Bundesweiter Flickenteppich Chaos bei den Ladenöffnungen
25. Februar 2021Stand: 25.02.2021 18:32 Uhr
Baumärkte, Blumenläden, Fußpflege: Dass erste Bundesländer mit Öffnungen vorpreschen, sorgt für Ärger. Ausgerechnet Hardliner Söder ist eingeknickt. Und auch die Kanzlerin weicht von ihrer Linie ab.
Von Sandra Stalinski, tagesschau.de
Für den 3. März haben sich die Bundeskanzlerin und die Länderchefs verabredet, um über ein Öffnungskonzept zu beraten. Doch einigen Länderchefs dauert das offenbar zu lange. Schon jetzt preschen einzelne Bundesländer mit weiteren Öffnungen vor. Gemeinsam verabredet war noch beim letzten Bund-Länder-Gespräch, dass ab 1. März die Frisöre bundesweit wieder öffnen dürfen. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein beispielsweise machen aber darüber hinaus auch die Gärtnereien wieder auf.
Noch weiter geht – neben Sachsen-Anhalt – ausgerechnet Musterschüler Bayern: Dort dürfen ab Montag nicht nur Gartencenter, sondern auch die Baumärkte wieder regulär für Kunden öffnen. Dabei hatte Ministerpräsident Markus Söder eigentlich vor einer schnellen Öffnung von Geschäften gewarnt, vor allem wegen der zunehmend grassierenden Mutationen. Jetzt weicht Bayern von dieser Linie ab.
Baumarktöffnung ist „lebensnahe Entscheidung“
Zunächst hatte Söder argumentiert, Gärtnereien und Gartenmärkte würden geöffnet, um zu vermeiden, dass Kunden die Waren dicht gedrängt bei Lebensmittel-Discountern kaufen. Immerhin handele es sich um verderbliche Ware. Dass man nun auch bei den Baumärkten nachzieht, verteidigt Staatskanzlei-Chef und Corona-Koordinator Florian Herrmann schließlich als „lebensnahe Entscheidung“. Wenn die Gartenabteilungen geöffnet werden dürften, der Rest der Baumärkte aber nicht, werfe das Fragen auf. Zudem sei die Öffnung an Hygienekonzepte gebunden, sagte CSU-Politiker Herrmann.
Darüber hinaus erlaubt Bayern ab kommender Woche wieder körpernahe Dienstleistungen wie Fußpflege, Maniküre und Kosmetik sowie den Einzelunterricht an Musikschulen – allerdings nur dort, wo die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche unter 100 liege.
Baden-Württemberg verärgert
Im Nachbarland Baden-Württemberg sorgte insbesondere die Öffnung der Baumärkte für Unmut. Man sei irritiert angesichts der Kehrtwende des bayerischen Ministerpräsidenten Söder, sagte Regierungssprecher Rudi Hoogvliet. „Bisher war er immer der harte Hund, jetzt fängt er an, eine Sache nach der anderen Sache zu öffnen. Ich weiß nicht, was das soll.“
Es habe keine Abstimmung zwischen Bayern und Baden-Württemberg dazu gegeben, sagt Hoogvliet, der nun befürchtet, dass ein Shopping-Tourismus ins Nachbarland stattfinden könnte. In grenznahen Baumärkten wird deshalb bereits an besonderen Konzepten gearbeitet, um den erwarteten Ansturm corona-konform zu bewältigen.
Ähnlichen Ärger gibt es überall dort, wo ein Bundesland öffnet, was im Nachbarland noch verboten ist. In Bremen und Hamburg beispielsweise ärgerten sich Floristen darüber, dass Niedersachsen schon zum Valentinstag die Blumenläden öffnete. Niedersachsen konterte, dass in Hamburg Blumen doch auch auf Wochenmärkten verkauft werden dürfen – und Länder wie Nordrhein-Westfalen und Hessen die Blumenläden erst gar nicht dicht gemacht hätten.
Druck der Wirtschaft wächst
Bremen ist bei den Blumenläden und Gartencentern inzwischen nachgezogen. Nur Hamburg scheint genau in die andere Richtung zu marschieren. Dort wird sogar die Maskenpflicht darußen noch einmal verschärft. Ab dem Wochenende müsse voraussichtlich an allen Orten der Stadt eine Maske getragen werden, an denen Abstände nicht eingehalten werden können, sagte ein Senatssprecher. Eine vorzeitige Öffnung von Blumenläden und Gartencentern könne nicht verantwortet werden.
Warum die einzelnen Bundesländer und allen voran Markus Söder – entgegen seiner bisherigen Mahnungen zur Besonnenheit – mit den Öffnungen nicht bis zum nächsten Bund-Länder-Treffen gewartet haben, dürfte am Druck der Wirtschaft liegen. Der wird tatsächlich immer größer. Die Lage im Handel sei dramatisch, sagt Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth.
HDE: „250.000 Jobs bedroht“
Eine aktuelle Umfrage unter mehr als 2000 Händlern habe ergeben, dass mindestens 50.000 Unternehmen akut in Insolvenzgefahr seien und jeder weitere Tag des Lockdown werde diese Zahl erhöhen. Rund 250.000 Jobs seien akut gefährdet. Der HDE fordert deshalb eine rasche Öffnung der Einzelhandelsgeschäfte ab dem 8. März.
Die Zeichen stehen auf Öffnung – obwohl die Infektionszahlen das eigentlich nicht hergeben. Die steigen nämlich seit kurzem wieder an. Doch wenn der Zug einmal rollt, ist er offenbar nicht mehr aufzuhalten.
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Das RKI registrierte insgesamt 11.869 neue Fälle – ein Anstieg um 1662.
Sogar Kanzlerin weicht von Linie ab
Sogar die Kanzlerin scheint sich gerade klammheimlich von ihren eigenen Beschlüssen zu verabschieden. Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte sie: Derzeit rücke das Erreichen der für weitere Corona-Lockerungen vorgesehene Inzidenz von 35 angesichts der Ausbreitung der Virus-Mutationen „wieder in größere Ferne“. „Ob wir mit einer deutlich größeren Zahl von Schnelltests einen Puffer schaffen können, werde ich mit den Ministerpräsidenten und -präsidentinnen am 3. März beraten“, fügt sie hinzu.
Im Klartext hieße das, dass Lockerungen im Einzelhandel nicht mehr zwangsläufig an eine „stabile“ Sieben-Tage-Inzidenz von 35 gekoppelt wären, obwohl das im Beschluss vom 10. Februar eigentlich verabredet worden war.
Der Flickenteppich, der sich jetzt schon andeutet, wird sich wohl nach den Bund-Länder-Gesprächen am 3. März durchs ganze Land ziehen. Denn wenn schon die Kanzlerin von ihren eigenen Vorgaben abweicht, wird es immer wahrscheinlicher, dass die Länderchefs das auch tun.