf, der sich zunächst mit einem schlimmen Fehlpass eingefügt hatte (3.), in den Strafraum – und Füllkrug lief dahin, wo ein Torjäger sein muss, und traf im fünften Länderspiel zum fünften Mal. Völler, einst selbst von den Fans verehrter Stürmer, lächelte beim Torjubel der Nationalspieler. Fast hätte Füllkrug kurz vor der Pause sogar einen Hattrick erzielt, aber Luis Advíncula stand beim Abschluss des Bremers im Weg (44.). Wieder war Havertz der Initiator.
Wechsel in der Halbzeit
Zur zweiten Halbzeit wechselte Flick dreimal, Leon Goretzka, Gnabry und Mario Götze kamen für Emre Can, Werner und Wirtz in die Partie. Die neben Wolf weiteren fünf Neulinge im DFB-Kader mussten sich zunächst weiter gedulden – Mergim Berisha und Kevin Schade kamen erst für die Schlussphase. Gnabry musste nach einem Zusammenstoß mit Gallese kurz nach dem Wiederbeginn länger behandelt werden, der 27-Jährige verließ mit Nasenbluten den Rasen, kam aber wieder zurück.
Den Schwung der ersten Halbzeit hatte die DFB-Auswahl zu diesem Zeitpunkt etwas verloren, das Spiel litt unter vielen Unterbrechungen und Diskussionen beider Teams auch mit Schiedsrichterin Maria Caputi. Der Seitfallzieher von Gnabry nach Kimmich-Vorlage an die Latte nach einer Stunde Spielzeit weckte dann wieder die Hoffnung auf weitere Tore – die Havertz vom Elfmeterpunkt nicht erfüllte. Den Strafstoß hatte Nico Schlotterbeck herausgeholt. Die DFB-Auswahl spielte weiter auf den dritten Treffer, belohnte sich aber nicht erneut.
Die DFB-Auswahl in der Einzelkritik
ter Stegen: Viele Ballkontakte für die neue Nummer eins – aber fast alle mit den Füßen. Der Neuer-Vertreter wird schon am Dienstag gegen Belgien sicher mehr zu tun bekommen.
Wolf: Ein früher Fehlpass brachte Flicks 10. Debütanten nicht aus dem Tritt. Der Dortmunder war aktiv und leitete mit guten Pässen viele Offensivaktionen ein. Gute Vorarbeit zum 2:0.
Ginter: Der Freiburger organisierte zuverlässig die Abwehr, unterband mit gutem Stellungsspiel den Aufbau der Peruaner. Flick kann sich auf ihn verlassen.
Schlotterbeck: Diesmal ohne Bock. Der BVB-Verteidiger überzeugte mit guter Spieleröffnung – wie mit dem langen Vertikalpass vor dem ersten Tor. Holte den Havertz-Elfer heraus.
Raum: Ein paar gute Flanken, mehr nicht. Auf der Problemposition links hinten bleibt er – auch mangels großer Konkurrenz – in der Pole Position.
Kimmich: Der Kapitän ging voran und zeigte im 75. Länderspiel eine reife Leistung. Sehr präsent in der Zentrale mit vielen Balleroberungen. Toller Chip-Ball auf Gnabry.
Can: Beim Comeback demonstrierte der BVB-Profi seine Qualitäten. Körperlichkeit. Robustheit. Leidenschaft. Technische Einlagen gingen beim 45-Minuten-Auftritt aber schief.
Wirtz: Nach langer Verletzungspause mit verhaltenem Startelf-Debüt im DFB-Trikot. Wird sein großes Potenzial noch mutiger zeigen müssen. Zur Pause für Götze raus.
Havertz: In der Form ein Schlüsselspieler für Flick. Bewegte sich geschickt in den freien Räumen, öffnete das Spiel mit klugen Pässen. Schönheitsfleck: Der verschossene Strafstoß.
Füllkrug: Was für ein cooler Mittelstürmer. Tore-Doppelpacker und Sieggarant. Der Bremer ist der Hoffnungsträger für den Neuanfang. Nach 75 Minuten unter großem Fan-Jubel raus.
Werner: Vergebene Großchancen, versprungene Bälle. Für den Leipziger lief das Comeback nach der verpassten WM unglücklich. Machte zur Halbzeit Platz für Gnabry.
Goretzka: Bei der Arbeitsteilung mit Can in der zweiten Halbzeit die deutlich elegantere Variante als Sechser. Dafür fehlte es dem Münchner an der gewohnten Dynamik.
Götze: Gleich nach der Einwechslung rüde von Cartagena gefoult. Berappelte sich schnell und zeigte seine Dribbel-Qualitäten. Ein entscheidender Pass gelang nicht.
Gnabry: Der Münchner musste mit blutender Nase behandelt werden. Dann mit viel Power unterwegs. Ein spektakulärer Seitfallzieher knallte an die Latte (60.).
Berisha: Der Augsburger kam in der Schlussviertelstunde für Füllkrug zu seinem Debüt. Seine Strafraum-Qualitäten konnte er nicht mehr demonstrieren. Nur eine Kopfballchance (90.).
Schade: Der junge England-Profi war beim Debüt gleich mit großem Einsatz unterwegs. Genau diesen Biss will Flick von den Junioren sehen.
Kehrer: Kam in den Schlussminuten für den am Oberschenkel bandagierten Schlotterbeck. Machte beim Kurzeinsatz hinten dicht. dpa/gut