Nach Urteil zum Haushalt „Es kann noch dramatischer kommen“
21. November 2023Wie geht es weiter nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts? Im Interview mit den tagesthemen warnt Wirtschaftsminister Habeck: Alle Lösungsvorschläge reichen bislang nicht. Die Opposition fordert er zur Zusammenarbeit auf.
tagesthemen: Jeder weitere Tag Verunsicherung für Unternehmen, für die Bürgerinnen und Bürger, schwächt unsere Wirtschaft. Wie schnell können Sie wieder Sicherheit bringen?
Robert Habeck: So schnell, wie es geht. Das Urteil ist vielleicht in der ersten Interpretation nicht vollumfänglich ausgedeutet worden. Es hieß ja, jetzt fehlt dem Klimaschutz Geld. Richtig wäre zu sagen, es fehlt der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Land Geld, um die wirtschaftliche Substanz zu transformieren beziehungsweise Zuschüsse zu gewähren, die weitere Investitionen auslösen. Im Moment ist ein sorgenvolles Abwarten überall im Land zu spüren. Und das ist kein guter Zustand für eine Wirtschaftsnation, die sich ja gerade in einer Schwächephase befindet.
„Die Begründung muss sehr genau gelesen werden“
tagesthemen: Sie sagen, dieses Urteil wird noch gedeutet, aber die Dimension war ja vorher klar. Sie haben schon vor einigen Monaten im Bundestag gesagt, wenn die Klage erfolgreich ist, würde das Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen. Wahrscheinlich so hart, dass wir das nicht bestehen werden. Die Dimension war also klar. Hat man damals nicht daran gedacht, einen Plan B zu erarbeiten?
Habeck: Doch, das hat man. Trotzdem ist das Urteil ja sorgfältig zu lesen und auszudeuten. Das Urteil bezieht sich auf die 60 Milliarden, die von der Corona-Zeit überführt worden sind in den sogenannten Wirtschafts- und Transformationsfonds, der aber in Wahrheit ein Fonds zum Schutz und zur Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaft und Industrie ist. Die Begründung muss sehr genau gelesen werden. Sie ist fundamental, und möglicherweise geht sie auch noch über diese 60 Milliarden hinaus.
tagesthemen: Viele Optionen für eine Lösung gibt es ja aber nicht. Die FDP will keine Steuern erhöhen, die SPD keine Sozialleistungen senken. Die Grünen haben auch ihre roten Linien. Haben Sie vor Augen, wie da ein Weg aussehen könnte?
Habeck: Natürlich haben wir auch eigene Lösungsvorschläge. Aber alle Vorschläge, die im Moment so kursieren – etwa Kürzung der Sozialleistungen – reichen nicht ran an die Größe des Problems. Wenn es bei 60 Milliarden bleibt, dann wäre das schon schlimm genug. Aber es kann noch dramatischer kommen, wenn andere Fonds ebenfalls berührt werden.
„Die deutsche Volkswirtschaft wird schrumpfen“
tagesthemen: Warten Sie ab, bis die ebenfalls gekippt werden durch ein Urteil, oder gehen Sie da proaktiv ran?
Habeck: Die Bundesregierung hat eigene Referate, die sich mit der Finanzverfassung und Urteilen beschäftigen. Am Dienstag ist im Deutschen Bundestag eine Fachanhörung. Die werden wir noch abwarten und dann auch zu Entscheidungen kommen.
tagesthemen: Ist es denkbar, dieses Jahr zu einer Notlage zu erklären und dadurch mehr Schulden aufnehmen zu können?
Habeck: Das kann ich hier nicht abschließend sagen. Ich kann aber aus dem Urteil zitieren, und das sagt, wenn man Gelder in einem Jahr aus einem Sondervermögen verausgabt, dann muss für das Jahr eine Notlage festgestellt werden. Wir haben 2023 aus dem sogenannten Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds Geld ausgegeben. Das ist das Geld, das sehr viele, fast alle Deutschen wahrscheinlich, im letzten Winter entlastet hat von hohen Gas- und Strom- und Fernwärmepreisen.
Nach meiner Lektüre des Urteils muss das mit einer Notlage begründet werden. Ob das aber richtig ist, werden wir im Ausschuss diskutieren und danach dann zu einer Entscheidung kommen. Sie haben zu Recht gesagt, dass die Verunsicherung groß ist. Aber dieses Urteil betrifft nicht irgendwelche scheinbar abstrusen Klimaschutzprojekte, sondern alle werden jetzt schon davon berührt sein. Die deutsche Volkswirtschaft wird durch dieses Urteil schrumpfen, weniger stark wachsen als vorhergesehen. Konjunkturgeld wird dem Land entzogen werden.
Kritik an der Schuldenbremse
tagesthemen: Aber das macht es ja nicht einfacher, sondern im Zweifel noch dramatischer, wenn die gesamte Wirtschaft davon betroffen ist. Andere Optionen, für die Sie beispielsweise eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag bräuchten, halten Sie aber anscheinend eh nicht für realistisch. Sonst hätten Sie den CDU-Chef öffentlich nicht so kritisiert.
Habeck: Nun, ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Art, wie die deutsche Schuldenbremse konstruiert ist, für zu wenig intelligent halte. Sie ist sehr statisch, und sie unterscheidet nicht zwischen Geldern, die wir so ausgeben im Laufe des Jahres, und Investitionen in die Zukunft, die sich erst nach zehn, 20, vielleicht 50 Jahren rechnen. Das scheint mir wenig klug zu sein. Und sie wurde auch gebaut in einer anderen Zeit, als wir immer billiges Gas aus Russland hatten, als China immer unsere Werkbank war oder unser Abnahmemarkt, als die Amerikaner immer verlässliche, treue Freunde waren und uns die militärische Last abgenommen haben, weil es keinen Krieg in Europa gab. Das waren die Voraussetzungen, und die scheinen sich verändert zu haben.
tagesthemen: Die Bürger müssen mehr für Energie zahlen, für Strom und Gas. Womit müssen die Verbraucher da rechnen?
Habeck: Sollte sich das Urteil auch auf den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, also diesen Doppel-Wumms, beziehen, wäre es so, dass der Schutzschirm für die nächsten Winter nicht mehr da ist. Und auch die Netzentgelte, die wir durch diesen Fonds gedeckelt haben, würden dann in voller Last bei den Verbrauchern einschlagen.
Appell an die Union
tagesthemen: Die großen Geldtöpfe sind also erst einmal weg. Welche Grundlage hat die Koalition denn noch?
Habeck: Na, die Grundlage der Koalition ist ja nicht nur auf der finanziellen Wirksamkeit aufgebaut. Für mich als Wirtschaftsminister ist das eine große Herausforderung für das Land. (…) Natürlich hat die Opposition das Recht zu klagen, und das Gericht spricht seine Urteile. Trotzdem ist jetzt die Frage: Hilft man mit, aus dieser schwierigen Lage herauszukommen? Die Lage ist doch so schwierig und für viele auch so bedrohlich, dass ich finde, jetzt sind wir auch gemeinsam gefordert, Lösungen zu finden. Sehr viele CDU-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministerkollegen haben große Sorgen, dass ihre Projekte nicht umsetzbar sind. Das geht weit über die Parteigrenzen hinaus.
„Sorgenvolles Abwarten überall im Land zu spüren“, Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Situation nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts
Dieses Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt. Der Text beruht auf der kompletten Aufzeichnung, die als Video angehängt ist. Die gesendete Fassung wurde aus Zeitgründen gekürzt.