Deutsche Konjunktur Was Proteste und Streiks für die Wirtschaft bedeuten
10. Januar 2024Bauern blockieren in Städten den Verkehr, der Bahnstreik behindert die Logistikketten: Welche Folgen haben Proteste und harte Tarif-Auseinandersetzungen für die deutsche Wirtschaft?
Die erste Protest- und Streikwoche im Januar ist möglicherweise nur der Auftakt – Tarifverhandlungen sind in verschiedenen Branchen in einem Stadium, in dem die Gewerkschaften mit Arbeitskampf drohen. Dazu kommt noch der Streit über die Kürzung von Subventionen.
Es sei eine schwierige Lage, vor der Deutschland hier stehe, sagt Karsten Junius, Chefvolkswirt beim Bankhaus Safra Sarasin. Streiks und Proteste kämen aus wirtschaftlicher Sicht zur Unzeit. „Wir müssen damit rechnen, dass sich die deutsche Wirtschaft, die sich sowieso schon in einer Rezession befindet und weiter mit hohen Zinsen zu kämpfen hat, in den kommenden Wochen und Monaten nicht deutlich erholen wird“, so der Ökonom.
„Wir brauchen höhere Lohnabschlüsse“
Unberechtigt sind die Forderungen der Gewerkschaften allerdings aus Sicht von Volkswirten nicht. Die hohen Energiekosten und die gestiegenen Preise betreffen nicht nur die Unternehmen selbst – sondern auch ihre Mitarbeitenden. Und diese bräuchten langsam schlicht mehr Geld im Portemonnaie, meint Chefvolkswirt Carsten Brzeski von der ING, denn die realen Einkommen seien zuletzt geschrumpft. „Es sollte jetzt endlich mal mehr sein als die Inflationsrate“, sagt er mit Blick auf die Lohnabschlüsse.
Im Jahr 2023 hätten die wenigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Teuerungsrate von sechs Prozent unter dem Strich ein reales Plus gesehen haben, so Brzeski. „Wir haben einen schwachen privaten Konsum in Deutschland, das heißt, wir brauchen höhere Lohnabschlüsse.“
Der Verteilungsspielraum wird kleiner
Normalerweise gehören Streiks zum wirtschaftlichen Alltag dazu und sind grundsätzlich kein Problem – wenn es nicht eben über Wochen zu einem Stillstand kommt. Was den Ökonominnen und Ökonomen allerdings Sorgen macht, ist die Art und Weise – und die Kompromisslosigkeit, mit der Forderungen vorgebracht werden.
Gerade der Staat sei in der Bredouille, so die Experten. So hätten die Krisen in den vergangenen Jahren Unsummen an Geld verschlungen. „Irgendwann müssen wir als Volkswirtschaft realisieren, dass wir aufgrund der Pandemie, der höheren Energiepreise und der veränderten Sicherheitslage nicht mehr den Verteilungsspielraum haben, den wir noch vor Jahren hatten“, sagt Volkswirt Junius.
Der Ton ist rauer geworden
Dazu kommt der neuerdings sehr raue Ton: die Blockade von Autobahnen und Verkehrsknotenpunkten, um Forderungen durchzusetzen – Handgreiflichkeiten eingeschlossen. Das sei neu in Deutschland und nicht gut, meint auch ING-Volkswirt Brzeski: „Ich kann nur hoffen, dass wir nicht die französischen Zustände bei der Aggressivität von solchen Streiks bekommen. Denn das sendet ein verkehrtes Bild nach außen.“ In der Sache könne zwar hart verhandelt werden, der Ton müsse aber normal bleiben.
Junius bekommt viel mit, wie man im Ausland auf Deutschland schaut. Die Bank, für die er arbeitet, hat ihren Sitz in der Schweiz. Dort „reiben sich die Investoren und Banker verwundert die Augen, wie beim großen Nachbar im Norden plötzlich miteinander umgegangen wird“, berichtet er. Das sei eine Art und Weise, die man von der größten Volkswirtschaft im Euroraum schlicht nicht gewohnt sei.