Stiko will jetzt auch Genesene impfen: Warum das für Corona-Bekämpfung wichtig ist
5. Februar 202116:18:23
Laut Experten sollen künftig auch bereits mit Sars-CoV-2 Infizierte gegen Covid-19 geimpft werden, etwa sechs Monate nach ihrer Genesung. FOCUS Online erklärt, warum dieser Schritt nötig ist, um die Pandemie langfristig zu bekämpfen.
Bis vor kurzem galt in Deutschland, dass Corona-Infizierte vorerst nicht gegen Corona geimpft werden sollten. Immerhin herrscht hierzulande bislang großer Mangel an Impfstoff, demnach scheint es logisch, zuerst diejenigen zu impfen, die noch überhaupt keine Antikörper gegen den Erreger entwickelt haben.
So heißt es auch weiterhin auf der Seite des Robert-Koch-Instituts (RKI) in einem Merkblatt: „Nach überwiegender ExpertInnenmeinung sollten Personen, die eine labordiagnostisch gesicherte Infektion mit Sars-CoV-2 durchgemacht haben, zunächst nicht geimpft werden.“ (Merkblatt des RKI, Stand Januar 2021)
Stiko empfiehlt Impfung für Corona-Genesene
Allerdings arbeitet das RKI eng mit der Ständigen Impfkommission (Stiko) zusammen, welche erst vergangenen Freitag ihre Empfehlung auf der RKI-Website aktualisierte. Dort heißt es nun zwar, „dass Personen, die von einer Sars-CoV-2-Infektion oder Covid-19 genesen sind zumindest vorübergehend über einen gewissen Schutz vor einer Erkrankung verfügen.“ (Empfehlung der Stiko zur Durchführung der Covid-19-Impfung, Stand 29.1.2021)
Aber: „Aufgrund dieser anzunehmenden Immunität nach durchgemachter Infektion, zur Vermeidung überschießender Nebenwirkungen und in Anbetracht des bestehenden Impfstoffmangels sollten ehemals an Covid-19 erkrankte Personen nach Ansicht der Stiko unter Berücksichtigung der Priorisierung im Regelfall etwa 6 Monate nach Genesung geimpft werden.“
Demnach könnten also beispielsweise Menschen im Alter von über 80 Jahren, denen ja eine Priorisierung bei der Impfstoffverteilung zusteht, bereits jetzt geimpft werden – obwohl sie das Virus bereits hatten. Dafür muss die Infektion nur mindestens sechs Monate her sein.
Durchgemachte Infektion schützt nicht zwingend vor Reinfektion
Warum es sinnvoll ist, auch bereits Infizierte gegen Sars-CoV-2 zu impfen? Zum einen schützt eine durchgemachte Infektion nicht zwingend vor einer Reinfektion. Bisherige Studien gehen davon aus, dass die Immunität im Schnitt mindestens acht Monate nach Infektion anhalte. Allerdings gibt es Faktoren, die die Immunität beeinflussen.
Das zeigt beispielsweise ein Blick ins brasilianische Manaus. Die Zwei-Millionen-Metropole galt lange als die erste, die eine Herdenimmunität erreicht habe. 76 Prozent der Bewohner hatten nach der ersten Pandemiewelle Antikörper gegen Sars-CoV-2, waren also infiziert gewesen.
Dennoch wurde die Stadt Opfer einer zweiten Corona-Welle, erneut infizierten sich wieder Bewohner, teilweise mehr als 3000 pro Tag. „Höchstwahrscheinlich liegt das daran, dass die Infektionen bei vielen so schwach waren, dass sie auch keine starke Immunität aufgebaut haben“, erklärt Virologe Friedemann Weber. Bedeutet: Wenn jemand nur leichte Erkältungssymptome hat, hat er zwar Antikörper. Die Immunität ist dann aber nicht stark genug, um vor einer Reinfektion zu schützen.
Als Faustregel gelte: Je heftiger die Symptome, umso heftiger ist auch die Immunantwort. Die Folge: Wer keine oder nur leichte Symptome hatte, kann sich erneut infizieren oder das Virus weitergeben.
Das bestätigen auch Untersuchungsergebnisse von Blutproben aus Manus. Während zum Höhepunkt der Pandemie im Mai 52,5 Prozent der in Manaus untersuchten Proben positiv auf Antikörper getestet wurden, fiel dieser Wert bis Oktober kontinuierlich auf 25,8 Prozent.
Mutanten erhöhen die (Re-)Infektionsgefahr
Ein zweiter Grund, warum die Impfung bereits Genesener wichtig für die Corona-Bekämpfung ist: Mutationen. Ein Erreger wie Sars-CoV-2 versucht ständig, sich anzupassen und mutiert. So erklärte etwa RKI-Chef Lothar Wieler vergangene Woche, es würden künftig noch mehr Virus-Mutanten auftauchen, als die bereits bekannten. „Je mehr wir impfen, desto mehr Mutationen werden wir haben“, so Wieler.
Im brasilianischen Manaus wurde vor allem die aggressive Corona-Mutation P1 festgestellt, in Deutschland gehen laut RKI rund sechs Prozent aller Ansteckungen auf die Mutante B1.1.7 zurück. Diese gilt als ansteckender als das „gewöhnliche Sars-CoV-2“.
Wie auch bei P1 können im Erbgut der neuen Virus-Varianten sogenannte „Immun-Escape-Mutationen“ auftauchen. „Bei diesen wirken die Antikörper aus der ersten Welle nicht mehr so gut“, erklärt Virologe Weber. Diese Mutation befindet sich an einer Stelle im Spike-Protein des Virus. Dadurch scheint es bestimmte Antikörper nicht mehr binden zu können. Das Virus lässt sich also nicht mehr so leicht neutralisieren, es entkommt zumindest teilweise der Immunantwort des Körpers.
Das bedeutet: Die Kombination aus der ohnehin schwachen Immunität vieler Menschen und dem sich ständig verändernden Virus kann dazu führen, dass sich Menschen ein zweites Mal mit Sars-CoV-2 infizieren und ein zweites Mal erkranken, teilweise sogar schwer.
Impfungen sollen gegen Mutationen wirksam sein
Die Impfung soll zumindest letzteres verhindern. Zwar ist bislang nicht klar, ob sich bereits Geimpfte auch ein zweites Mal mit Sars-CoV-2 infizieren können. Die Vakzin-Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna gaben bereits bekannt, dass ihre Impfstoffe auch gegen die Briten-Mutation B1.1.7 wirken. Moderna erklärte allerdings, noch einmal genau prüfen zu wollen, ob die Wirkung auch bei der südafrikanischen Variante B.1.351 ausreiche. Der Impfstoff rufe hier zwar immer noch eine schützende Wirkung hervor, jedoch bei rund sechs mal weniger Antikörpern. Das Unternehmen gab demnach bekannt, vorsorglich ein „klinisches Entwicklungsprogramm zur Steigerung der Immunität gegen neu entstehende Varianten“ zu starten.
Damit sich das Virus nicht mehr ungebremst verbreiten kann, ist es wichtig, dass wir langfristig Herdenimmunität erreichen. So findet das Virus nach und nach immer weniger Menschen, die es befallen kann. Es kommt also zu weniger Ansteckungen und die Pandemie flacht langsam ab. Von Herdenimmunität sprechen Experten, sobald in einem Land 60 bis 70 Prozent der Menschen immun gegen ein Virus sind. Setzen sich Mutationen weiter durch, könnten sie allerdings dafür sorgen, dass dieser Wert bei Sars-CoV-2 künftig etwas höher angesetzt werden muss.
„70 Prozent Immunität nur durch Infektionen – das kann man vergessen“, resümiert Weber. „Das war nie eine Option. Denn eine Immunität durch eine Infektion schafft viel Leid – und sie klappt häufig gar nicht. Das kriegen wir nur durch eine fast lückenlose Impfung hin.“