Schwesigs Pipeline-Stiftung: Ferngesteuert aus Moskau?

11. Januar 2021 Aus Von mvp-web
Stand: 11.01.2021 16:03 Uhr

Eine landeseigene Stiftung, um den Weiterbau der Erdgas-Leitung Nord Stream 2 aus Russland abzusichern, stößt auf immer mehr Kritik. Auch die Unabhängigkeit der Stiftung wird angezweifelt.

von Stefan Ludmann, NDR 1 Radio MV

Ferngesteuert aus Moskau? Der russische Einfluss auf die neue landeseigene Stiftung zum Weiterbau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist größer als bisher vermutet. Der russische Energie-Riese Gazprom bekommt über sein Nord-Stream-Konsortium Zugriff auf wichtige Personalentscheidungen. So kann der Staatskonzern Gazprom den Chef des umstrittenen Stiftungs-Unternehmens, das den Weiterbau der Pipeline absichern soll, selbst bestimmen. In dem Entwurf der Stiftungssatzung heißt es, „der erste sachverständige Geschäftsführer wird auf Vorschlag der Nord Stream 2 AG vom Stiftungsrat für drei Jahre berufen und gegebenenfalls abberufen.“ Die Nord Stream 2 AG gehört zu Gazprom.

„Ohne Gazprom geht nichts“

In der Satzung wird außerdem festgelegt, dass die „Geschäftsgrundsätze“ des Stiftungs-Unternehmens „im Benehmen mit der Nord Stream 2 AG“ zu erlassen sind – das heißt: ohne Gazprom geht nichts. Außerdem hat sich der Konzern eine Vertretung im Kuratorium – dem Beratungsgremium – gesichert, zwei der bisher 16 vorgesehenen Kuratoriums-Sitze gehen an die Nord Stream 2 AG, daneben sind Vertreter der Landesregierung, der Landtagsfraktionen und von Umweltverbänden und der Wissenschaft vorgesehen. Der russische Einfluss kommt nicht überraschend: 60 Millionen Euro haben Gazprom und sein Nord Stream Konsortium versprochen, um Umweltschutz-Projekte über die Stiftung zu fördern. Quasi nebenbei soll die Stiftung über ihren „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ – also ein Stiftungs-Unternehmen – den Weiterbau der umstrittenen Ostsee-Pipeline sichern. Das gilt insgeheim als Hauptzweck der neuen Stiftung.

Drohungen der USA zeigen Wirkung

Das fast fertiggestellte deutsch-russische Röhren-Projekt steht jedoch auf der Kippe. Die USA drohen allen beteiligten Firmen massive Sanktionen und Strafmaßnahmen an. Drohungen, die wirken: in der vergangenen Woche zog sich ein norwegisches Unternehmen aus dem Projekt zurück. Es überprüfte die Verlegearbeiten und zertifizierte die Arbeiten. Das ist wichtig für die Zulassung der Pipeline. Jetzt sind die Norweger von Bord gegangen.

Stiftung soll Maschinen und Baumaterial selbst einkaufen

Die geplante Stiftung soll den USA den Wind aus den Segeln nehmen und Unternehmen bei der Stange halten. Danach soll die Stiftung über ihr eigenes Unternehmen wichtige Baumaterialen und Waren wie beispielsweise Maschinen selbst einkaufen und sie den beteiligten Firmen für den Weiterbau der Pipeline zur Verfügung stellen. Energieminister Christian Pegel (SPD) sprach von einer „Baumarktregal-Variante“. Über diesen Umweg eines Zentraleinkaufs sollen die Firmen rechtlich vor Sanktionen geschützt werden, denn sie würden die Waren nicht selbst erwerben. Ob das funktioniert, scheint fraglich. Offen ist auch, woher das Geld für den Einkauf kommt. Die Landesregierung machte dazu auf NDR Anfrage keine Angaben, erklärte jedoch, das Geld komme nicht aus dem Landeshaushalt. Es soll sich um zweistellige Millionen-Beträge handeln, die ebenfalls aus Gazprom-Kassen fließen.

Umweltverbände kritisieren Stiftung als „Mogelpackung“

Die nach Angaben der Landesregierung „gemeinwohlorientierte“ Stiftung mit dem Kurz-Titel „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ gerät immer stärker in die Kritik. Von „Tarnorganisation“, „Etikettenschwindel“ und „Mogelpackung“ sprechen Umweltverbände und Grüne. Am vergangenen Donnerstag hatte der Landtag der Errichtung zugestimmt, nur einen Tag zuvor hatte die rot-schwarze Landesregierung per Sondersitzung die Stiftung auf den Weg gebracht. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erklärte, über die Stiftungs-Idee sei „transparent“ informiert worden – allerdings fehlte eine vorherige Beratung in den Landtagsausschüssen – auch eine allgemeine Information der Öffentlichkeit erfolgte erst nach dem Kabinettsbeschluss.

Schwesig: Stiftung energiepolitisch notwendig

Schwesig begründete die Stiftung im Landtag und anschließend auf Twitter und Co. mit einer energiepolitischen Notwendigkeit. Das Gas aus der Ostsee-Pipeline sei als „Brückentechnologie“ wichtig, um die Energieversorgung aufrechtzuerhalten, so lange die Energiewende mit Solar- und Windstrom noch nicht geschafft sei. Deshalb müsse auch die Pipeline trotz der US-Sanktionen zu Ende gebaut werden. Sie dürfe keine 11-Milliarden-Euro schwere Investitionsruine „vor der Landesgrenze“ in der Ostsee werden.

Bundesaußenminister distanziert sich

Deutlich auf Distanz ging Bundesaußenminister Heiko Maas – Schwesigs Parteifreund. Mit Blick auf die Stiftung sagte er: „Es ist eine Entscheidung, die in Mecklenburg-Vorpommern getroffen worden ist. Es ist keine Entscheidung der Bundesregierung“. Er setze immer noch darauf, dass es eine gütliche Einigung mit den USA geben werde.

Energieexpertin spricht von „Fake“-Umweltstiftung

Die Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, widerspricht vehement und feuert eine argumentative Breitseite ab: Die Pipeline sei politisch problematisch, energiewirtschaftlich unnötig, teuer und nicht vereinbar mit EU-Energie- und Klimazielen. Alle bisherigen „Brückentechnologien“ hätten sich als Brücken ins Nichts entpuppt. Kemfert schrieb auf Twitter: „Statt Fake-Umweltstiftungen zu gründen, die dem Klimaschutz schaden, sollte man in Mecklenburg-Vorpommern die bisherige Politik des konsequenten Ausbaus der erneuerbaren Energien fortsetzen“. Der Anteil des fossilen Erdgases müsse schlicht sinken.

Grünen-Politiker: Bisherige Gasnetze reichen aus

Ähnlich sieht es der ehemalige Grünen-Politiker Ralf Fücks, jetzt Geschäftsführer der Denkfabrik „Zentrum Liberale Moderne.“ Die Idee des „sauberen russischen Erdgases ist ein Märchen für Dummies“, schrieb er auf Twitter. Es sei schamlos, die Stiftung als einen Beitrag zum Umweltschutz zu verkaufen. Die bestehenden Gasnetze würde für die Energieversorgung vollkommen ausreichen. Schwesig verbünde sich mit Putins Hauskonzern, um die Sanktionen der USA zu umgehen. Es sei das „falsche Signal“ trotz der immer schärferen Repressionen gegen die russische Zivilgesellschaft, des Krieges gegen die Ukraine und der Kumpanei Putins mit den Machthabern in Belarus „immer mehr Gas-Geld in die Kassen des Kreml zu spülen“.

Gegenwind aus den eigenen Reihen

Schwesig bekommt auch Gegenwind aus den eigenen Reihen – und zwar der ganz Jungen in der SPD. Die Jura-Studentin Lilly Blaudszun, im SPD-Landesverband verantwortlich für den Social-Media-Auftritt der Partei, gibt ihrer Landesvorsitzenden und Ministerpräsidentin ungewöhnlich scharf kontra. Mit Blick auf Schwesigs russland-freundliche Töne schrieb sie auf Twitter: „Ein Land, das Oppositionelle vergiften lässt, Homosexuelle verfolgt, rechtsextreme Parteien in Deutschland mitfinanziert und Auftragsmorde in unserer Hauptstadt durchführen lässt, sollte kein Partner sein.“ So deutlich hat sich niemand in der Landes-SPD bisher geäußert – Blaudszun gilt als große Nachwuchshoffnung der Landespartei. Später relativierte sie ihre Kritik an Schwesig und übernahm ihre Argumentation vom Erdgas als „Brückentechnologie“.

Fridays for Future: „Wie ein schlechter Scherz“

Schwesig mobilisiert mit ihrer Stiftungsidee aber auch die Klimaschützer von Fridays for Future (FFF). Es klinge wie ein schlechter Scherz, dass die Landesregierung ausgerechnet mit einer Klimaschutzstiftung den Bau der Erdgas-Pipeline vorantreiben wolle, teilte die Protestbewegung mit. Sie kündigte Demonstrationen vor der SPD-Parteizentrale in Berlin und der Staatskanzlei in Schwerin an. Die Protagonisten der Klimaschützer im Land, Theresia Crone, meint zu Schwesigs Stiftung: „Acht Monate vor der Landtagswahl geht die klimapolitische Glaubwürdigkeit der Regierung gegen null.“ Erdgas sei keine Brückentechnologie, sondern blockiere die schnelle Energiewende. Schwesig war es gelungen, Crone in die Arbeit der Landesregierung einzubinden. Sie ist unter anderem Mitglied in Schwesigs Zukunftsrat. Die Schwerinerin sagte, sie werde ihre Mitarbeit dort fortsetzen. Kritik an Entscheidungen sei das eine, konstruktive Mitarbeit, Dinge zu verbessern, das andere.

Deutsche Umwelthilfe erneuert Kritik an der Stiftung

In der Stiftungsfrage ist jetzt zunächst das Justizministerium am Zug. Als Stiftungsbehörde muss Ministerin Katy Hoffmeister (CDU) die Errichtung der Stiftung genehmigen – sie hat nachher auch die Aufsicht über die ihre Arbeit. Rechtliche Bedenken äußerte die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die ihre Kritik an der Stiftung erneuerte. Die Satzung stehe mit dem Stiftungs- und dem EU-Recht nicht in Einklang. Wann das Justizministerium endgültig grünes Licht für die Stiftung gibt, ist noch unklar.