Nord Stream 2: Ministerium hielt weitere Informationen zurück
27. Juli 2023Das Energieministerium in Mecklenburg-Vorpommern hat zentrale Informationen über den Bau der Nord-Stream-Pipeline nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das belegen Unterlagen, die dem NDR exklusiv vorliegen.
Dabei handelt es sich um den E-Mail-Verkehr im Ministerium, in dem unter anderem über die Rokai GmbH diskutiert wird. Das Unternehmen Rokai war in den Bau der Nord-Stream-Pipeline involviert. In den E-Mails diskutieren ranghohe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums darüber, ob die Rokai GmbH eher von Rostock oder von Sassnitz-Mukran aus agieren solle. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD), damals an der Spitze des Energieministeriums, war in den E-Mail-Verkehr aktiv eingebunden. Das Energieministerium hatte sowohl eine Anfrage eines NDR Journalisten zur Rokai GmbH als auch eine spätere Anfrage der Grünen im Landtag mit dem Hinweis beantwortet, entsprechende Dokumente und Informationen lägen im Ministerium nicht vor.
Umstrittene Rolle der Rokai GmbH
Der Vorgang ist aus mehreren Gründen politisch heikel. Christian Pegel steht in der Kritik, weil ihm die Opposition einen intransparenten Umgang mit dem Bau der Nord-Stream-Pipeline vorwirft. So war unlängst bekannt geworden, dass Pegel E-Mails aus seiner damaligen Zeit als Energieminister gelöscht hat. Weiter gilt die Rolle der Rokai GmbH als umstritten. Das Unternehmen hatte einen Millionen-Auftrag von der Klimaschutzstiftung MV erhalten. Erst durch die Rokai GmbH konnte es nach Ansicht der Opposition im Schweriner Landtag gelingen, den Bau der Nord-Stream-Pipeline – trotz bestehender US-Sanktionen – zu beenden.
Bau der Nord-Stream-Pipeline sollte fertiggestellt werden
Der gesamte Vorgang geht auf den Dezember 2020 zurück. Die USA bedrohten alle Firmen, die sich am Bau der Nord-Stream-Pipeline beteiligten, mit Sanktionen. Händeringend wurde daher in Mecklenburg-Vorpommern ein Weg gesucht, das riesige Bauprojekt doch noch fertigzustellen. Ein zentraler Punkt: einen neuen Basishafen für die Flotte der russischen Verlege- und Versorgungsschiffe zu finden, die Nord Stream 2 fertigbauen sollten.
Die Rokai GmbH versprach Hilfe
Da tauchte plötzlich eine neue Firma auf und versprach Hilfe: die Rokai GmbH. Am 15. Dezember 2020 schickte Jens-Uwe Zingler, damals Referatsleiter im Energieministerium, eine E-Mail, die wenig später auch seinen Minister erreichte: „Anliegend die Anfrage der noch in Gründung befindlichen Fa. Rokai GmbH zur Anmietung einer Kai- und Logistikfläche im Maritimen Gewerbegebiet Groß-Klein (MAGEB) für Versorgung und Umrüstung der Schiffe Akademik Cherskiy und Fortuna u.a. für Pipeline-Verlegearbeiten. Eigentümer und Betreiber der Hafenanlage ist Rostock. Die Stadt würde das Geschäft aus wirtschaftlicher Sicht begrüßen.“ Im Anhang der E-Mail: ein Unternehmenskonzept und die entsprechende Anfrage des Rostocker Hafenkapitäns.
Widerstand der Meyer Werft in Rostock
Doch Minister Pegel zögerte zunächst: „Die Aktivitäten würden wir eigentlich gern alle in Sassnitz Mukran poolen. Die Sassnitzer haben sich da derzeit leider ein wenig eigen. Deshalb ist diese Anfrage in Rostock erfolgt. Dem können wir gern folgen…“, schrieb der Minister seinen Mitarbeitern. Doch auch in Rostock gab es Widerstand, unter anderem von der Meyer Werft, deren Gelände direkt an den geplanten Basishafen angrenzt. Das Unternehmen fürchtete, dass die räumliche Nähe zu Nord-Stream-2-Aktivitäten geschäftsschädigend sein könnte, heißt es in den E-Mails.
Klimaschutzstiftung sollte Aktivitäten bündeln
Am Ende verständigten sich das Ministerium, die Stadt Rostock und die Rokai GmbH dann doch auf den MAGHEB-Kai Rostock. Politische Bedenken habe er keine, ließ Pegel seine Mitarbeiter wissen. Dass es die Rokai GmbH bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht gab und eine frisch gegründete Firma nun den mit 36 Millionen Euro größten Auftrag der Klimaschutzstiftung bekommen sollte, sorgte schnell für Fragen: aus dem Landtag und von Journalisten. Mecklenburg-Vorpommern hatte die sogenannte Klimaschutzstiftung eingerichtet, um in ihr Aktivitäten rund um Nord Stream 2 zu bündeln. Pegel hatte mehrfach öffentlich dargelegt, dass er selbst in die Gründung der Klimaschutzstiftung involviert gewesen sei und deren Satzung maßgeblich geschrieben habe.
Dokumente lagen angeblich nicht vor
Mitte März 2021 hat der NDR Reporter Reiko Pinkert das Schweriner Energieministerium in der Sache um Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz gebeten. Der Journalist erfragte die Herausgabe sämtlicher Kommunikation des Ministeriums, die die Rokai GmbH betrifft. Nach geltendem Recht ist das Ministerium zur Herausgabe der Unterlagen verpflichtet, sofern dem nicht beispielsweise Geschäfts- oder Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Anfang Mai 2021 antwortet Pegels damalige Pressesprecherin: „Ich kann Ihnen mitteilen, dass Dokumente der von Ihnen nachgefragten Art im Ministerium nicht vorliegen.“
„Politische Bedenken unserer Hausleitung“?
Eine ähnlich lautende Kleine Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Hannes Damm zur Rokai GmbH beantwortete das Ministerium ein Jahr später noch einsilbiger: „Der Landesregierung liegen hierüber keine Informationen vor.“ Doch beides trifft offenbar nicht zu. So erklärte Pegels Abteilungsleiter am 15. Dezember 2020, er wolle abklären, „ob politische Bedenken unserer Hausleitung“ bestehen. Eine Frage, die eigentlich nur der Minister selbst seinem Mitarbeiter beantworten kann. Vorher hatte ebenjener Abteilungsleiter das Geschäftskonzept der Rokai GmbH bekommen und per E-Mail im Ministerium verteilt – mit eben jener E-Mail, die wenig später auch den Minister erreichte.
Auch in der Rostocker Bürgerschaft hatte der Vorgang für Irritationen gesorgt. Denn im Pachtvertrag mit der Rokai GmbH war zunächst die Rede davon, dass diese angeblich Offshore-Versorgungsschiffe für Windkraft- und andere Anlagen ausstatten sollte. Ein Hinweis auf das Nord-Stream-2-Projekt fehlte.
Für den Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Schweriner Landtag, René Domke, werfen die dem NDR nun vorliegenden Unterlagen große Fragen auf – etwa die Frage nach einem möglichen Rücktritt von Minister Pegel: „Ist ein Innenminister mit solchen Gedächtnislücken noch tragbar? Und vor allem: Hat er bewusst getäuscht oder sind es tatsächlich Gedächtnislücken?“, so Domke gegenüber dem NDR.
Ähnlich sieht es Marc Reinhardt, der für die CDU im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sitzt: „Die Glaubwürdigkeit der Landesregierung ist zum wiederholten Male zutiefst erschüttert“, so Reinhardt auf Anfrage. Der CDU-Politiker sieht durch den Vorgang die Demokratie insgesamt beschädigt: „Ich rufe Herrn Pegel und die Landesregierung dazu auf, mit dem Parlament und den Medien vernünftig und nach guten Sitten umzugehen. Das ist zurzeit nicht der Fall.“
Ministerium beruft sich auf Erinnerungslücken
Auf Nachfrage des NDR hatte eine Sprecherin von Minister Pegel mitgeteilt, es habe zwischen dem Energieministerium und der Firma Rokai „keinen direkten Kontakt“ gegeben. An die fragliche Beschäftigung im Ministerium mit dem Unternehmen habe sich Pegel nicht mehr erinnert, der Minister teile „dieses Schicksal mit den befassten Kolleginnen und Kollegen der Verkehrsabteilung im damaligen Energieministerium“. Weiter heißt es: „Die fehlende Erinnerung des Ministers und weiterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verkehrsabteilung führte zu fehlerhaften Beantwortungen der damaligen Presseanfrage und des IFG-Antrages sowie der Kleinen Anfrage, war aber eben keine vorsätzliche Vorenthaltung von Erkenntnissen, zumal es dafür auch kein Motiv gegeben habe.“ Weshalb das Ministerium nicht einfach in seinem Archiv nach den Unterlagen gesucht hat, erklärte die Sprecherin nicht.
Einsicht von Dokumenten: Klage gegen Hansestadt Rostock
Der NDR prüft in diesem Zusammenhang rechtliche Schritte gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern. Unabhängig davon läuft eine Klage eines NDR Reporters vor dem Verwaltungsgericht Schwerin gegen die Hansestadt Rostock, die bis heute die Herausgabe sämtlicher Dokumente in der Causa Rokai GmbH verweigert.