Atomausstieg: Warum das Kapitel noch nicht beendet ist

Atomausstieg: Warum das Kapitel noch nicht beendet ist

16. April 2023 Aus Von mvp-web
Das Atomkraftwerk Neckarwestheim. Foto: Uwe Anspach/dpa


Lange wurde darüber debattiert – nun ist das Zeitalter der Stromproduktion aus Atomkraft in Deutschland beendet. Die letzten drei Kernkraftwerke wurden am Samstag abgeschaltet. Als erstes wurde nach Angaben der Betreiber im niedersächsischen Meiler Emsland am Samstagabend um 22.37 Uhr die Verbindung zum Netz getrennt. Es folgten das bayrische Isar 2 um 23.52 Uhr und als letztes das baden-württembergische Neckarwestheim 2 um 23.59 Uhr. Mit diesem historischen Schritt sollte das kontroverse Thema eigentlich endgültig beendet sein. Doch die Befürworter der Atomkraft beharren hartnäckig auf der Hochrisikotechnologie – allen voran die Union.

Söder will Meiler in eigener Regie betreiben

So verlangte der wahlkämpfende bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der «Bild am Sonntag», das Atomgesetz noch einmal zu ändern und den Ländern die Zuständigkeit zu geben, damit Bayern den abgeschalteten Meiler in eigener Regie betreiben kann. Dies gilt allerdings als politisch ausgeschlossen, was Söder wissen dürfte.

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Massiver Widerstand gegen AKW-Aus

Das Bundesamt für die Sicherheit nuklearer Entsorgung (BASE) klassifizierte ihn denn auch als unzuverlässig. «Die heutigen Forderungen des Bayrischen Ministerpräsidenten unterstreichen, wie wichtig es ist, dass die politische Verantwortung für die nukleare Sicherheit in Deutschland bei der Bundesregierung liegt», sagte Präsident Wolfram König der Deutschen Presse-Agentur.

«Bundestag und alle Bundesländer einschließlich Bayern haben sich nicht nur auf den Ausstieg aus der Kernenergie verständigt, sondern auch die Endlagersuche nach wissenschaftlichen Kriterien auf den Weg gebracht.» Der geforderte Sonderweg Bayerns widerspreche geltendem Recht und gefährde die Endlagersuche.

Energiekonzerne sehen klares Ende der Atomkraft

Selbst unter den Energiekonzernen scheint das Interesse an einem künftigen Weiterbetrieb begrenzt zu sein. «Das Kapitel ist nun abgeschlossen», sagte der Chef des AKW-Emsland-Betreibers RWE, Markus Krebber, in einer Mitteilung. «Jetzt kommt es darauf an, die ganze Kraft dafür einzusetzen, neben Erneuerbaren Energien auch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken möglichst schnell voranzutreiben, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt, wenn Deutschland 2030 idealerweise auch aus der Kohle aussteigen will.»

Kernfusion statt Atomenergie?

Die mitregierende FDP, die bis zuletzt für einen Reservebetrieb geworben hatte, brachte nun die Kernfusion als mögliche Energiequelle ins Spiel. Diese ist bisher nur eine Idee, aber wäre mit nur wenig Radioaktivität verbunden und ohne das Risiko einer Kettenreaktion. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai riet im dpa-Gespräch, die Forschung dazu auszuweiten.

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Auch die oppositionelle Union plädierte dafür. Das setze jedoch eine Änderung des Atomgesetzes voraus, sagte ihr Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) der Düsseldorfer «Rheinischen Post» (Montag). «Ich zweifle an der Klugheit der Ampel, dies tatsächlich zu tun.»

Union und FDP beschlossen Atomausstieg

Vor gut 62 Jahren war Deutschlands erstes Atomkraftwerk im unterfränkischen Kahl in den kommerziellen Betrieb gegangen. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 setzte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den endgültigen Ausstieg aus der Technologie in Deutschland durch: Die drei letzten AKW hätten Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine entschied die Ampel-Koalition von Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD) nach wochenlanger Diskussion im Herbst jedoch, die Meiler über den Winter bis Mitte April weiterlaufen zu lassen.

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Mit dem Ausstieg beginnt nun eine neue Energie-Zeitrechnung: Kernkraftgegner feierten den historischen Schritt am Samstag mit Festen in Berlin und anderswo. Mehrere Hundert Menschen kamen zu einem «Abschaltfest» nach Neckarwestheim und auch in München veranstalteten der Bund Naturschutz und Greenpeace ein «Atomausstiegsfest». In der niedersächsischen AKW-Stadt Lingen demonstrierten Hunderte Atomkraftgegner gegen die dortige ebenfalls ansässige Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört, und forderten auch deren Schließung.

Wie wird abgebaut, wohin kommt der Müll?

Doch das Atom-Thema ist mit dem Ausstieg noch lange nicht beendet. Zunächst müssen die Meiler zurückgebaut werden. Der baden-württembergische Betreiber EnBW hat den Ablauf erklärt, der für alle drei Meiler ähnlich ist: Wenn mit dem Abbau begonnen werden kann, sollen zuerst die 193 Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter entfernt und in das benachbarte Lagerbecken überführt werden. Mit der Zeit werden dann etwa die nuklearen Systeme dekontaminiert, Hauptkühlmittelleitungen demontiert und Einbauten des Reaktordruckbehälters zerlegt. Alles in allem soll der nukleare Rückbau in 10 bis 15 Jahren abgeschlossen sein. Dann stehen aber beispielsweise noch Gebäude auf dem Gelände.

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Offen bleibt auch die Herkules-Aufgabe der radioaktiven Abfälle. «Mit der Abschaltung der letzten AKW ist unsere Arbeit noch lange nicht beendet», sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). «Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30 000 Generationen gefährlich bleiben.» 2017 war die Suche nach einem zentralen Atommüll-Endlager neu gestartet worden – ein Ergebnis gibt es noch nicht so bald. dpa/chi