„reportage“ Bauernprotest in Dresden Kretschmers Gratwanderung
10. Januar 2024Sachsens CDU-Regierungschef Kretschmer kommen die Bauernproteste gerade recht. Bei einer Demonstration in Dresden eint ihn und mehrere Tausend Teilnehmer der Unmut auf die Ampel. Die extreme Rechte bleibt außen vor.
Es sollte eine Kraftprobe mit Berlin werden. Aber dann ging es Michael Kretschmer selbst an den Kragen. „Ziehen Sie Ihre grüne Jacke aus“, rief ihm ein Bauernvertreter auf der Bühne zu. Kretschmer, bei Null Grad ohne Mütze unterwegs, behielt den dünnen Stoff an. Die Farben Grün und Weiß stünden für den Freistaat Sachsen, wehrte sich der CDU-Politiker.
Für Sachsens Ministerpräsident war der Auftritt bei der Demo von Landwirten am Mittwoch in Dresden eine Gratwanderung. Einerseits koaliert er selbst mit SPD und Grünen. Andererseits gibt ihm die von Berufsverbänden getragene Bewegung die Chance, seine Fundamentalkritik an der Ampel endlich auch auf die Straße zu tragen. Außer Bayerns Freie Wähler-Chef und Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger hat sich seit Dezember kaum ein Entscheidungsträger so vehement hinter die Proteste gestellt.
In der Folge durfte Kretschmer als einziger Politiker zu den mehreren Tausend Menschen und Dutzenden Traktoren vor der Semperoper reden. Die wollen nicht nur die vollständige Rücknahme aller Kürzungen, sondern mehr. Landesbauernpräsident Torsten Krawczyk hatte im Vorfeld gesagt, es gehe darum, dem Ministerpräsidenten ein „starkes Mandat“ zu geben, damit dieser in Berlin für eine „andere Wirtschaftspolitik“ streiten könne.
In seiner Rede forderte Kretschmer einen Politikwechsel von der Ampel. Die Bundesregierung müsse erkennen, dass sie die „eigentlichen Falschfahrer“ seien. Es brauche „mehr Freiheit“ und weniger Auflagen für die Landwirte, aber auch Änderungen in der Sozial-, Migrations- und Energiepolitik. „Die Regierung in Berlin muss das Land wieder zusammenführen“, so Kretschmer. Er und andere Ministerpräsidenten stünden als Vermittler bereit.
Tausende demonstrierten auch heute in Dresden.
Auch Kritik an Landesregierung
Die Reaktionen auf seine Rede waren allerdings verhalten. Denn Kretschmer steht selbst unter Druck. Unter der Ägide seines grünen Landwirtschaftsminister Wolfram Günther kam es kürzlich zu einem Unding. Aufgrund eines Softwarefehlers konnten wichtige EU-Prämien nicht fristgerecht zum Jahresende an Sachsens Landwirte ausgezahlt werden.
Der sächsische Bauernverband will solange nicht mit Günther reden, bis das Geld da ist. Das soll erst Ende Februar der Fall sein. Marc Bernhardt vom Verein „Land schafft Verbindung“ ging noch weiter und forderte Günthers Rücktritt von Kretschmer. Der ließ das unkommentiert, entschuldigte sich aber nicht zum ersten Mal für den Fehler. Bis zur Landtagswahl im September dürfte Kretschmer hart um den Rückhalt der Landwirte, sonst ein CDU-Kernklientel, ringen müssen.
Wolfram Günther selbst gab Journalisten am Rande der Demo Interviews. Er war ein Gegner der ursprünglichen Kürzungspläne der Ampel und sagt jetzt, dass diese „keine klimapolitische Entscheidung“ gewesen seien. Er wolle sich dafür einsetzen, dass Bauern ein besseres Einkommen hätten. Das Gespräch mit den Bauern suchte der grüne Minister am Theaterplatz nur vereinzelt.
Versuchte Instrumentalisierung der Proteste
Die Demonstration stand im Vorfeld unter besonderer Beobachtung, da in Dresden erst am Montag die rechtsextremen „Freien Sachsen“ die Bauernproteste für ihre Zwecke instrumentalisiert hatten. Die vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtete Gruppe hatte eine Demo mit mehreren Tausend Menschen und anderen Rechtsextremen, aber kaum Landwirten abgehalten. Beim „Tag des Widerstands“ durchbrachen Teilnehmer Polizeiketten.
Auf der Demo am Mittwoch wurden die Freien Sachsen ausgeschlossen, sie mussten auf den Rand des Platzes ausweichen. Zwischenfälle blieben aus. Die Bauern hatten sich zudem Auflagen erteilt. Galgen und rechtsextreme Symbole waren untersagt. Landwirte mit solchen Zeichen kamen zwar dennoch, durften mit ihren Traktoren aber nicht auf den Theaterplatz.
Breite politische Forderungen
Michael Kretschmer lobte die Anwesenden als „anständige Menschen“. Mehrere Redner distanzierten sich in ihren Reden von Rechtsextremismus. Politisch einte sie allerdings nur die Kritik an der Bundesregierung.
Ein Vertreter des Baugewerbes forderte die Rücknahme des Heizungsgesetztes und Neuwahlen. Eine Landwirtin aus der ökosozialen Landwirtschaft sprach wiederum von den Folgen des Klimawandels und rief danach, die Vorschläge der Borchert-Kommission für die Nutztierhaltung endlich umzusetzen.
Eine Ausnahme stellte eine Rednerin dar, die der Bundesregierung „Insolvenzverschleppung“ vorwarf und sie in der Nähe von Straftätern und Verfassungsfeinden rückte. Die Unternehmerin, die nach eigenen Angaben erstmals auf einer Demo sprach, erhielt viel Zuspruch und durfte ausreden.