Mutmaßlicher „Reichsbürger“ Wegen Mordversuchs vor Gericht
5. April 2023Gegen einen 55-Jährigen, den Ermittler zur „Reichsbürger“-Szene zählen, wird ab heute vor dem OLG Stuttgart verhandelt. Er soll in Tötungsabsicht auf Polizisten geschossen haben.
„Hätte er nicht eiserne Nerven gehabt, hätte es Tote gegeben“, sagt ein Ermittler, der mit dem Einsatz in Boxberg zu tun hatte. Gemeint ist ein Elitepolizist des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Baden-Württemberg. Am 20. April des vergangenen Jahres hielt er unerschrocken sein Schutzschild in die Salve eines Schnellfeuergewehrs, mit dem der nun Angeklagte auf die vorrückende Polizei geschossen haben soll.
Der Polizist soll damit mehreren Menschen das Leben gerettet haben. Ermittler erzählen von einem Einsatzvideo, auf dem die Einschläge auf dem Schild zu sehen und eindrucksvoll zu hören sein sollen. Im heute startenden Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart dürfte das Video eine besondere Rolle spielen.
Prozessauftakt gegen „Reichsbürger“ wegen mehrfachen Mordversuchs
Riskanter Einsatz ohne LKA
Dass es ein Einsatz mit gewissem Risiko sein könnte, hatte die örtliche Polizeibehörde schon im Vorfeld vermutet und das SEK des baden-württembergischen „Polizeipräsidiums Einsatz“ aus Göppingen nach Boxberg-Bobstadt gerufen. Doch eigentlich wollten die Ermittler nur eine illegale Waffe beschlagnahmen und mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Mosbach nach möglichen weiteren Waffen suchen. Wie brandgefährlich es werden könnte, ahnte die örtliche Polizei nicht – und hatte sich zuvor auch nicht näher mit dem Landeskriminalamt in Stuttgart abgestimmt.
Doch kaum hatte die Aktion begonnen, fielen die Schüsse. Zwei SEK-Beamte wurden verletzt und kamen ins Krankenhaus. Zahlreiche weitere Einsatzkräfte und Passanten blieben verschont, die Einschläge der Kugeln in Hauswände und Fahrzeuge waren noch Tage nach dem Einsatz in Boxberg-Bobstadt zu erkennen.
Der mutmaßliche Angreifer rief nach den Schüssen über den Notruf bei der Polizei an und ergab sich den Einsatzkräften. Wohl auch deshalb, weil auf seinem Grundstück ein Feuer ausgebrochen war. Ein Großaufgebot an Einsatzkräften sicherte den Tatort. Die Feuerwehr löschte den Brand unter dem Schutz schwerbewaffneter Spezialkräfte.
Generalbundesanwalt übernimmt
Schon kurz nach den Schüssen zog der Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof die Ermittlungen an sich. „Evokation“ heißt das unter Juristen: Die Bundesanwaltschaft kann bei einigen schweren Straftaten in besonderen Fällen einen Fall von der eigentlich zuständigen Staatsanwaltschaft vor Ort übernehmen, wenn der Generalbundesanwalt eine besondere Bedeutung des Falls sieht. Zuständig ist damit dann auch nicht mehr das örtliche Landgericht, sondern der Staatsschutzsenat des jeweiligen Oberlandesgerichts. Daher nun der Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart.
Schon länger hatte Generalbundesanwalt Peter Frank öffentlich deutlich gemacht, dass er einer Bedrohung des Staates und der demokratischen Grundordnung stets mit einem „Gegenfanal“ begegnen, also jeweils ein deutliches Zeichen setzen wolle, wenn es zu Angriffen komme. Die Schüsse auf die Polizisten, die mögliche Tötungsabsicht und die vermutete Nähe zur „Reichsbürger“-Bewegung waren ihm Anlass genug.
Vorfälle mit Waffen in der Reichsbürgerszene
Sollte das Oberlandesgericht den Angeklagten am Ende des Prozesses entsprechend verurteilen, wäre das nicht die erste schwere Straftat durch „Reichsbürger“. Menschen, die die Existenz der demokratischen Bundesrepublik abstreiten und nach dem früheren Deutschen Reich rufen, begingen in den vergangenen Jahren immer wieder schwere Straftaten.
2016 erschoss ein „Reichsbürger“ einen bayerischen SEK-Beamten in Georgensgmünd ebenfalls bei einer Razzia. Ende März 2023 wurde ein Mann aus dem Kreis Lörrach zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er bei einer Kontrolle einen Polizisten absichtlich mit dem Auto umgefahren und schwer verletzt hatte – das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Im Zusammenhang mit einem mutmaßlich geplanten Umsturz in Deutschland durch eine „Reichsbürger“-Gruppe um Prinz Reuß kam es ebenfalls Ende März in Reutlingen zu Schüssen auf das SEK Baden-Württemberg. Auch dabei wurde ein Polizist verletzt und auch dieses Ermittlungsverfahren wird inzwischen durch die Bundesanwaltschaft geführt.