faktenfinder – Verregneter Juli Lokale Wetterphänomene sprechen nicht gegen Klimawandel

faktenfinder – Verregneter Juli Lokale Wetterphänomene sprechen nicht gegen Klimawandel

10. August 2023 Aus Von mvp-web

Stand: 10.08.2023 15:23 Uhr

Die letzten beiden Juli-Wochen in Deutschland waren kalt und nass. Einige nutzen diesen Fakt, um den Klimawandel zu verharmlosen. Doch das ist aus Sicht von Experten falsch.

Carla Reveland Pascal Siggelkow, SWR Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Der Juli in Deutschland war trotz Schauer, Gewitter und Starkregen mit einem Temperaturmittel von 18,7 Grad Celsius „insgesamt zu warm“, schreibt der Deutsche Wetterdienst (DWD). Denn der Juli war nicht nur 1,8 Grad wärmer als die von der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) festgelegte ältere Referenzperiode 1961 bis 1990, sondern selbst 0,4 Grad wärmer als die aktuell gültige wärmere Vergleichsperiode 1991 bis 2020. Zudem wurde im Juli der bislang heißeste Tag dieses Jahres in Deutschland gemessen: Am 15. Juli mit 38,8 Grad im bayerischen Möhrendorf-Kleinseebach.

Für das Onlinemedium „NIUS“ stellt das deutsche Wetter im Juli dennoch eine „Diskrepanz“ zum Klimawandel dar. So heißt es in Berichten: „Regen und Kälte: So absurd schüren ARD und ZDF trotzdem Klima-Panik“. Demnach verbreiteten viele Medien „Angst und Panik vor dem Klimawandel“, und das trotz schlechten Wetters, so der Vorwurf. In einem weiteren Artikel sagt der SPD-Politiker Fritz Vahrenholt, das Thema werde benutzt, „um Menschen Angst zu machen“. Dabei sei gar keine Klimakatastrophe in Sicht.

Verregneter Juli liefert keine Aussage zu Klimatrends

Temporäre lokale Wetterphänomene sind aus Sicht von Kevin Sieck vom Climate Service Center Germany (GERICS) jedoch nicht geeignet, um Aussagen über den Klimawandel zu treffen: „Robuste Aussagen über Klimatrends können nur gewonnen werden, wenn man sich hierzu mehrere Jahrzehnte anschaut“, sagt Sieck. „Ein verregneter Juli in Deutschland ermöglicht keine Aussage über einen langfristigen Trend.“ Es seien daher die langfristigen Entwicklungen, die bei der Beurteilung von Trends im Klima relevant sind.

Das sieht auch Karsten Schwanke, Meteorologe und ARD-Wettermoderator, so: „Es wird immer wieder sehr wechselhafte Sommer geben.“ Aber es gebe eine eindeutige Tendenz zu wärmeren Sommern mit größeren Ausschlägen nach oben. „Wir sehen eine Tendenz, dass die Hitzewellen länger werden. Und wir bekommen zurzeit Hitzewellen, die wir vor 50 Jahren so definitiv nicht gesehen haben. Wir bekommen auch mehr Dürreperioden, gerade im Sommer.“

Hinzu komme, dass Deutschland nur etwa 0,7 Prozent der Erdoberfläche ausmache. „Egal wie unser Wetter ist, wir machen den Schnitt über den gesamten Globus und wir sehen eben weltweit einen extrem heißen Juli“, so der Wettermoderator. Nach Angaben des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus war der vergangene Juli weltweit der wärmste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Ein Mann in Beirut gießt sich kaltes Wasser über den Kopf (Archivbild vom 16.07.2023)

08.08.2023

Wetter und Klima nicht dasselbe

Wetter und Klima seien zwei verschiedene Sachen, sagt René Orth, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biogeochemie. „Wetter ist das, was wir im Juli erlebt haben. Das kann mal kalt, mal warm, mal nass, mal trocken sein“, sagt Orth. „Klima ist das, was sich auf längeren Zeitperioden abspielt. Wenn man das Wetter über mehrere Jahre oder am besten Jahrzehnte mittelt, dann sehen wir das Klima.“

Einzeln betrachtet habe es im Juli beispielsweise zwar etwa knapp 30 Prozent mehr Niederschlagsmenge gegeben als in der älteren Referenzperiode 1961 bis 1990 und rund 15 Prozent mehr im Vergleich zu 1991 bis 2020, dafür regnete es in den beiden Vormonaten deutlich zu wenig. „Wenn man jetzt von jedem Monat gleich auf den Klimawandel schließen würde, dann würde man fast jeden Monat einen anderen Schluss ziehen müssen“, sagt Orth.

Aussage zu Extremwetterereignissen „komplett falsch“

Der Klimawandel wird in den Artikeln von „NIUS“ nicht geleugnet, es werden allerdings Zweifel daran gesät, wie verheerend die globale Erderwärmung und ihre Folgen tatsächlich sind. „Wissenschaftler rät zur Gelassenheit: ‚Es ist keine Klimakatastrophe in Sicht!'“, lautet etwa die Überschrift eines Beitrags. Besagter Wissenschaftler ist der ehemalige Hamburger Umweltsenator Vahrenholt.

Der Chemiker war nach dem Ende seiner politischen Karriere für verschiedene Energiekonzerne tätig und fiel in der Vergangenheit immer wieder mit Aussagen auf, die den menschengemachten Klimawandel relativeren. So auch im Interview für „NIUS“: „Global ist es so, dass weder die Waldbrände noch die Orkane noch sonst Extremwetterereignisse zugenommen haben. Das sagt selbst der Weltklimabericht.“

Die Aussage, dass sämtliche Arten von Extremwetterereignissen nicht zugenommen hätten und dies vom Weltklimabericht bestätigt worden wäre, sei komplett falsch, sagt Orth. Es ist klar belegt, dass beispielsweise Hitzewellen oder Starkregenereignisse in vielen Gegenden der Welt häufiger geworden sind, und dies im Weltklimabericht auch dokumentiert ist. Auch Johann Jungclaus, Forscher am Max-Planck-Institut für Meteorologie, betont, dass die Kernaussagen des Weltklimaberichts zu Extremereignissen in keinster Weise so zu verstehen seien, wie Vahrenholt behauptet.

Im sechsten IPCC-Sachstandsbericht der Arbeitsgruppe eins steht: „Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus.“ Es gebe seit dem letzten Sachstandbericht „stärkere Belege für beobachtete Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen, Dürren und tropischen Wirbelstürmen sowie insbesondere für deren Zuordnung zum Einfluss des Menschen.“

Blick über verbrannte Bäume nach Waldbränden in der kanadischen Region Donnie Creek.

Sonne nicht Ursache der globalen Erwärmung

Den anthropogenen Einfluss des Menschen am Klimawandel leugnet auch Vahrenholt nicht per se. Er hält allerdings andere Faktoren, wie die Sonne oder eine „warme Phase des Atlantiks“, für ebenso ausschlaggebend. Den Einfluss der Sonne erklärt er auf „NIUS“ wie folgt: „Die direkte Sonneneinstrahlung auf die Erde hat zugenommen. Und damit ist aber das von den Klimawissenschaftlern hochgehaltene Phänomen des Treibhauseffekts zumindest in seine Schranken gewiesen. Also nicht die Rückstrahlung durch das CO2 hat diese große Erwärmung gemacht, sondern die direkte Sonneneinstrahlung, weil die Wolken sich verdünnt haben.“

Es stehe außer Frage, dass der anthropogene, also CO2-getriebene,Treibhauseffekt nachgewiesen ist, schreibt das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) auf Anfrage. „Tatsächlich sind Wolken etwas transparenter/weniger geworden, vermutlich wegen sauberer Luft, aber auch durch Wechselwirkungen mit dem Ozean auf dekadischen Skalen.“ Allerdings habe die Wolkenhöhe aufgrund des CO2-Treibhauseffektes zugenommen, was den Treibhauseffekt der Wolken verstärke.

„Die Sonne kann nicht die Ursache der globalen Erwärmung sein, denn seit etwa 50 Jahren nimmt ihre Leuchtkraft leicht ab – während in diesem Zeitraum der stärkste Temperaturanstieg gemessen wurde“, heißt es im Klima-Papier des Deutschen Klima Konsortium.

Beatrix von Storch, stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD und Alice Weidel

Schwankungen im Atlantik nicht ausschlaggebend

Die Aussage Vahrenholts, dass die Erderwärmung auch auf eine warme Phase des Atlantiks zurückzuführen sei, welche sich in den nächsten Jahren wieder einpendeln werde, ist zu kurz gefasst. Vahrenholt beruft sich auf eine Studie, die von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und des Geophysical Institute, University of Bergen and Bjerknes Centre for Climate Research, publiziert wurde.

Jungclaus ist einer von ihnen. Er sagt: „Im Atlantik gibt es in der Tat eine quasi-periodische Schwankung auf einer Zeitskala von mehreren Jahrzehnten, die wir die ‚Atlantische Multidekadische Variabilität‘ nennen.“ Es sei korrekt, dass sich diese gerade in einer relativ warmen Phase befinde, doch anders als Vahrenholt behaupte, hätten diese Schwankungen nur einen geringen Einfluss auf die globale Mitteltemperatur.

„Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten in eine negative Phase der Atlantischen Multidekadischen Variabilität gehen, würde das nur zu einer sehr geringen Verlangsamung der globalen Erwärmung führen“, sagt Jungclaus. „Wir würden sehr wahrscheinlich regionale Auswirkungen davon sehen, wie etwa etwas kühlere Temperaturen im Nordatlantik.“ Es werde aber sehr wahrscheinlich nie wieder so kalt werden wie in der atlantischen Kaltphase in den 1970er-Jahren – viel mehr werde die neue „Kaltphase“ wohl wärmer werden als die „Warmphase“ der 1940er-Jahre.

Vahrenholt kein ausgewiesener Klimaexperte

Jungclaus ist der Ansicht, dass Vahrenholt die Studie bewusst anders interpretiere und ein typisches Beispiel für seine Agenda sei. „Es geht darum, den menschengemachten Klimawandel zwar nicht zu leugnen, aber zu relativieren, indem andere Einflüsse als die Treibhausgase geltend gemacht werden.“ Die Botschaft solle lauten, dass es keinen Grund gebe, jetzt Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Dazu würden Fakten verdreht, wie es gerade passe.

Albert Denk, Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, kritisiert, dass „NIUS“ sich beispielsweise durch Vahrenholt zweifelhafter Expertise bediene. Vahrenholt baue eine Erzählung auf, dass die Bevölkerung von Eliten betrogen werde, so Denk: „Mal ist es die Bundesregierung, die völlig falscherweise ‚bis in den Heizungskeller hineinregieren‘ würde oder die Klimawissenschaftler*innen, die ‚aufspringen und Entwarnung geben‘ müssten, weil der globale klimawissenschaftliche Konsens ja gar nicht stimme.“