Volle Parks trotz Corona-Pandemie: Aerosol-Forscher sagt, wie gefährlich das ist
23. Februar 202115:49:52
Wegen des frühlingshaften Wetters drängen sich die Menschen gerade in städtischen Parks und an Ausflugszielen – und das mitten in der Pandemie. Ein Aerosol-Experte erklärt, wie groß die Gefahr ist, sich dabei draußen anzustecken – und welche Rolle die neuen Mutationen spielen.
Das traumhaft schöne Frühlingswetter sorgt dafür, dass sich in Parks und an Ausflugszielen die Menschen geradezu drängen. Verständlich, denn die Sehnsucht nach Sonne und unbeschwerten Momenten nach dem langen Corona-Winter sind groß. Doch wie gefährlich ist das gerade jetzt, wo die viel ansteckenderen Mutationen Deutschland eine dritte Virus-Welle bescheren könnten, bevor die zweite überhaupt vorbei ist?
Kann ich mich draußen anstecken?
„Die Gefahr, sich draußen anzustecken, ist praktisch gleich Null“, erklärt der Aerosol-Experte Gerhard Scheuch aus Gemünden gegenüber FOCUS Online. Damit es draußen überhaupt zu einer Ansteckung mit dem Coronavirus kommen kann, müsste man sich schon sehr nahekommen und das über einen längeren Zeitraum hinweg: „Man bräuchte im Außenbereich mindestens fünf bis 15 Minuten engen Zusammenstehens, damit es zu einer Infektion kommt“, erläutert der Experte, der ein eigenes Forschungsinstitut für Bio-Inhalation in Gemünden betreibt. Denn damit eine Ansteckung stattfindet, müsste eine Person mindestens 400 bis 4000 Viren aufnehmen, die durch Aerosolwolken eines Infizierten beim Sprechen und Atmen ausgestoßen werden.
Daran ändern auch die Mutation nichts, sagt Scheuch. „Zumindest bei der B.1.1.7-Variante scheint es nach einer neuen Studie der Harvard-Universität so zu sein, dass die Variante per se nicht ansteckender ist, weil die Betreffenden mehr Virus ausstoßen, sondern weil sie über einen längeren Zeitraum ansteckend sind, als es mit dem nicht-mutierten Sars-Cov-2-Virus der Fall wäre“, führt Scheuch aus.
Corona ist in erster Linie ein Innenraumproblem
Außenaktivitäten daher einzuschränken oder gar Ausgangssperren zu verhängen, hält er daher für wenig zielführend. „Corona ist in erster Linie ein Innenraumproblem – dort stecken wir uns zu 99,9 Prozent an“, betont der Forscher. „Natürlich müssen wir auch draußen Abstand halten und Kontakte reduzieren, aber eine Ausgangssperre oder das Einschränken von Freizeitaktivitäten draußen hilft im Kampf gegen die Pandemie wenig weiter.“
Auch dass wir den Skibetrieb in Deutschland nie aufgenommen haben, hält Scheuch für eine unnötige Maßnahme. „In der Schweiz gehen die Zahlen zurück, obwohl seit Dezember die Skilifte offen sind und selbst Tirol, wo derzeit die südafrikanische Mutation verstärkt auftritt, hat die zweitniedrigste Inzidenz aller Bundesländer in Österreich.“
Die richtigen Schutzmaßnahmen an den richtigen Stellen
Viel dringender sei es dagegen, bessere Maßnahmen für Innenräume zu treffen. So ist es Scheuch unverständlich, warum gerade in Alten- und Pflegeheimen nicht noch umfassendere Schutzmaßnahmen getroffen werden. „Circa 50 Prozent der Corona-Toten sind Menschen aus Alten- und Pflegeheimen, weil dort wegen der vielen Kontakte ein hohes Infektionsrisiko besteht“, sagt Scheuch.
Und kritisiert weiter: „Wir haben teilweise eine Maskenpflicht in den Innenstädten eingeführt, aber schaffen es nicht, dort richtige Schutzmaßnahmen einzusetzen, wo die größte Gefahr lauert.“ So kann er es beispielsweise nicht verstehen, warum gerade in den Altenheimen keine Luftfilter zum Einsatz kommen.
„Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten zwei Milliarden Euro für FFP2-Masken ausgegeben – dafür hätte wir locker jedem der circa 800.000 Bewohner von Alten- und Pflegeheimen einen Luftfilter bereitstellen können“, erklärt der Forscher, der auch Mitglied der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) ist. So kosten Luftfiltergeräte mit gegen Coronaviren wirksamem H13-Filtern ab circa 200 Euro. „Diese Geräte reichen im Vergleich zu den viel teureren H14-Geräten völlig aus und verfügen über einen Abscheidegrad von 99,95 Prozent“, erklärt der Experte. Die Gesellschaft für Aerosolforschung empfiehlt sogar den Einsatz von E11- und E12-Filtern, weil diese genauso effizient seien, aber dafür wesentlich weniger Energie verbrauchten als die H13- und H14-Geräte.
Viele Schulämter erlauben Einsatz von Luftfiltern nicht
Gerade in punkto Luftfilter sieht Scheuch ein großes Versäumnis der Politik im Pandemie-Management: „Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum viele Schulämter den Einsatz von Luftfiltergeräten aus absurden Gründen nicht erlauben bzw. nicht einsetzen wollen.“ Verantwortlich dafür sei in erster Linie eine Fehlinterpretation einer Aussage der Kommission für Innenraumlufthygiene (IRK) des Umweltbundesamtes.
„Diese sagte, dass 20 Minuten lüften sinnvoller als Raumluftfilter seien – daraus folgerten viele Schulämter, dass Raumluftfilter keinen Sinn ergeben, was falsch ist“, argumentiert der Experte. Natürlich sei alle 20 Minuten lüften eine effektive und wichtige Maßnahme, aber diese werde eben nur selten konsequent in Innenräumen angewendet, kritisiert Scheuch. „Gerade die IRK hätte sich da nochmal konkreter äußern sollen und die Fehlinterpretation aufklären.“
Schulstunden so kurz wie möglich halten
In Bezug auf Schulen, sieht Scheuch noch eine andere wichtige Maßnahme, um Infektionen zu verhindern: „Die Zeit spielt eine wichtige Rolle – verdoppelt sich die Zeit mit einem Infizierten in einem Raum, vervierfacht sich das Ansteckungsrisiko“, schildert der Experte. Deshalb plädiert er dafür, die Schulstunden so kurz wie möglich zu halten. “Lieber dreimal 30 Minuten und als zweimal 45 Minuten“, sagt Scheuch.
Für viel problematischer als Klassenräume hält der Forscher dagegen Schulbusse: „In überfüllten Schulbussen sehe ich tatsächlich eine große Ansteckungsgefahr – solche Szenarien sollte man vermeiden.“
Nur 25 Prozent der Infizierten stecken andere an
Eine der wichtigsten Punkte, die Scheuch als Aerosolforscher beschäftigt, ist darüber hinaus die Frage, wie man diejenigen Personen identifizieren kann, die wirklich auch ansteckend sind. „Wir wissen schon aus epidemiologischen Daten, dass nur etwa 25 Prozent der Infizierten für weitere Ansteckungen verantwortlich sind“, erklärt er. Das heißt 75 Prozent seien zwar infiziert, geben aber das Virus nicht weiter.
Das bestätige auch eine neue Studie aus China und Australien. Die Forscher ließen Infizierte dafür in einen Filter pusten und fanden heraus, dass 71 Prozent der Probanden gar keine Viren ausgestoßen haben. Diejenigen, die ganz viel Virus ausgestoßen haben, sogenannte Super-Emitter, gibt es also nur wenige. „Wir wissen mittlerweile, dass das weniger als zehn Prozent der Infizierten sind“, erklärt Scheuch.
Super-Emitter finden und isolieren als wichtiger Hebel im Kampf gegen die Pandemie
Zwar können diejenigen, die weniger Viren ausstoßen auch andere anstecken, aber laut einer neuen indischen Studie seien acht Prozent für 60 Prozent der Infektionen verantwortlich. Deshalb forscht Scheuch selbst gerade daran, wie man herausfinden kann, welche Infizierten am ansteckendesten sind. „Wenn wir die sogenannten Super-Emitter isolieren könnten, hätten wir einen wichtigen Hebel im Kampf gegen die Pandemie gefunden.“ Draußen an der frischen Luft finden Übertragungen demnach aber nur sehr selten statt.