„analyse“ Aktuelle Stunde zu Rechtsextremismus Parteipolitik statt Schulterschluss

„analyse“ Aktuelle Stunde zu Rechtsextremismus Parteipolitik statt Schulterschluss

18. Januar 2024 Aus Von mvp-web

Stand: 18.01.2024 19:09 Uhr

Das vor einer Woche bekannt gewordene Treffen radikaler Rechter war Thema im Bundestag. Vertreter von Ampel und Union gingen mit der AfD hart ins Gericht. Eine Sternstunde des Parlaments war die Sitzung aber nicht.

Georg Schwarte
Eine Analyse von Georg Schwarte, ARD Berlin

Da steht der stellvertretende SPD-Fraktionschef Dirk Wiese am Rednerpult und wendet sich an die erstaunt guckenden AfD-Abgeordneten im Saal. „Ich möchte der AfD Danke sagen“, erklärt Wiese. Weil die AfDler mit ihrer Teilnahme an dem Geheimtreffen in Potsdam den Vorhang auf den braunen Sumpf hier auf der rechten Seite geöffnet hätten. Beifall von allen anderen Fraktionen. Gejohle und Gefeixe bei der AfD.

Es ging heute hoch her im Plenarsaal des Bundestages bei der aktuellen Stunde. Der Anlass: Das sogenannte Geheimtreffen in Potsdam im November. Bei dem Treffen diskutierten Rechtsextreme mit AfD-Politikern und Mitgliedern der Werteunion einen Masterplan zur sogenannten Remigration. Gemeint ist die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland, darunter Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht, „nicht assimilierte Staatsbürger“ oder auch Flüchtlingshelfer. Das Medienhaus Correctiv hatte darüber berichtet. Zehntausende Menschen gingen seither auf die Straßen, demonstrierten für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.

AfD-Geschäftsführer Bernd Baumann hält all das unter dem Beifall der AfD-Abgeordneten dagegen für eine „hinterhältige Kampagne von Politikern und Journalisten der abgewirtschafteten linksgrünen Klasse.“ Baumann dreht die Sache um: Die miesen Umfragewerte der Ampel und die teilweise rasant steigende Zustimmung für seine Partei seien der Grund, seine AfD zu diffamieren. „Panik macht sich breit. Man kann Ihre Angst geradezu riechen“, höhnt er Richtung Ampel und Union.

Keine Sternstunde

Es war keine Sternstunde des Parlamentarismus, diese von der Ampel beantragte aktuelle Stunde namens „Aussprache zum Thema Demokratiefeinde und Vertreibungspläne“. Den Anfang machte ein sicht- und hörbar betroffener SPD-Chef Lars Klingbeil. Der hatte gerade erst die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel eine „Rechtsextreme“ genannt. Die Verantwortung in einer rechtsextremen Partei trage.

Heute im Bundestag wendet sich Klingbeil dann an die deutsche Bevölkerung und sagt: „Die AfD will Millionen Menschen aus der Mitte Deutschlands vertreiben, weil sie ihnen nicht weiß genug sind, weil sie nicht ihrem völkischen Weltbild entsprechen.“ Und dann versucht Klingbeil den Schulterschluss aller Demokraten im Bundestag: „Wir sagen all jenen Menschen, die sich von der AfD bedroht fühlen: Wir passen auf Euch. Ihr seid ein Teil dieses Landes.“

Beifall für dieses Versprechen von allen Fraktionen jenseits der AfD. Doch der demokratische Schulterschluss bröckelt schnell. Spätestens, als der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, ans Pult tritt. Auch der Christdemokrat verurteilt natürlich das Geheimtreffen, die Abschiebungspläne, das rechte Gedankengut. Bei der Frage, warum die AfD so starken Zulauf hat, klingt aber bereits der Parteipolitiker Frei durch. „80 Prozent der Menschen im Land glauben, dass diese Ampel-Regierung keine gute Politik für das Land macht.“ Jetzt klatschen Union und vereinzelt AfD-Abgeordnete. Bei Grünen, FDP und SPD rührt sich keine Hand mehr.

„Diese Demokratie weiß sich zu wehren“

Verstörte Blicke, als der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann der Ampel entgegenhält, sie treibe durch ihre Politik die Menschen in Scharen in die Arme der AfD. Dabei hatten zuvor viele entsetzt den Worten des AfD-Politikers Baumann gelauscht. „Der Wind dreht sich“, hatte er mit Blick auf die Umfragen im Land in den Saal gerufen. Für Deutschland komme etwas Neues. Für Deutschland komme die AfD.

Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin, schüttelt da den Kopf und fühlt sich von den Geheimplänen zur „Remigration“ an Rassengesetze und Wannseekonferenz erinnert. „Die AfD will, dass Abstammung und Herkunft darüber entscheiden, wer zu Deutschland gehört und wer nicht.“ Faeser kündigt Widerstand an, ruft unter dem Beifall der Ampel: „Das werden wir nicht zulassen. Diese Demokratie weiß sich zu wehren.“

Die AfD sieht sich – erneut – als Opfer

Die Co-Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, hatte erst am Dienstag versucht, dem Potsdamer Geheimtreffen die Brisanz zu nehmen. Eine private Zusammenkunft sei das gewesen. Der AfDler Baumann wird später von einem „Debattierclub“ sprechen. Die AfD sieht sich – erneut – als Opfer. Privater Meinungsaustausch werde kriminalisiert, die Opposition diffamiert. So sieht Weidel die Dinge.

Faeser kontert und ruft mit Blick auf den angeblichen privaten Meinungsaustausch gleichgesinnter Rechter: „Nichts davon ist harmlos. Nichts davon ist bürgerlich. Nichts davon dürfen wir dulden.“

Britta Haßelmann, die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, geht noch weiter. Der AfD hält sie entgegen, sie sei vielleicht demokratisch gewählt, aber sie seien keine Demokraten. „Sie sind Faschisten“, ruft sie Richtung einer da überwiegend lachenden AfD-Fraktion. Die erneut vereinzelt klatscht, als der CDU-Abgeordnete Amthor der Ampel vorwirft, jede Kritik an ihrer Politik als rechtsextrem abzustempeln. „Es kann nicht sein, dass Kritik an der Migrationspolitik in rechtsradikal, demokratiefeindlich und rassistisch umgedeutet wird.“ Damit, so Amthor, betreibe die Ampel das Geschäft der Feinde der Demokratie. Um die sollte es bei der aktuellen Stunde ja eigentlich gehen.

Tausende auf den Straßen, Debatte ohne Kanzler

Und gegen die gehen seit Tagen Tausende Menschen auf die Straßen. „Am Freitag geht es weiter“, kündigt Familienministerin Lisa Paus an. In Frankfurt am Main, Erfurt, in Braunschweig, Demos in Dortmund, in Hamburg. Immer mehr Vereine und Bewegungen rufen zum Widerstand gegen Rechts auf. „Keinen Zentimeter den Nazis und den Demokratiefeinden“, sagt die grüne Ministerin Paus im Bundestag.

Er sei dankbar, dass Zehntausende überall in Deutschland auf die Straße gehen, gegen Rassismus, Hetze und für unsere freiheitliche Demokratie, hatte Kanzler Olaf Scholz gerade erst über die sozialen Medien verbreiten lassen. In der aktuellen Stunde zum Thema „Demokratiefeinde und Vertreibungspläne“ aber blieb der Platz des Kanzlers auf der Regierungsbank am Donnerstag leer.