Die FDP will es im Superwahljahr 2021 wissen. Sie will in der Ära nach Angela Merkel wieder mitbestimmen, wo es bundespolitisch langgeht. Das hat Christian Lindner heute beim Dreikönigstreffen deutlich gemacht. Klar ist auch: Gelingt das nicht, wird er nicht mehr lange Parteichef sein. Will er auch nicht.
Wenn Merkel weg ist, will Lindner mitregieren: „Wir haben Lust auf Gestaltung“
6. Januar 2021
Christian Lindner dreht sich um und blickt in einen gähnend leeren Saal. Hinten nichts, vorne nichts, weit und breit kein Mensch zu sehen. „Unser Auftrag ist es, dafür zu sorgen, dass wir alle wieder unsere Plätze einnehmen“, ruft der FDP-Chef seinen Zuhörerinnen und Zuhörern an den Bildschirmen zu. Da meint der 41-Jährige zunächst die eigenen Anhänger, die wegen der Corona-Auflagen erst gar nicht ins Stuttgarter Opernhaus, zum liberalen Familientreffen, kommen konnten. Er denkt aber noch an einen anderen Platz, den Liberale im Herbst, nach der Bundestagswahl, wieder einnehmen wollen: den auf der Regierungsbank in Berlin.
FDP-Chef Lindner: Regieren oder zurückziehen
„Wir haben Lust auf Gestaltung“, meldet Lindner in den digitalen Orbit, „wir haben Lust darauf, nach dem Ende der Ära Merkel am nächsten Kapitel unseres Landes mitzuschreiben.“ Für die FDP geht es also um „hopp“ oder top. Was dieses Ziel für ihn persönlich bedeutet, hat Lindner schon beim Parteitag im September zu Protokoll gegeben. Erreicht er es nicht, wird er sich als Parteichef zurückziehen: top – oder weg. So geht die Nr. 1 der FDP ins Superwahljahr.
Und das startet genau so düster, wie 2020 endete: als Corona-Jahr, das die Gesundheit, die ökonomische Sicherheit und das Miteinander von Millionen von Menschen bedroht. Die FDP und ihr Frontmann haben seit dem Frühjahr unterschiedlich reagiert auf die Politik, die Merkel und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder gegeben haben. Zunächst hat Lindner – ganz Staatsmann – der Kanzlerin demonstrativ seine Unterstützung zugesagt. Dann aber hat er sie ihr – ebenso demonstrativ – wieder entzogen. Aktuell nimmt die FDP eine Zwischenposition ein.
Die Verschärfungen der Pandemie-Auflagen, die Merkel und die Entscheider aus den Ländern gestern vereinbart haben, seien „vielfach nicht verhältnismäßig“ und nicht „praxistauglich“, rügt Lindner. In manchen Fällen führten sie sogar zu „inhumanen Ergebnissen“. Der FDP-Chef beklagt in seiner Dreikönigs-Rede, dass es „keine Perspektive für die Öffnung von Schulen“ gebe. Die aber brauche es schnellstmöglich. Denn Kinder und Jugendliche müssten ihr „Bürgerrecht auf Bildung wahrnehmen“. Er, so Lindner, sehe die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen, manche Regel aber gehe zu weit. Lindner fordert eine regional „differenzierte Herangehensweise“, die sich an den Infektionszahlen orientieren soll.
Signal an die Außenwelt: Ich sehe die Zwänge der Regierung, würde aber vieles anders machen. Wenn ich denn an einer Regierung beteiligt wäre.
Klage über „Impf-Chaos“ in Deutschland
Die Nr. 1 der FDP beklagt bei dem digitalen Treffen mit Parteifreunden auch ein „Impf-Chaos“ in Deutschland. Der Fragenkatalog, den Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und seine Parteifreunde Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zukommen ließen, ist aus Sicht Lindners nichts anderes als „ein Misstrauensvotum“. Und zur Lage der Nation nur soviel vom FDP-Mann: Deutschland stehe vor einer „Neugründung“. Eine Republik vor dem politischen Rebooting sozusagen.
Spitzenduo muss bald liefern
Das Spitzen-Duo hat nicht viel Zeit. Es muss bald liefern. Am 14. März werden in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die neuen Landtage gewählt. In Rheinland-Pfalz ist die FDP an der Macht beteiligt – in einer Ampelkoalition, in der Wissing Wirtschaftsminister ist. In Baden-Württemberg will sie die Regierungsmacht erringen. Beides wird kein Selbstläufer.
Bundesweit wird die FDP bei sechs bis sieben Prozent taxiert. Die Absage an „Jamaika“ 2017 erweist sich bis heute als eine Hypothek für Lindner. Das Klima zwischen den meisten Unionspolitikern und den Liberalen bewegte sich zwischenzeitlich auf Kühlhaus-Niveau. Und seit sich sein Parteifreund Thomas Kemmerich im Februar in Thüringen mit AfD-Stimmen für ein paar Stunden ins Amt des Ministerpräsidenten hieven ließ, stehen der Vorsitzende und andere Liberale bei vielen unter verschärfter Beobachtung. Unstrittig war und ist aber für Liberale in dieser Gemengelage, dass Lindner der Chef ist. Er hat die Zügel in seiner Partei fest in der Hand.
Merkel geht, wer kommt?
Bei alledem kann niemand seriös abschätzen, wie sich der Kuchen der Macht nach dem Rückzug Angela Merkels verteilen wird. Die Liberalen jedenfalls wollen sich ein möglichst großes Stück sichern. Als Partei der Wirtschaft – aber eben nicht nur der Wirtschaft.
Lindner setzte heute beim Solo in Stuttgart ein paar markante gesellschaftspolitische Signale. Er forderte mehr Chancengerechtigkeit für Migrantinnen und Migranten ein. Er mahnte bessere Gestaltungsmöglichkeiten für berufstätige Eltern an. Und: Er zog den Sinn des Bildungsföderalismus in Zweifel. Man müsse sich die Frage stellen, so der Liberale, ob es „eine Reform der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern“ brauche. In jedem Fall hält er mehr Vergleichbarkeit in Deutschland für fällig.
Lindner gibt ein Versprechen
Liberale haben in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht nur gute Erfahrungen mit ultimativ formulierten Wahlversprechen gemacht. Eines aber gibt Lindner dann doch schon zu Beginn des Superwahljahres: „Wäre ich Finanzminister, dann würde es in Deutschland keine Erhöhung der Steuern auf die Einkommen der Beschäftigten oder derjenigen, die Arbeitsplätze in unserem Land schaffen“, verspricht der 41-Jährige. Der „Silicon-Valley-Plattform-Kapitalismus“ allerdings müsse seinen „fairen Beitrag“ zur Finanzierung des Gemeinwesens zahlen.
Bei der Bundestagswahl am 26. September geht es aus Sicht Lindners um die Alternative „Neue Staatsfrömmigkeit“ oder „Rückbesinnung auf die Freiheitsliebe“. Er und seine Partei stünden dann im Herbst für Part 2 bereit.