Halbzeit für Rot-Rot in MV: Wirtschaft sieht noch „Luft nach oben“

Halbzeit für Rot-Rot in MV: Wirtschaft sieht noch „Luft nach oben“

19. März 2024 Aus Von mvp-web
Stand: 19.03.2024 10:24 Uhr

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und ihre Stellvertreterin Simone Oldenburg (Die Linke) wollen heute eine Halbzeitbilanz ihrer Arbeit ziehen. Schon im Vorfeld äußert die Wirtschaft Kritik an der Regierung, die Gewerkschaften sehen mehr Licht als Schatten und eine Expertin meint, die Landesregierung handle widersprüchlich.

von Michael Klingemann

Halbzeit. Im Fußball ist zu diesem Zeitpunkt meist noch nichts entschieden. Denn es bleibt noch mal die gleiche Zeit, um noch viel zu erreichen. Bleibt man bei der Analogie zum Fußball, dann hat die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns die Gunst einiger Zuschauer verspielt. Viele Wählerinnen und Wähler halten jetzt zu anderen, trotz des einen oder anderen erzielten Tores, aber auch kassierter Rückschläge. Wie steht es um Rot-Rot nach zweieinhalb Jahren?

Unternehmer kritisieren zusätzlichen Feiertag

„Rot-Rot kann Wirtschaft, Bildung, Soziales und Tourismus“, erklärt Simone Oldenburg im November 2021 selbstbewusst. Der rot-rote Koalitionsvertrag ist überschrieben mit „Aufbruch 2030 – für ein wirtschaftlich starkes, sozial gerechtes und nachhaltiges Mecklenburg-Vorpommern“. Zu Beginn hat die Koalition mit großen Herausforderungen zu tun: Corona, Werftenpleite, die Folgen des Krieges in der Ukraine und eine Energiekrise. In dieser Zeit habe man verlässlich und stabil regiert, bilanziert Manuela Schwesig nach einem Jahr im November 2022. Seitdem sind anderthalb Jahre vergangen. Zeit, in der die Wirtschaft belastet und nicht entlastet worden sei, sagt Sven Müller, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände MV. Er meint damit unter anderem die Einführung eines neuen Feiertages. Der 8. März, der internationale Frauentag, bringe für die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern 50 bis 60 Millionen Euro Umsatzverlust mit sich. Hier bleibe die Landesregierung eine Entlastung der Wirtschaft schuldig.

Halbzeit für Rot-Rot in Mecklenburg-Vorpommern: Stimmen zur Zwischenbilanz

Belastung durch Bürokratie

Auch das Tariftreuegesetz belaste die Unternehmen im Land, so Müller. Das Gesetz war eines der wichtigsten Vorhaben der Landesregierung und ist im Januar in Kraft getreten. Öffentliche Aufträge von Land und Kommunen gehen nur noch an Betriebe, die ihren Beschäftigten Tariflöhne oder – wenn die nicht vorliegen – tarifähnliche Bezahlung garantieren. Darin sieht Müller vor allem einen großen bürokratischen Aufwand für Unternehmen, die sich an Ausschreibungen beteiligen. Sie müssten mehr Nachweise erbringen und mehr dokumentieren. Deshalb würden sich kleinere Betriebe weniger an Ausschreibungen beteiligen. Zumindest beim Bürokratieabbau allgemein hoffen die Unternehmen auf Besserung. Im April will sich das sogenannte Zukunftsbündnis mit Vorschlägen zur Entbürokratisierung der einzelnen Ministerien beschäftigen. „Es lässt sich feststellen, dass noch einiges an Luft nach oben ist“, bilanziert Müller nach zweieinhalb Jahren Rot-Rot im Gespräch mit dem NDR.

Mehr Licht als Schatten

Wo die Wirtschaft Belastungen sieht, sehen die Gewerkschaften Erfolge. Nach Ansicht von Ingo Schlüter, dem Vize-Vorsitzenden des DGB Nord, hat die Landesregierung bisher überwiegend gute Arbeit geleistet. Er lobt das Tariftreuegesetz und die Einführung des Internationalen Frauentages als gesetzlichen Feiertag. Schlüter kritisiert allerdings das Agieren der Landesregierung beim Historisch-Technischen Museum in Peenemünde: „Dort mussten die Beschäftigten erst gehörig Druck machen, bevor das Land einen Tarifvertrag mit ver.di abgeschlossen hat“.

Enttäuscht vom Tourismusbeauftragten

Den Tourismus stärken, gemeinsam mit der Branche und den Verbänden weiterentwickeln – so hat es Rot-Rot in den Koalitionsvertrag geschrieben. Gemeint hat die Landesregierung damit unter anderem die Einsetzung eines Tourismusbeauftragen. Relativ schnell, nachdem die Koalition angefangen hat zu arbeiten, benennt sie Tobias Woitendorf, den Geschäftsführer des Tourismusverbandes, für diesen Posten. Ausgerechnet in dieser Wahl sieht der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Lars Schwarz, einen Fehler. Die Ergebnisse seien recht überschaubar. Jemanden von einem unabhängigen Verband zu nehmen und ihn auf die Bezahlliste des Ministeriums zu setzen, habe dem Tourismus eher geschadet, weil ein unabhängiger Player verloren gegangen sei. Schwarz geht mit Woitendorf hart ins Gericht: Woitendorf verstehe seine eigene Rolle nicht. Statt Marketing nach außen zu machen, erhebe er den Zeigefinger und weise darauf hin, was alles schlecht sei.

Lob für Einsatz gegen Mehrwertsteuererhöhung

Lob hat der Dehoga-Chef für Ministerpräsidentin Schwesig allerdings für den Umgang in der Diskussion um die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 7 auf 19 Prozent. Sie stehe an der Seite der Gastronomen und habe mit einem Landtagsbeschluss und im Bundesrat gezeigt, dass das ernst gemeint sei – auch wenn die Erhöhung am Ende doch gekommen ist. Die ebenfalls im Koalitionsvertrag aufgeführten Pläne für ein Tourismusgesetz und eine Tourismusakademie bewertet Schwarz kritisch. Das Tourismusgesetz soll neben der Kur- und Fremdenverkehrsabgabe auch eine Gästekarte ermöglichen, damit Geld für den Ausbau des Tourismus erwirtschaftet werden kann. Auch Unternehmen der Branche sollen sich am Tourismusausbau beteiligen. „Da ist man kometenhaft gestartet, aber relativ schnell auf dem Boden der Tatsachen angekommen“, sagt Schwarz zum NDR. Das Gesetz diene eher der Finanzierung der Strukturen der Tourismusverbände und entspreche nicht den Erwartungen der Wirtschaft.

Höhere Mehrwertsteuer in Gastronomie wird „fatale Auswirkungen haben“

Mecklenburg-Vorpommerns Dehoga-Präsident Lars Schwarz kann die von der Bundesregierung gefällte Entscheidung nicht nachvollziehen.

Immer noch zu wenig Lehrkräfte

Die Erwartungen an Simone Oldenburg in ihrer Rolle als Bildungsministerin in der Koalition sind seit dem ersten Tag groß. Als Lehrerin war sie in der Opposition eine der größten Kritikerinnen der Bildungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt hat auch sie mit einem Mangel von Lehrkräften, Unterrichtsausfall und maroden Schulgebäuden zu kämpfen. Bis 2030 gehen 7.000 Lehrerinnen und Lehrer in den Ruhestand. Ihre Stellen sollen neu besetzt werden. Oldenburg erwägt unter anderem, Lehrerinnen und Lehrer, die momentan im Ministerium eingesetzt sind, wieder in den Schuldienst zu schicken. Auch die Qualität der Lehre soll sich verbessern. Nachdem bei der Pisa-Studie deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht abgeschnitten haben wie nie zuvor, ändert Oldenburg die sogenannten Stundentafeln. Künftig gibt es unter anderem mehr Unterricht in den Kernfächern Deutsch und Mathe, sowie in einer Fremdsprache. Der Vorsitzende des Landeselternrates Kay Czerwinski sieht das als ersten Anfang. Er wünscht sich von der Landesregierung aber auch kleinere Klassen, weniger Bürokratie und dass auch auf dem Land Schulen saniert und gebaut werden. Es brauche einen Schulbauplan, sagte er bei NDR MV Live.

Klimaschutzpolitik sehr widersprüchlich“

Die rot-rote Koalition will Mecklenburg-Vorpommern zu einem der führenden Standorte für klimaneutrales Wirtschaften machen. Außerdem soll das Land bis 2040 klimaneutral sein. So haben es SPD und Linke in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Doch das Klimaschutzgesetz des Landes verzögert sich weiter. Anders als von Klimaschutzminister Till Backhaus (SPD) angekündigt, hat es das Gesetz im vergangenen Jahr nicht zur Abstimmung in den Landtag geschafft. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW sieht in Sachen Klimaschutz für das Land noch Nachholbedarf: „Zur Erreichung von Klimaschutzzielen sind Sektorziele zur Emissionsminderung und die Etablierung eines CO2-Budgets elementar. Beides fehlt in Mecklenburg-Vorpommern.“ Sie findet die Klimaschutzpolitik des Landes widersprüchlich. Auf der einen Seite gebe sich das Land ambitionierte Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Wiedervernässung von Mooren, auf der anderen Seite widerspreche der „unnötige“ Ausbau von weiteren Flüssiggas-Terminals, wie auf Rügen, den Nachhaltigkeits- und Klimazielen.

AfD überholt SPD

Bei der Landtagswahl 2021 hat sich Ministerpräsidentin Schwesig nicht nur über 39,6 Prozent für ihre SPD gefreut, sondern auch über hervorragende Zufriedenheitswerte für die Arbeit der Landesregierung. 60 Prozent der Befragten gaben 2021 an, sie seien zufrieden, heute sind es laut einer Forsa-Umfrage vom Januar 2024 nur noch 32 Prozent. In der Sonntagsfrage zieht die AfD mit 31 Prozent an der SPD vorbei. Nur noch 21 Prozent der Befragten geben an, die SPD zu wählen, wenn am kommenden Sonntag Landtagswahl wäre. Die Linke verliert dagegen nur leicht von 9,9 auf 8 Prozent.

Die zweite Halbzeit beginnt jetzt. Schwesig und Oldenburg werden heute nicht nur zurückblicken, sondern auch erläutern, wo sie ihre Schwerpunkte für die nächsten zweieinhalb Jahre setzen werden, was aus dem Koalitionsvertrag noch umgesetzt werden soll. Und sie werden hoffen, so Anhänger zurückzugewinnen.