Studie zu Ampelregierung Respektable Bilanz – aber schlechtes Image

Studie zu Ampelregierung Respektable Bilanz – aber schlechtes Image

12. September 2023 Aus Von mvp-web

Stand: 12.09.2023 13:45 Uhr

Sie gilt als zerstritten, in Umfragen erreicht die Ampelkoalition Tiefstwerte – doch gemessen am Koalitionsvertrag bescheinigt eine Studie ihr eine respektable Halbzeitbilanz. Fast zwei Drittel der Vorhaben seien umgesetzt oder angepackt worden.

Fast zwei Jahre regiert die Ampelkoalition nun – und gemessen an der Abarbeitung ihres Koalitionsvertrags fällt die Halbzeitbilanz laut einer Studie beachtlich aus. Fast zwei Drittel der Vorhaben seien entweder umgesetzt oder angepackt worden, heißt es in der Analyse, die die Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Universität Trier und der Denkfabrik „Das Progressive Zentrum“ erstellt hat. Die öffentliche Wahrnehmung als „Streitkoalition“ sei allerdings eher negativ.

Die Autorinnen und Autoren hatten für ihre Analyse insgesamt 453 Versprechen im Koalitionsvertrag gezählt und den jeweiligen Stand der Umsetzung überprüft. Das Ergebnis: 174 Versprechen seien bereits voll oder teilweise erfüllt (38 Prozent). Darüber hinaus befänden sich weitere 55 Vorhaben (zwölf Prozent) im Prozess ihrer Erfüllung. Weitere 62 Versprechen (14 Prozent) seien „substanziell angegangen“ worden, ihr Erfüllungsgrad sei aber noch nicht absehbar. Demgegenüber stehen 162 Versprechen (36 Prozent) aus dem Vertrag von SPD, Grünen und FDP, die weder erfüllt noch angepackt wurden.

DeutschlandTrend

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„Öffentlich inszenierter Koalitionsstreit“

Stiftungsautor Robert Vehrkamp sagte, eine „sehr vielversprechende“ Halbzeitbilanz werde überlagert von „öffentlich inszeniertem Koalitionsstreit und vielen offenen Baustellen“. Im Kontrast zu einem vergleichsweise hohen Umsetzungsgrad werde die Ampel von vielen als „Streitkoalition“ gesehen.

So ergab eine zusätzlich erfolgte Umfrage, dass nur zwölf Prozent der Menschen in Deutschland meinen, von den vereinbarten Koalitionsversprechen seien „alle, fast alle oder ein großer Teil“ umgesetzt worden. Hingegen glauben 43 Prozent der Befragten, es würden nur „ein kleiner Teil oder kaum welche“ der Versprechen realisiert.

Für die Erhebung hatte das Institut Allensbach im Stiftungsauftrag im Juli 1011 Personen ab 16 Jahren persönlich-mündlich befragt. Nur etwa ein Viertel der Befragten zeigte sich mit der Arbeit der Koalition zufrieden. Mehr als 60 Prozent waren „eher oder sehr“ unzufrieden. Auffällig sei dabei, „wie wenig die meisten Menschen zwischen den drei Regierungsparteien differenzieren“, so Vehrkamp. Die Ampel werde von den meisten als Einheit gesehen und beurteilt.

Schloss Meseberg in Brandenburg (Archivbild vom Mai 2022)

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Gut 50 Prozent mehr Versprechen als Große Koalition

Für die Analyse hatte das Forscherteam „echte“ Versprechen im Koalitionsvertrag untersucht, deren Erfüllung anhand klarer Kriterien nachprüfbar seien. Im Vergleich zur Halbzeitbilanz der Vorgängerregierung habe die Ampel mit 38 statt 53 Prozent prozentual zwar weniger Versprechen bereits erfüllt, heißt es in der Studie – aber mit 174 statt 154 erfüllten Versprechen in absoluten Zahlen gerechnet sogar etwas mehr geschafft.

Das liegt daran, dass der Koalitionsvertrag der Ampelregierung insgesamt 453 „echte“ Regierungsversprechen enthält – und damit gut 50 Prozent mehr als die 296 Versprechen der Großen Koalition im Koalitionsvertrag von 2018. Gegenüber dem Koalitionsvertrag 2013 mit 188 Versprechen habe die aktuelle Koalition sogar fast zweieinhalb Mal so viele Regierungsvorhaben vereinbart.

Soldaten sind im Marinestützpunkt Eckernförde beim Rückkehrappell für den Ausbildungseinsatz ·Gazelle· angetreten

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„Die große Anzahl der Versprechen spiegelt zum einen die Komplexität der Ampel als einer lagerübergreifenden Koalition aus drei programmatisch eigenständigen Parteien, zum anderen aber auch das höhere Ambitionsniveau des Ampel-Vertrages wider“, erklärte Theres Matthieß von der Universität Trier, Mitautorin der Studie.

Politikexperte Wolfgang Schröder vom „Progressiven Zentrum“ sagte, der öffentlich inszenierte Koalitionsstreit führe dazu, dass die tatsächliche Regierungsleistung und Umsetzungstreue unterschätzt werde. „Deshalb braucht die Ampel einen Neustart in ihrer koalitionsinternen Zusammenarbeit und Selbstdarstellung.“

Widerspruch aus der Opposition

Der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), widersprach dem positiven Befund der Studie. Die Ampel scheine „unbeeindruckt von der Realität ihren veralteten Koalitionsvertrag abarbeiten zu wollen“, sagte er. „Sie geht damit inzwischen ganz an den zentralen Themen der Menschen vorbei. Die Enttäuschung und der Frust der Bevölkerung sind da verständlich.“

Bertelsmann Stiftung

Gesellschaftliche Herausforderungen aufgreifen und nachhaltig in die Gesellschaft hineinwirken – das ist nach eigenen Angaben das Ziel der Bertelsmann Stiftung. Gegründet wurde sie 1977 durch den in Gütersloh ansässigen Unternehmer Reinhard Mohn, den damaligen Chef des Medienkonzerns Bertelsmann. Nach Angaben des Konzerns hält die Stiftung heute mehr als 80 Prozent der Aktien am Bertelsmann Verlag, zu dem unter anderem die RTL Gruppe sowie Penguin Random House gehören.

Für ihre Studien sammelt und analysiert die Stiftung Daten und gibt schließlich Handlungsempfehlungen an Entscheidungsträger ab. Sie arbeitet operativ, das heißt sie unterstützt nicht die Arbeit Dritter, sondern investiert ausschließlich in selbst initiierte Projekte. Dabei dient sie nach eigenen Angaben dem Gemeinnutzen und ist zu höchster Neutralität verpflichtet.

Diese Neutralität wurde in der Vergangenheit jedoch oft angezweifelt. So warf der frühere SPD-Politiker Albrecht Müller der Denkfabrik Bertelsmann vor, einseitig eine neoliberale Ideologie und die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. Der Journalist Harald Schumann analysierte, dies würde sich in den einschlägigen Empfehlungen der Stiftung niederschlagen, die vielmals darauf abzielten, die untersuchten Lebensbereiche verstärkt nach marktwirtschaftlichen Wettbewerbskriterien zu gestalten.

Darüber hinaus gehe das Tätigkeitsfeld der Stiftung weit über eine Beratungsfunktion hinaus, warf ihr etwa Frank Böckelmann vor, Publizist und Autor eines Buches über den Bertelsmann-Konzern. Die Stiftung würde durch gezielte Absprachen einen direkten Einfluss auf die Politik nehmen.

Eine direkte Einflussnahme streitet die Stiftung jedoch ab. „Unser Anspruch ist es, fachlich und methodisch unangreifbare Studien vorzulegen, und das schaffen wir. Wir vertreten aber auch stets einen klaren Standpunkt, von dem aus wir mithilfe der Studienergebnisse Vorschläge aussprechen. Darauf, ob sich die Politiker unseren Vorschlägen anschließen, haben wir keinerlei Einfluss“, erläutert Andreas Muhs, Kommunikationsmanager der Bertelsmann Stiftung.