Ukrainische Soldaten in MV-Kliniken: „Noch nie solche Verletzungen gesehen“

Ukrainische Soldaten in MV-Kliniken: „Noch nie solche Verletzungen gesehen“

6. September 2023 Aus Von mvp-web
Stand: 05.09.2023 15:17 Uhr

Ukrainische Krankenhäuser gelangen im Krieg an ihre Grenzen. Ein EU-Nothilfeprogramm ermöglicht daher die Behandlung verletzter Soldaten im Ausland. In Mecklenburg-Vorpommern wurden bislang 41 Ukrainer versorgt. Einer von ihnen ist Bodhan Kaban. Der 27-Jährige wurde bei Bachmut schwer am Fuß verwundet und wird derzeit in Schwerin behandelt. Wenn er wieder genesen ist, will er zurück an die Front.

Mehr als eineinhalb Jahre dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine inzwischen. Wie viele Soldaten und Zivilisten ums Leben kamen oder verletzt wurden – darüber schweigen die Kriegsparteien. Laut jüngsten US-amerikanischen Schätzungen sind auf beiden Seiten ungefähr 500.000 Soldaten gefallen oder verletzt worden. Zur Unterstützung der Ukraine werden inzwischen viele Kriegsverletzte in andere europäische Staaten ausgeflogen. Mehr als 800 kamen bisher zur Behandlung nach Deutschland – auch nach Mecklenburg-Vorpommern. Neben Neubrandenburg, Greifswald und Rostock vor allem nach Schwerin. Bodhan Kaban ist einer von ihnen. Er stammt aus dem Westen der Ukraine. Vor dem Krieg arbeitete der frisch verheiratete 27-Jährige als Fassadenbauer. Kurz nach Kriegsbeginn Ende Februar 2022 wurde er eingezogen.

 

Der ukrainische Soldat Bodhan Kaban im Einsatz – vor dem Angriff eines russischen Panzers auf seinen Trupp.

Unter Panzerbeschuss bei Bachmut

Drei Monate später geriet Kaban mit seinem Trupp in der Nähe von Bachmut unter russischen Panzerbeschuss. „Plötzlich sah ich nur noch schwarzen Rauch, Schrapnelle flogen durch die Gegend. Ich dachte, das ist echt nah“, erinnert sich Kaban. Schrapnell-Geschosse sind mit Metallkugeln gefüllt, die kurz vor dem Einschlag durch eine Treibladung nach vorne ausgestoßen und dem Ziel entgegengeschleudert werden. „Plötzlich lag ich auf dem Boden. Ich habe nicht gleich begriffen, was mit mir passiert ist.“ Die Kugeln hatten seine Leber, Arme und Beine getroffen. Sein rechter Unterschenkel wurde zertrümmert. Doch er blieb bei Bewusstsein: „Okay, ich lebe noch. Alles gut. Aber ich musste da weg, hinter die Linie. Dann habe ich mein Bein gesehen, der Fuß hing runter.“ Auf allen Vieren konnte er sich in Sicherheit bringen. Von einem sogenannten Evakuierungspunkt aus wurde er in ein Krankenhaus transportiert.

Ukrainische Kliniken überfordert – derzeit drei verletzte Soldaten in Schwerin

Dort haben die Ärzte für Kaban getan, was sie konnten. Aber die weitere notwendige Versorgung können die meisten Kliniken in der Ukraine bereits nicht mehr leisten. Es fehlt an Mitteln, vor allem aber wird jedes Bett gebraucht. Zur Unterstützung können deshalb im Rahmen eines EU-Nothilfeprogramms Patienten in ausländische Krankenhäuser ausgeflogen werden. Dazu stellte die Ukraine ein Hilfeersuchen. Mehr als 800 Verletzte hat Deutschland bisher aufgenommen, 41 von ihnen kamen nach Mecklenburg-Vorpommern. Drei von ihnen, darunter auch Bodhan Kaban, werden aktuell in Schwerin behandelt.

„Keiner von uns hat jemals zuvor solche Verletzungen gesehen“

Laut Dr. Stefan Schulz-Drost, Chefarzt der Unfallchirurgie am Klinikum in Schwerin, werden Schusswunden dort nur sehr selten behandelt. Die wenigen Fälle kämen aus dem zivilen Bereich und würden etwa aus Jagdunfällen resultieren. Auch für Jörg Allrich, Koordinator für die Verteilung der Verwundeten ukrainischen Soldaten und seit Jahrzehnten Notarzt in Schwerin, waren Verletzungen wie die Wunden von Kaban neu. Nicht nur medizinisch wird die Versorgung der kriegsversehrten Ukrainer zu einer Herausforderung, auch psychisch. „Keiner von uns hat jemals zuvor solche Verletzungen gesehen. Zerfetzte, abgerissene Gliedmaßen, einen aufgerissenen Bauch. Das ganze Leid drumherum. Eine junge Frau, 21 Jahre alt, die einen kompletten Oberschenkel verloren hat. Das hat uns anfangs schon sehr zu schaffen gemacht“, erzählt Allrich. Erfahrene Ärzte der Bundeswehr kamen zur Unterstützung.

Fuß bislang achtmal operiert – weitere OPs folgen

Bodhan Kaban mit seiner Frau Tetiana.

Schulz-Drost ist direkt an Kabans Behandlung am Klinikum in Schwerin beteiligt. „Es sah im Röntgenbild am Anfang gar nicht so schlimm aus“, sagte er über die Untersuchung seines ukrainischen Patienten. Dann aber habe man Keime im Gelenk des jungen Soldaten gefunden. „Und das ist fatal. Weil diese Geschosse zum einen extreme Energie haben und durch ihre Geschwindigkeit und Hitze hineinbringen. Und eben dann Umweltkeime da hineinspringen“, erklärt Schulz-Drost. Die Keime könnten zu schweren Infektionen führen. Im schlimmsten Fall drohe dem Patienten eine Amputation. Ein multiprofessionelles Ärzteteam aus Gefäßspezialisten, Plastischen- und Unfallchirurgen kann sein Bein retten. Acht Operationen waren bisher dafür nötig. Weitere werden noch folgen.

„Du kannst mein Bein haben, ich gebe dir meine Arme“

Inzwischen ist auch Kabans Ehefrau Tetiana bei ihm. Schrauben und Drähte halten jetzt seinen Unterschenkel zusammen. Dennoch hatte er Glück. „Du kannst mein Bein haben, ich gebe dir meine Arme – kein Problem. Ich will nur überleben und nach Hause“, zitiert Kaban seine Kameraden. Er selbst will wieder in seine Heimat: „Wenn mein Bein gesund ist, gehe ich zurück in die Ukraine. Zu meinen Freunden an die Front und werde ein guter Soldat sein“. Seine Frau hofft, dass der Krieg bis dahin endlich vorbei ist.