Ein Jahr ohne Hartz IV Hält das Bürgergeld seine Versprechen?
30. Dezember 2023Arbeitsminister Heil plant Sanktionen für Jobverweigerer. Dabei sollte die Einführung des Bürgergelds vor einem Jahr die größte Reform des Sozialstaats seit 20 Jahren sein. Wie viel hat sie überhaupt bewirkt?
Mit 42 Jahren plötzlich wieder Azubi: Für George Farkas ist das seit Oktober Realität. Lange bezog der gebürtige Rumäne Hartz IV, verdiente sich mit Minijobs etwas hinzu. Mit dem Bürgergeld soll das nun anders werden, verspricht die Bundesregierung.
Zwei Jahre bekommt Farkas Zeit für eine Weiterbildung zum Anlagenmechatroniker SHK: Sanitär, Heizung, Klima. Doch der Weg zum Gesellenbrief ist nicht leicht. Der Unterricht bei der Berliner Sanitärinnung beginnt jeden Morgen um 7:30 Uhr, auf Farkas warten viele Prüfungen.
Bürgergeld sorgt nicht für „Weiterbildungs-Boom“
Eine Aussicht, die viele seiner Kunden abschreckt, berichtet Fabian Kinzius, Arbeitsvermittler im Jobcenter Berlin-Charlottenburg, im Podcast von SWR2 Wissen. Auch das neue Weiterbildungsgeld von 150 Euro im Monat ändere daran wenig. „Ich merke, dass die Anreize nicht dazu führen, dass sich das Interesse verdoppelt.“
Das zeigt auch ein Blick in die Statistik der Bundesagentur Arbeit: Die Zahl der beruflichen Weiterbildungen im Rahmen des Bürgergelds nimmt nur langsam zu. Im November 2023 waren es rund 48.000, fast sieben Prozent mehr als ein Jahr davor – bei fast vier Millionen Erwerbsfähigen jedoch eine Minderheit.
Mit der Reform von Hartz IV hin zum Bürgergeld sollte auch ein Kulturwandel in den mehr als 400 Jobcentern einhergehen. Was ist daraus geworden? Auf dem Papier zumindest sind erste Schritte gemacht: Aus der bürokratischen „Eingliederungsvereinbarung“ für Neukunden wurde zum Beispiel ein „Kooperationsplan“.
Sogar die berüchtigten Sanktionen bei Verstößen oder fehlender Mitarbeit wurden neu gelabelt: „Leistungsminderungen“ heißen sie nun und fallen mit zehn Prozent im ersten Schritt geringer aus als bei Hartz IV.
„Bürgergeld ist Hartz IV mit neuem Namen“
Helena Steinhaus kann trotzdem nur bitter darüber lachen. Sie ist Mitgründerin des Vereins „Sanktionsfrei“, der mit Spenden Menschen finanziell unterstützt, denen das Jobcenter Leistungen gekürzt oder nicht bewilligt hat. Ihr Fazit der Reform: „Bürgergeld ist Hartz IV mit einem neuen Namen. Es behandelt die Menschen nicht mit Respekt.“ Denn die kämen weiterhin kaum über die Runden, obwohl die Regelsätze Anfang 2024 erneut angehoben werden, auf dann 563 Euro im Monat für Alleinstehende.
Doch die Erhöhung ist politisch wie gesellschaftlich umstritten. Arbeiten gehen lohne sich durch das Bürgergeld kaum noch, behauptet CDU-Politiker Jens Spahn: „Weil man eben ohne Arbeit, wenn neben dem Bürgergeld noch die Wohnzuschüsse, Heizkostenzuschüsse dazu kommen, im Zweifel genauso viel oder nicht viel weniger hat, als wenn man eine Arbeit aufnähme.“
Lohnt sich Arbeiten noch?
Dieser Rechnung widerspricht Professorin Bettina Kohlrausch. Sie leitet das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Dort habe man festgestellt: „Menschen, die arbeiten, haben immer mehr Geld. Insofern ist die Debatte für mich nicht nachvollziehbar. Auch, weil wir empirisch sehen, dass die Menschen viel ziehen aus der Arbeit.“
Letzteres hänge jedoch auch von den Arbeitsbedingungen ab, räumt Kohlrausch ein. Vereinzelt berichteten Unternehmen zuletzt sogar davon, dass Angestellte gekündigt hätten, um stattdessen Bürgergeld zu beziehen. Verfehlt die Reform also gleich mehrfach ihr Ziel?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil weist das zurück. „Das Bürgergeld ist eine Grundsicherung, nicht mehr und nicht weniger“, betont der SPD-Politiker im Interview mit dem SWR. „Arbeit muss jedoch immer einen Unterschied machen. Deshalb haben wir zum Beispiel dafür gesorgt, dass der Mindestlohn gestiegen ist.“
Kosten für Bürgergeld sollen sinken
Damit aber dürften die Auseinandersetzungen um das Bürgergeld längst nicht beendet sein, wie auch die Debatte um den neuen Haushalt der Bundesregierung für 2024 gezeigt hat. Um die Kosten von möglicherweise mehr als 27 Milliarden Euro für das Bürgergeld zu senken, sollen die Jobcenter nun zunächst 200.000 Geflüchtete aus der Ukraine gezielt in Jobs vermitteln.
Ob auch George Farkas bald wieder einen festen Job hat, hängt nicht zuletzt von ihm selbst ab. Zurzeit machte ihm bei seiner Weiterbildung zum Anlagenmechatroniker vor allem die Mathematik Probleme. „Aber ich muss kämpfen“, sagt er. Es sei seine Zukunft.