Studie des ifo-Instituts Wenn sich Mehrarbeit nicht lohnt
19. März 2024In der Diskussion über das Bürgergeld wird immer wieder die Frage gestellt, ob sich Arbeit lohnt. Ökonomen sagen: Es gibt tatsächlich Situationen, in denen Sozialleistungen Mehrarbeit unattraktiv machen.
Seit der Ablösung von Hartz IV wird vehement darüber diskutiert, welche Folgen das neue Bürgergeld für die Aufnahme von Arbeit hat. Die CDU beispielsweise hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs das Bürgergeld-System zu korrigieren, insbesondere durch härtere Sanktionen gegenüber diejenigen, die sich weigern, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.
Doch es gibt eine Diskussion, die grundsätzlicher ist – und nicht nur auf das Bürgergeld zielt. Es geht um die Frage, welche Folgen die Kombination verschiedener Sozialleistungen hat, die bei steigendem Einkommen der Bezieher unterschiedlich stark zurückgefahren werden.
Regeln sind schlecht abgestimmt
Die Antwort auf die Frage gibt ein Gutachten unter Federführung des Münchner ifo-Instituts, an dem auch der Berliner Ökonom Ronnie Schöb mitgearbeitet hat. Das Ergebnis: Wer arbeitet, hat zwar mehr als derjenige, der nicht arbeitet. Doch: „Mehr Arbeit lohnt sich nicht unbedingt gegenüber weniger Arbeit“, sagt Schöb.
Das lässt sich zum Beispiel bei den sogenannten Aufstockern zeigen: Menschen, die zwar erwerbstätig sind, aber wegen der Höhe des Einkommens und der persönlichen Lebensumstände trotzdem Bürgergeld oder Wohngeld und – als Eltern – gegebenenfalls auch Kinderzuschlag bekommen.
Die Leistungen werden nicht nur von unterschiedlichen Behörden gewährt, sondern haben auch Regeln, die schlecht aufeinander abgestimmt sind, sagt Schöb. Die Folge: Es kann passieren, dass ein höherer Verdienst durch den Verlust staatlicher Unterstützung vollständig aufgefressen wird. Ökonomen sprechen in diesem Fall von einer „Transferentzugsrate“ von 100 Prozent.
Grundproblem sind die hohen Abzüge
So extrem sind die Abzüge nur in bestimmten Familiensituationen und an Orten mit sehr hohen Mieten, wie die Studie zeigt, die im Auftrag des SPD-geführten Bundesarbeitsministeriums erstellt wurde. Doch das Grundproblem hoher Abzüge gibt es überall. Mit fatalen Folgen, erklärt Schöb: „Warum sollte jemand mehr arbeiten, wenn dabei netto nichts oder nur wenig rüberkommt?“
Bei Lohnerhöhungen könne man den Leuten in manchen Einkommensbereichen nur empfehlen, weniger zu arbeiten: „Dann kann es sein, dass man unterm Strich sogar mehr an Geld herausbekommt – zusätzlich zu der Freizeit oder der Zeit, die man für die Familie hat.“
Arbeitsstunden fehlen auf dem Arbeitsmarkt
Arbeitgeber berichten genau dies: Mitarbeiter würden auf eine Lohnerhöhung mit der Reduzierung von Arbeitszeit reagieren. Obwohl gesellschaftlich genau das Gegenteil wichtig wäre, wie Pascal Kober betont, der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Als Beispiel verweist Kober auf eine Alleinerziehende, die aktuell 1.000 Euro verdient und sich überlegt, 50 Prozent mehr zu arbeiten. Wegen der Abzüge bei den Sozialleistungen würden von den zusätzlichen verdienten 500 Euro aber nur 84 Euro übrigbleiben. „Wenn sich die Alleinerziehende genau in dem Einkommensbereich befindet, in dem es sich für sie nicht lohnt, ihre Arbeit auszuweiten, fehlen diese Arbeitsstunden auf dem Arbeitsmarkt.“ Das sei fatal angesichts des bekannten Mangels an Arbeits- und Fachkräften.
Vor allem aber gehe es um eine Gerechtigkeitsfrage, betont Kober – in Übereinstimmung mit der SPD-Sozialpolitikerin Annika Klose: „Ich kann gut verstehen, dass das auch ans Gerechtigkeitsempfinden stößt, wenn die Menschen sagen: Ich arbeite hier jetzt mehr Stunden – warum soll ich nicht mehr auf dem Konto haben am Ende?“
Eine Reform dürfte sich auszahlen
Wirtschaftswissenschaftler schlagen vor diesem Hintergrund vor, Sozialleistungen länger zu zahlen, so dass von jedem zusätzlich verdienten Euro mindestens 30 Cent bleiben – analog zu einer Regel, die aktuell für zusätzliche Einkommen zwischen 520 bis 1.000 Euro gilt. Das würde nur auf den ersten Blick zu höheren Sozialausgaben führen, sagt Schöb von der Freien Universität Berlin.
Unterm Strich zahle sich eine solche Reform für den Staat aus: „Wenn wir Anreize schaffen, dass Menschen wieder mehr arbeiten, bedeutet das, dass sie höhere Sozialversicherungsabgaben zahlen, dass sie Lohnsteuer bezahlen und dass eben die Fürsorgeleistungen im Rahmen der Grundsicherung auch weniger werden.“
FDP drängt auf Konsequenzen
Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium zögert jedoch mit einer Bewertung der Ergebnisse des von ihm selbst in Auftrag gegebenen Gutachtens. Auf Anfrage teilt das Ministerium mit: „Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize liegen der Bundesregierung vor und werden derzeit im Ressortkreis weiter ausgewertet und beraten.“
FDP-Politiker Kober aber drängt auf Konsequenzen: Man müsse in der SPD vielleicht noch den einen oder anderen überzeugen. „Aber das Credo, Leistung muss sich lohnen, sollte eigentlich auch in der SPD Widerhall finden.“
Kobers Parlamentskollegin Annika Klose von der SPD will sich jedenfalls für eine Reform der Sozialleistungen einsetzen, bei der die Wirkungen von Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag beziehungsweise der geplanten Kindergrundsicherung in den Blick genommen werden. Man müsse schauen, dass man am Ende keine neuen Ungleichheiten im System schaffe, sagt die Sozialpolitikerin: „Aber daran zu arbeiten, dass sich Arbeiten lohnt, ist auf jeden Fall der Weg, den ich unterstütze.“