Forscher finden Schlüssel zu schwerem Covid-19-Verlauf – das könnte Therapie ändern
24. Mai 2020Forscher haben herausgefunden, dass Sars-CoV-2 neben der Lunge vor allem die Blutgefäße befällt – und dadurch gefährliche Entzündungsreaktionen im Körper in Gang setzt. Die Erkenntnis könnte die Behandlung von Corona-Symptomen verändern.
Sars-Cov-2 „befällt im Gegensatz zu den Grippeviren vornehmlich Blutgefäßstrukturen (Endothelzellen) und führt zu einer gesteigerten Entzündungsreaktion, vergleichbar mit einer Abstoßungsreaktion nach einer Organtransplantation“, fasst das Forscherteam einer internationalen Studie der Unikliniken Wuppertal, Harvard, Basel, Leuven und Hannover ihre Ergebnisse zusammen. Die Wissenschaftler veröffentlichten sie am Freitag in der renommierten Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“.
Damit konnte das Team „erstmals die ausgeprägten und großflächigen Schädigungen der Blutgefäße zeigen, die die Blutzufuhr zu den Endorganen wie etwa Lunge, Herz, Niere oder Gehirn vermindern“, erklärt Studienautor Maximilian Ackermann vom Institut für Pathologie und Molekularpathologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal.
Die Wissenschaftler nehmen sie als Ursache für die beobachteten Komplikationen bei Covid-19-Patienten an. Konkret komme es zu sogenannten Mikroembolien, also kleinsten Gefäßverschlüssen, die eine ausreichende Versorgung der Organe mit Blut verhindern.
Lungenversagen bei Corona „maßgeblich auf Gefäßschaden zurückzuführen“
Besonders in der Lunge sei ein intaktes Gefäßsystem aber wesentlich für die Aufrechterhaltung der Sauerstoffaufnahme, da über 80 Prozent des Lungengewebes aus kleinsten Blutgefäßen besteht, führen die Autoren aus. „Kleinste Schädigungen und Einschränkungen des Blutflusses können daher in kürzester Zeit zu lebensbedrohlichen Konsequenzen führen.“
Weiterhin konnten die Wissenschaftler der Universität Witten/Herdecke zufolge erstmals darstellen, dass durch die Störung des Blutflusses eine spezielle Form der Blutgefäßneubildung ausgelöst wird, eine sogenannte intussuszeptive Angiogenese. Sie verstärke die Entzündungsreaktion im Körper zusätzlich.
„Dieser erstmals beschriebene Mechanismus aus Blutgefäßneubildung und Entzündung bei Covid-19 ist für den Schweregrad der Erkrankung verantwortlich und demonstriert, dass ein Lungenversagen bei Covid-19 maßgeblich auf den Gefäßschaden zurückzuführen ist“, sagt Hans Michael Kvasnicka, Direktor des Instituts für Pathologie und Molekularpathologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal und Lehrstuhlinhaber für Pathologie der Universität Witten/Herdecke.
Im Rahmen laufender internationaler Studien dieser Forschergruppe werde dieser Mechanismus derzeit auch an anderen Organen von Covid-19 Patienten untersucht.
Studie macht neuen Therapie-Ansatz denkbar
Auf Grundlage der Forschungsergebnisse könnten sich auch neue Ansätze für die Behandlung der Krankheitskomplikationen ergeben, prognostizieren die Wissenschaftler. „Wir sehen Covid-19 jetzt weniger als alleinige Lungenkrankheit, insofern könnte die beobachtete Einschränkung des Blutflusses sowie der Blutgefäßneubildung zukünftig ein neues Ziel therapeutischer Maßnahmen darstellen“, ergänzt Kvasnicka. Die Eindämmung der Entzündungskaskaden im Organismus könnte dabei im Vordergrund stehen.
Dass das Coronavirus nicht nur die Lunge betrifft, sondern mehrere Organe im menschlichen Körper, zu diesem Schluss war Anfang der Woche bereits eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gekommen.
Sars-CoV-2 sei demnach ein „Multiorganvirus, das zahlreiche Organe betrifft“. Darin sehen die Hamburger Mediziner einen möglichen Erklärungsansatz für das mitunter breite Symptomspektrum, das sich bei Covid-19-Infektionen zeigt. Ob und welche Veränderungen die Erkenntnisse der Studien für die Behandlung von schwer erkrankten Corona-Patienten künftig bedeutet, ist bisher unklar.